Abschied des Berliner Diözesanjugendseelsorgers Ulrich Kotzur
Adieu, Isomatte!
Nach drei Sabbatmonaten im Kloster Alexanderdorf ist Ulrich Kotzur seit Jahresbeginn Pfarrer in Nord-Neukölln. Foto: Dorothee Wanzek |
Ihre eigene Jugend liegt ja schon ein Weilchen zurück. Hat die Arbeit mit jungen Menschen Sie jung gehalten?
In der Tat höre ich öfters, wenn ich mein Alter angebe: „O, das hätten wir aber nicht gedacht.“ Scherzhaft sage ich dann manchmal: „Man muss eben rechtzeitig anfangen, Oil of Olaz zu benutzen oder Jugendarbeit machen.“ Mit jungen Menschen zusammen zu sein, hält flexibel. Sie sind spontan, im Guten wie im Schlechten. Das heißt, sie lassen sich für kurzfristige Aktionen begeistern, man bekommt aber unter Umständen nur schwer feste Zusagen für eine Wochenendveranstaltung. Auch da gibt es natürlich Ausnahmen. Ich schätze sehr die Jugendlichen, deren Ja ein Ja ist, auf die man sich verlassen kann, zum Beispiel im Berliner Nightfever-Team. Als ich mit Mitte vierzig Diözesanjugendseelsorger wurde, habe ich gesagt: „Ich mach den Job nur solange, wie ich allein von der Isomatte hochkomme.“ Das wird tatsächlich allmählich merklich mühseliger ...
Wie hat sich die Jugendseelsorge im Erzbistum in den vergangenen neun Jahren verändert?
Der pastorale Prozess „Wo Glaube Raum gewinnt“ verändert die Strukturen der Jugendseelsorge. Mit den Dekanaten sind auch die Dekanatsjugendseelsorger weggefallen. Der Bund Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ) musste sich neu strukturieren. Der Umbruch ist noch im Gange.
Jedes Pfarreiteam muss nun schauen, wer aus dem Team sich um die Jugendseelsorge kümmert. Die Mehrbelastung der Teams durch die größeren Pfarreien ist spürbar. Die Zahl derer, die sich für die Jugend engagieren, ist geringer geworden, ebenso wie die Zahl derer, die über die eigene Pfarrei hinaus auf Vernetzung im Bistum schauen. Jugendarbeit lebt immer von persönlicher Begegnung, von daher halte ich die aktuelle Situation für schwierig. Ich möchte aber auf keinen Fall in den Chor der Jammerer einstimmen. Das würde nicht zu meinem Naturell passen. Ich sehe immer zuerst die Hoffnungszeichen.
Wo erkennen Sie die?
In all dem, was trotz der Pandemie-Beschränkungen in den vergangenen zwei Jahren doch möglich war. Wir haben viele Erfahrungen mit digitalen und hybriden Veranstaltungen gesammelt. Dass eine Begegnung vor dem Computer etwas anderes ist als ein Lager an der Ostsee, ist mir dabei natürlich klar. Ein Lichtblick sind für mich auch die neuen Veranstaltungsformate, die in der Jugendkirche unter dem Motto „Jugendkultur meets Tradition“ entwickelt wurden: die „Kreuz-Fahrt“ durch die Berliner Ringbahn und andere Formen von Parcours-Exerzitien zum Beispiel oder das Saints-Kartenspiel. Das Christliche Orientierungsjahr „T-Raum-Deuter im Christian-Schreiber-Haus gibt Anlass zur Hoffnung. Es bietet jungen Christen eine Gelegenheit, sich ganz intensiv ihrer Beziehung zu Gott im Alltag zu widmen. Ich erlebe auch manches Bewährte weiterhin als sehr lebendig, wie zum Beispiel die Weltjugendtage oder den Bistumsjugendtag.
Die Jugend im Erzbistum ist vielfältig. Es gibt eine große Bandbreite kirchlicher Erfahrungen und kultureller Herkunft, es gibt Großstadt und Dorf, Verbandsarbeit, geistliche Gemeinschaften und Gemeindegruppen, es gibt eine Altersspanne von den Pubertierenden bis hin zu den jungen Erwachsenen. Haben Sie alle gleichermaßen erreicht?
Das ist erwartungsgemäß unterschiedlich gut gelungen. Durch die kleiner werdenden Zahlen wird es besonders für die Jugendlichen im ländlichen Raum schwieriger, ihren Glauben gemeinsam mit anderen jungen Katholiken zu leben. Sie brauchen Ermöglicher, um in Kontakt zu bleiben. Dankbar bin ich für die Verbände, die sich dort in der Jugendarbeit engagieren.
Unter den Jugendlichen aus den muttersprachlichen Gemeinden ist die Bereitschaft gewachsen, das Bistum als Ganzes wahrzunehmen und sich dort einzubringen. Beim Diözesanweltjugendtag haben sie sich sehr engagiert, zum Weltjugendtag 2016 in Krakau gab es insbesondere mit der polnischen Jugend eine gute Kooperation.
Haben Sie selbst sich durch diese Arbeit auch verändert?
Auf jeden Fall ist meine Dankbarkeit für all diejenigen gewachsen, die sich haupt- und ehrenamtlich für Jugendliche einsetzen. Auch ich habe die Chance entdeckt, digital miteinander unterwegs zu bleiben. Man kann sogar im Internet zusammen beten und dabei die integrieren, die sonst nicht kommen können. Vor allem aber ist mir bewusst geworden, dass wir als Kirche andere Sozialisationsformen finden müssen. Unsere bisherige Art der Vergemeinschaftung bietet zu wenig Andockmöglichkeiten für Neue. Bei den Jugendlichen tritt das besonders deutlich zutage. „Kirche – das ist euer Hobby“ hat ein Jugendlicher zu seinen Eltern gesagt. Als Erwachsene nehmen wir wöchentliche Gruppentreffen oft als einzige gute Form wahr, sich als Kirche zu sammeln. Diese Form stammt aus dem 20. Jahrhundert und entspricht vielen Jugendlichen heute nicht. Lieber lassen sie sich für Projekte gewinnen, bei denen sie mitmachen können, ohne sich dauerhaft zu binden. Die 72-Stunden-Aktion des BDKJ hat sich in dieser Hinsicht sehr bewährt. Auch sporadische Aktionen oder Projekte können einen hohen Grad an Identifikation hervorrufen. Wenn ich mich an meine eigene Kindheit und Jugend erinnere, war das übrigens gar nicht so sehr anders. Meine Bindung an die Pfarrei hat sich damals vor allem stark durch jährliche Pfingstzeltlager genährt.
Abschiedsgottesdienst in der Kapelle in Alt Buchhorst. Foto: Christian Schreiber Haus |
Welche Erfahrungen aus der Zeit als Jugendseelsorger nehmen Sie mit in Ihre neue Aufgabe als Pfarrer einer Berliner Innenstadtpfarrei?
Sicherlich die Art, Gottesdienste zu feiern – musikalisch vielfältig, gerne mit moderner Musik. Die Frage, wie wir Freude am Glauben gewinnen, wird mich weiter begleiten, und Liturgie ist dabei ganz wesentlich. Ich werde auf der Suche bleiben nach dem geistlichen Aspekt im Prozess „Wo Glaube Raum gewinnt“.
Dazu möchte ich an manche Erfahrungen anknüpfen, ich möchte weiter entfalten, was dazu beitragen kann, Alltag, Glaube, Arbeit und Freizeit, Welt und Göttliches zu verbinden, die alten Hasen in der Kirche und diejenigen, die noch nie geglaubt haben. Als Beispiele nenne ich die Parcours-Exerzitien, Veranstaltungen mit einer Mischung aus digitalen und realen Elementen oder den „Neulandkurs“ zur Glaubensvertiefung, wie ihn das ehemalige Institut für Neuevangelisierung in Augsburg entwickelt hat. Diese Kurse sind wirklich offen für alle Teilnehmer.
In unseren kirchlichen Gruppen behaupten wir oft, offen zu sein, erwarten aber zugleich von neu Hinzukommenden, dass sie sich genauso verhalten sollen wie die langjährigen Gruppenmitglieder. Der Neulandkurs vermittelt die Erkenntnis: Gott liebt jeden Menschen so wie er ist. Ich kann Freude am Glauben neu entdecken und am Bauen des Hauses Gottes mitwirken. Gemeinden können neu beginnen, ihren Kiez zu lieben, wie er ist. Wer andere ausgrenzt, läuft Gefahr, nicht mehr „katholisch“ zu denken. Das merken viele Katholiken manchmal gar nicht.
Auch in der Erwachsenenseelsorge halte ich es für zukunftsträchtig, stärker auf Projekte zu setzen. Dies bietet auch die Möglichkeit, als Kirche mit anderern Partnern zu kooperieren, wie wir es beispielsweise auf einem gemeinsamen Zeltplatz des Christian-Schreiber-Hauses mit der Jungfeuerwehr Grünheide und dem Ortsvorsteher erlebt haben.
Ich finde, als Kirche dürfen wir ruhig ein wenig professioneller werden. Studienergebnisse zeigen, dass Menschen sich stärker ehrenamtlich engagieren, wenn sie dafür eine Zertifizierung erhalten können. Ein bewährtes Beispiel dafür ist die staatlich anerkannte Juleica in der Jugendseelsorge.
Auch ich möchte mich in der Leitung einer Pfarrei besser aufstellen. Ich bin dankbar, dass das Erzbischöfliche Ordinariat entsprechende Module den leitenden Pfarrern ermöglicht, wie zum Beispiel Organisationsmanagement oder auch Personalführung. In der Führung von Personalgesprächen mit den hauptamtlichen Mitarbeitern habe ich erlebt, dass die Qualität der Arbeit im guten Sinne gesteigert werden kann. Wie wünsche ich mir, dass positive Schlagzeilen in der Öffentlichkeit von der Erfahrung erzählen, wie gut es ist, gemeinsam zu glauben und zu leben. Damit werden wir wohl noch eine ganze Weile beschäftigt sein.
Interview: Dorothee Wanzek