"Das siebte Kreuz" und der Mainzer Dom
Anna Seghers Weltbestseller
Anna Seghers wurde als Netty Reiling in Mainz geboren. Sehr oft hat sich die Autorin des Romans „Das siebte Kreuz“, die von den Nazis ins Exil getrieben wurde, nach dem Rhein gesehnt. Über das unruhige Leben einer politischen Frau. Von Ruth Lehnen.
Die Überraschung beim Wiederlesen von „Das siebte Kreuz“: Das ist ja spannend! Das ist ja toll! Anna Seghers berühmtestes Buch, das schon1944 in Hollywood verfilmt wurde, schildert die Flucht eines KZ-Häftlings. Der Leser fiebert mit: Wird er durchkommen? und begleitet die Hauptfigur durch Anna Seghers’ heimatliche Landschaft. Die Autorin stellt uns vor Augen, wie Menschen unterschiedlicher Schichten auf der Probe stehen: Werden sie sich ihre Menschlichkeit bewahren, unter Druck?
Diese Frage ist die Lebensfrage der Anna Seghers (1900 bis 1983), die als Netty Reiling, Tochter aus jüdischem Haus, in der Mainzer Parcusstraße geboren wurde. Ein verträumtes, oft krankes Kind ist diese Netty gewesen, doch schon als junge Frau entschlossen: Sie geht nach Heidelberg zum Studium der Kunstgeschichte, promoviert, schreibt, heiratet mit 25 Jahren, zieht nach Berlin, wird Mutter von zwei Kindern, schreibt weiter und wird berühmt. 1929 tritt sie ein in den Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller.
Es ist die Zeit der Entscheidungen, des Kampfes, für oder gegen Hitler. Schon 1933 flieht sie über die Schweiz nach Frankreich. Ihr Mann wird später interniert, sie ist von allen Geldquellen und Verbindungen nachhause abgeschnitten, hat Angst um ihre Kinder. Anna Seghers kann sich und ihre Familie 1941 nach Mexiko retten. Ihre Mutter wird 1942 von Mainz aus nach Piaski in Polen deportiert und ermordet. Die Absurditäten des Exils schildert sie in „Transit“ (1943), dieses Buch wurde gerade verfilmt.
Nach dem Krieg kehrt Seghers zurück nach Deutschland, nach Berlin. Weil sie weiter an den Kommunismus glaubt und die SED-Politik verteidigt, wird sie heftig angegriffen. 1946 schreibt sie an Regierungsrat Michel Oppenheim: „Ich möchte außerordentlich gern auf begrenzte Zeit die Stadt wiedersehen, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Sehnsucht ich nach dem Rhein habe.“
Anna Seghers: Das siebte Kreuz, Aufbau, 20 Euro
Eine Szene aus Anna Seghers Weltbestseller „Das siebte Kreuz“ spielt im Mainzer Dom. Eine Ortsbesichtigung mit Winfried Wilhelmy vom Mainzer Dommuseum und dem Buch in der Hand. Von Ruth Lehnen.
Ja, dieser Dom eignet sich hervorragend als Versteck! Dr. Winfried Wilhelmy würde allerdings die Seitenkapellen, die Krypten und die Dachböden nehmen, wenn er sich im Mainzer Dom verstecken müsste. Wir haben den Direktor des Mainzer Dom- und Diözesanmuseums zu einem Rundgang auf den Spuren des Romans „Das siebte Kreuz“ überredet. Dieser, der berühmteste Roman der aus Mainz stammenden Schriftstellerin Anna Seghers, schildert die Flucht des KZ-Häftlings Georg Heisler.
Völlig erschöpft kommt er im Dom an, und da nutzt er seine Chance: eine Nacht im Schutz des alten Gemäuers, eine Nacht, in der ihn keiner finden kann. „Es gibt ja keinen Ort, wo die Nazis weniger gesucht hätten“, hält Wilhelmy fest. Tatsächlich, so erzählt er, war der Dom während des Krieges Zuflucht für viele Menschen: Sie suchten in den untersten Geschosses des Ostturms Schutz vor den fallenden Bomben. Das ist der älteste Bauteil, der seit 1000 Jahren steht, erläutert er, hier seien die Mauern bis zu drei Metern dick.
Aber! Was Anna Seghers Schilderung des Doms betrifft: Die sei interessant, aber falsch: „Das passt nicht!“ weist Wilhelmy an mehreren Stellen nach. Sich am Taufstein verstecken, darauf käme niemand: „Das ist ja ein mieses Versteck“! Und hier soll den Flüchtigen der Blick des berühmten und für seinen ausschweifenden Lebenswandel bekannten Albrecht von Brandenburg treffen, das könne an dieser Stelle gar nicht sein.
Den stärksten Einspruch erhebt Wilhelmy gegen die Schilderung der Grabplatte von Siegfried von Eppstein, dem Seghers ein dreistes „Lächeln der Macht“ zuschreibt: „Das sehe ich nicht.“
Trotzdem: das Taufbecken, das Grabmal Albrechts von Brandenburg und die älteste und bedeutendste Gtabplatte im ganzen Dom, die des Siegfried von Eppstein: „Wenn ich drei Objekte auszuwählen hätte, würde ich wahrscheinlich die gleichen wählen.“
Bei Anna Seghers’ „literarischem Domrundgang“ fällt auf, wie genau sie als Jüdin und Kunsthistorikerin und Tochter eines Kunsthändlers „ihren“ Mainzer Dom im Kopf hatte, obwohl sie zum Zeitpunkt der Niederschrift schon neun Jahre im Exil war. „Das zeigt, wie sehr sie Mainzerin war“, meint Wilhelmy. Dieses Gebäude habe etwas Überkonfessionelles, Ewiges. In der Schilderung des Doms nimmt sie sich dichterische Freiheit. So ist zum Beispiel von Kunstwerken die Rede, die es so im Dom nicht gibt: Szenen von Adam und Eva, der Krippe, von Abendmahl und Verrat. In den biblischen Motiven spiegelt sie das Schicksal ihre Hauptfigur Georg Heisler, der Geborgenheit kennt, aber auch die Erfahrung, verstoßen zu sein, und der den Verrat fürchtet. Das Unmögliche schaffen, das Monster besiegen – das hat sich dieser Georg vorgenommen, der nicht zufällig wie der Drachentöter heißt.
Sehr treffend findet Winfried Wilhelmy, wie Anna Seghers die Lichtverhältnisse im Dom geschildert hat, in dem die Schatten verschwimmen: „In der Dämmerung mag auch ich den Dom am liebsten, dann lebt er.“ „Atmosphärisch sehr dicht“ nennt er die Domszene. Nicht nur der Dom, auch „das Diözesanmuseum“ kommt im Buch vor. Winfried Wilhelmy sagt dazu: „Da das Museum 1925 gegründet wurde, wird es zu ihrer Zeit in Mainz Stadtgespräch gewesen sein.“
Am Ende des Buches lässt die Autorin ihren Georg noch einmal auf die Türme von Mainz schauen. Da entdeckt er den heiligen Martin, „der sich vom Pferd bückte, um seinen Mantel mit dem Bettler zu teilen“. Und Seghers verschmilzt die Erfahrung des Martin und des heiligen Paulus, zu dem Christus sagte: „Ich bin der, den du verfolgst“.