Wie geflüchtete Menschen aus der Ukraine jetzt in Deutschland Weihnachten feiern

Zwölf Fastengerichte zum Fest

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Dreizehn Tage Unterschied: Heiligabend  ist  in  der  Ukraine  nicht  am 24. Dezember, sondern am 6. Januar. Ukrainische Traditionen rund ums Fest sind anders als die deutsche Weihnachtskultur. Große Gemeinsamkeit ist natürlich die Erinnerung an die Geburt Jesu. Von Evelyn Schwab



Zwölf Speisen bringen Ukrainer zum Weihnachtsfestmahl auf den Tisch. Unbedingt dabei ist Kutja, ein süßer Brei aus gekochten Weizenkörnern mit Walnüssen, Honig, Mohn und Rosinen.


Nicht alle Ukrainer sind religiös oder feiern das Weihnachtsfest. Doch die meisten Menschen im Land bekennen sich zum christlichen Glauben. Ein Großteil dieser Christen gehört zu den verschiedenen orthodoxen Kirchen. Ganz im Westen allerdings gibt es in der Ukraine eine Mehrheit an Katholiken. Dafür kommt ihr Anteil in der Zentral- und Ost-ukraine nur auf eine sehr kleine Minderheit.
„Der Advent ist Fastenzeit“, sagt Yurii Matiichyk. „In der Zeit vor Weihnachten gibt es kein Fleisch.“ Sogar am Heiligen Abend werde streng gefastet. „Tagsüber isst man fast nichts, um sich am Abend, wenn der erste Stern kommt, mit der ganzen Familie um den Tisch zu versammeln.“ Zwölf Fastengerichte werden aufgetischt – eine symbolische Zahl, die an die Apostel erinnert, an die Erlösungsgeschichte oder auch an die Monate des Jahres. Alle enthalten noch kein Fleisch. Das wichtigste Gericht davon heißt Kutja, ein Brei aus gekochten Weizenkörnern, Mohnsamen, Honig und Walnüssen. Es gibt aber auch Fastenborschtsch aus Gemüse,  gefüllte Teigtaschen namens Wareniki oder Pilzsuppe. „Mit ganzen Steinpilzen, die selbst gesucht und vor dem Winter getrocknet wurden“, erzählt Matiichyk.
Schon Tage vorher ist man mit der Vorbereitung der Speisen beschäftigt. In der Familie von Yurii Matiichyk hat es Tradition, dass der Vater bereits am Vormittag des Heiligen Abends die Zutaten vorbereitet. Damit die Mutter im Anschluss gleich die Küche übernehmen kann. „Weizen wird drei Stunden gekocht, bis er weich ist“, erläutert Matiichyk. Vorbereitet werden auch die Fleischgerichte für den nächsten Tag. Beliebt ist Olivje, ein Fleischsalat. „Kartoffeln, Karotten, Eier, Fleischwürfel von den selbst geschlachteten Vorräten aus einem Schmalztopf und Mayonnaise“, schwärmt der Ukrainer.
Seit fünf Jahren lebt der 28-Jährige in Deutschland. Er lernte die Sprache, studierte an der Theologischen Fakultät in Fulda und trat ins Priesterseminar ein. Für ihn als griechisch-katholischer Christ war das an einer römisch-katholischen Einrichtung möglich: „Wir sind mit Rom uniert, haben die gleichen Rechte, aber verschiedene Riten“.
Im Gegensatz zu den orthodoxen Christen sind die sogenannten Ostkatholiken vollständig Teil der katholischen Kirche. Unterschiede zwischen dem byzantinischen Ritus und dem lateinischen Ritus liegen vor allem in einer anderen Architektur des Kirchenraums und der Art und Weise, wie Glaube und Sakramente gefeiert werden. Zudem ist es den Priestern erlaubt, zu heiraten.
Auch die Traditionen rund um Christi Geburt sind anders. „Neben den liturgischen Besonderheiten von Weihnachten ist die Weihnachtskrippe, ukrainisch ,Vertep‘, sehr beliebt. Diese theatralische Handlung über die Geburt des Jesuskindes hat sehr alte Wurzeln.“ Das erklärt Ivan Hnativ. Als griechisch-katholischer Pfarrer aus der Westukraine kümmert er sich derzeit im Bistum Fulda um die Seelsorge seiner aus dem Kriegsgebiet geflohenen Landsleute: „In den alten Zeiten, als die meisten Menschen nicht lesen konnten, war es eine sehr visuelle Möglichkeit, die Gute Nachricht von der Geburt Jesu Christi zu übermitteln.“ Und weiter: „Die Figuren einer solchen Krippe sind meist Engel, Hirten, drei Könige, Josef, Maria, Herodes. Junge Leute und Kinder lieben es immer noch, sich in farbenfrohen Kostümen als biblische Figuren zu verkleiden, dann von Haus zu Haus zu gehen und die Besitzer mit Weihnachtsliedern und Glückwünschen zu begrüßen.“ Auch Pfarrer Hnativ betont die Bedeutung der Feier an Heiligabend in der ukrainischen Kultur: „Es ist der Abend, an dem sich die ganze Familie mit besonderen Gerichten, die meist nur einmal im Jahr zubereitet werden, um den Tisch versammelt.“ Nach einem Gebet und dem Dank an Gott für das vergangene Jahr sowie die Bitte um Segen für die kommenden Monate erinnere das Versammeln um den Tisch an die Zeit in Betlehem, als Josef, Maria, die Hirten und die drei Könige beim Neugeborenen aufeinander trafen.
Aber wie begehen die Menschen das Weihnachtsfest mitten im Krieg? „Die Antwort hängt ab von den Nachrichten zu Hause“, sagt Yurii Matiichyk. „Ist es ruhig und kommen keine Raketen, dann können wir hoffnungsvoll sein. Schlägt etwas in der Nähe ein, dann hat man keinen Frieden. Ein Tag so, ein Tag so.“
„Heute sind Millionen von ukrainischen Bürgern auf der Flucht vor dem russischen Aggressor“, hält Pfarrer Hnativ fest. „Auch die Heilige Familie waren Flüchtlinge, weil sie vor Herodes fliehen mussten. Diese Geschichte enthält eine sehr tiefe Bedeutung und Wahrheit über Gott und Mensch, über ihre Beziehung. Der Mensch kann das Leben eines unschuldigen Kindes entweder schützen oder versuchen, es mit all seinem Zorn zu zerstören.“
Normalerweise röchen die Häuser in der Ukraine zur Weihnachtszeit besonders, erzählt Pfarrer Hnativ. Die Menschen besuchten sich gegenseitig, gingen gemeinsam durch die Straßen, in die Kirche.
„Das ist unsere Atmosphäre von Weihnachten“, erklärt Yurii Matiichyk. „Nicht zu Hause sitzen, sondern raus, durch das ganze Dorf ziehen. Von Haus zu Haus und Weihnachtslieder singen. Egal, wie das Wetter ist. Das gibt eine sehr weihnachtliche Stimmung.“ Frauen, Männer, Jungen, Mädchen und die Kinder – die Gruppen bleiben unter sich. Fast jede Hausgemeinschaft gibt ihnen Geld und Süßigkeiten. „Die Spenden geben die meisten weiter an die Kirchengemeinde, damit dort etwas angeschafft werden kann“, betont Matiichyk.
 

ZUR PERSON

Yurii Matiichyk


Yurii Matiichyk

Ende Juli 2022 schloss der gebürtige Westukrainer sein Studium an Fuldas Theologischer Fakultät mit dem Master der Theologie ab. Zudem beendete er als griechisch-katholischer Kandidat seine Ausbildung im Bischöflichen Priesterseminar. Weil eine Rückkehr angesichts der Kriegssituation in seiner Heimat momentan nicht einfach ist, entschied er sich, die Pastoralausbildung im Bistum Fulda anzuschließen. Gleichzeitig begleitet er die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Rhön. (ez)

 

ZUR SACHE

„Die innere Einheit wird wachsen“
Mit Ivan Hnativ kümmert sich im Bistum Fulda ein muttersprachlicher Seelsorger um die geflüchteten Menschen aus der Ukraine. Der 60 Jahre alte griechisch-katholische Pfarrer versteht sich selbst als Brückenbauer, auch hin zu orthodoxen und römisch-katholischen Christen.

Pfarrer Hnativ, wie feiern Sie Weihnachten in der Ukraine?


Pfarrer Ivan Hnativ beim Feiern des Gottesdienstes.

Das Weihnachtsfest in der Ukraine findet nach dem Julianischen Kalender statt. Danach fällt der 25. Dezember des Kirchenkalenders mit dem 7. Januar des neuen (gregorianischen) Kalenders zusammen. Dieser Tradition folgen die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen. Die Katholiken des lateinischen Ritus feiern Weihnachten am 25. Dezember. In der Ukraine haben wir also zwei offizielle Weihnachtsfeiertage: den 25. Dezember und den 7. Januar. Nach Beginn der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine werden alle offiziellen Feiertage auf staatlicher Ebene bis zum Kriegsende gestrichen.

Wann wird Gottesdienst gefeiert?
Die Weihnachtsgottesdienste beginnen am Heiligen Abend. Die Kirche erwartet im Gebet das Kommen Christi. An Weihnachten selbst beginnt der Gottesdienst oft um Mitternacht und kann etwa drei Stunden dauern. Heutzutage sind die Kirchen in der Ukraine voller Menschen. Leider wird Weihnachten dieses Jahr in der Ukraine einen besonderen Charakter haben. Ich denke, dass trotz der Abnahme der äußeren Helligkeit und des Mangels an Licht und Wärme in unseren Häusern die innere Einheit des ukrainischen Volkes, sein Wunsch nach Leben und Freiheit und seine Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Angreifer wachsen werden.

Hilfsbedürftige zu unterstützen – ist auch das ein Aspekt der Weihnachtsgeschichte?
Im Laufe der Geschichte der Ukraine, seit der Weihnachten im Land gefeiert wird, wurde immer darauf geachtet, dass alle Menschen Weihnachten im Kreis der Familie feiern. Wenn also jemand keine Familie hatte oder ganz allein war, wurde er in den Kreis der Familie aufgenommen, damit er sich in dieser besonderen Zeit umsorgt fühlte. Man kann nicht Weihnachten feiern und wissen, dass der Nachbar einsam oder arm ist. So haben uns das unsere Eltern beigebracht, den Armen und Hungernden zu helfen.
Vor dem Krieg lebten die meisten von uns in Wohlstand, und jetzt haben Millionen von Ukrainern alles verloren, was sie hatten. Und wir haben gesehen, wie viele Menschen innerhalb des Landes ihre Häuser für die Opfer des Krieges geöffnet haben. Unsere Gemeinden, kirchlichen und sozialen Einrichtungen, Bürgerinnen und Bürger haben Hunderttausende von Binnenflüchtlingen aufgenommen. In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Deutschland und allen seinen Bürgern, die ihre Häuser, Kirchen und Herzen für unsere Flüchtlinge geöffnet haben, aufrichtig zu danken.
Wir gehören alle einer Menschheitsfamilie an. Wäre Weihnachten nicht ein Fest, um das zu betonen?
Alle Menschen sind Kinder Gottes, und deshalb ist Weihnachten für die gesamte Menschheit so wichtig. Und diese Tatsache hängt nicht von Religion, Traditionen oder Geographie ab. Allerdings können verschiedene Menschen sehr unterschiedlich auf diese Tatsache reagieren. Im Evangelium sehen wir, wie die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland und sogar die Tiere, die Jesus nahe waren, reagieren, und wie Herodes und seine Armee reagieren. Die Geburt Christi, der größte Akt der Liebe Gottes zur gesamten Menschheit, bringt allen Menschen ohne Ausnahme Frieden und Güte. Unterschiedliche Menschen empfangen dieses Gottesgeschenk des Friedens und der Liebe auf unterschiedliche Weise. Aber kein menschlicher Zorn kann die Freude an Weihnachten überschatten.  

Von Evelyn Schwab