Interview mit Landwirtschftsministerin Julia Klöckner

„Auch die verschrumpelten Äpfel essen“

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Die Dürre in Deutschland war der erste Stresstest für Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Wie sieht ihre Vision von Landwirtschaft aus? Kann man mit tonnenschweren Hightech-Traktoren die Welt ernähren und zugleich die Schöpfung bewahren? Ein Interview mit der bekennenden Katholikin aus Rheinland-Pfalz über Lebensmittel, Tierwohl und die Zukunft der Bauern.

Frau Klöckner, Sie haben katholische Theologie studiert und bekennen sich öffentlich zu Ihrem Glauben. Wie wirkt sich das auf Ihre tägliche Arbeit aus?

Klöckner: Es wäre vermessen, zu behaupten, ich bin der wandelnde Christ mit der Bibel unter dem Arm, und über jede politische Entscheidung lege ich das „Raster der Bibel“. Es gibt täglich Entscheidungen, bei denen ich pragmatisch, faktenbasiert und mit gesundem Menschenverstand entscheiden muss – die Bibel ist, wie wir alle wissen, keine konkrete Handlungsanweisung für das tägliche politische Handeln oder ein Regierungsprogramm. Aber die christliche Botschaft ist ein Kompass – für zum Beispiel das Bild vom Menschen und der Schöpfung.

Julia Klöckner Foto: CDU Rheinland-Pfalz
Julia Klöckner war 1995 deutsche
Weinkönigin.
Foto: CDU Rheinland-Pfalz

Für die Einordnung meiner Arbeit spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle, ich verstehe es durchaus auch als Auftrag an uns alle, die Schöpfung zu bewahren. Zum Beispiel sollten wir Tiere bewusst als Mitgeschöpfe sehen und behandeln, sie sind keine Wegwerfware. Auch was den Umgang mit dem Boden betrifft, mit der Luft, den Ressourcen und mit dem, was uns zwar gegeben, aber letztlich auch nur geliehen ist. Da denke ich an das Buch Genesis, in dem steht: „Wahren sollen wir die Erde, mit Fürsorge.“ Das ist etwas, das mich leitet. Natürlich gehören zur Alltagsrealität auch immer Kompromisse dazu.

Sie wollen eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, ohne der konventionellen Landwirtschaft eine komplette Absage zu erteilen. Warum setzen Sie sich nicht ausschließlich für den ökologischen Landbau ein, der nachhaltiges Wirtschaften schon umsetzt?

Ganz einfach: Weil wir Menschen ernähren müssen. Das ist auch ein christlicher Auftrag. Nicht nur hier in Deutschland. Wir werden in 20 Jahren weltweit zwei Milliarden Menschen mehr sein.
Ich glaube, wir müssen das differenzierter betrachten. Wenn es um einfache Antworten geht, haben wir plötzlich 80 Millionen studierte Agrarwissenschaftler in Deutschland. Es gibt, wie so oft, auch in der von Ihnen aufgeworfenen Frage, kein Schwarz oder Weiß. Wichtig ist: Ökologische und konventionelle Landwirtschaft sind keine Gegner, sie ergänzen sich gegenseitig. Unsere Grundüberlegung ist: Wie gehen wir sorgfältig mit dem Boden, dem Wasser und unseren natürlichen Ressourcen um – und wie sichern wir dabei die Ernten?

In den letzten Jahrzehnten hieß das Credo: Wachsen oder weichen. Was ist Ihre Vision von der Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland?

Mein Ziel ist die flächendeckende, bäuerliche, moderne und vielfältige Landwirtschaft in Deutschland und Europa. Ich möchte keine ideologischen Gräben und unversöhnliche Polarisierung zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft.

Die Landwirte selbst sind im Miteinander viel weiter als es die gesellschaftliche Debatte ist. Statt in eigenen Grabenkämpfen, müssen wir im europäischen Wettbewerb bestehen. Unsere Bauern brauchen Unterstützung und einen verlässlichen Rahmen, damit sie die Herausforderungen an eine moderne und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft erfüllen können. Dazu gehört in meinen Augen auch der Umgang mit dem Berufsstand. Den empfinde ich teilweise als sehr herabwürdigend.

Die Land- und Forstwirte sind es, die täglich für unsere Nahrung sorgen, die Kulturlandschaftspflege betreiben und unsere Wälder pflegen. Das können wir gar nicht genug würdigen. Landwirte sind ausgebildete Fachleute und trotzdem ständig pauschalen, holzschnittartigen Vorwürfen ausgesetzt. Auch das ist eine Frage des christlichen Miteinanders.

Es ist diskriminierend, kein fairer Umgang, wenn Bauernkinder in der Schule gemobbt werden, weil ihre Eltern angeblich die Welt vergiften oder Tierquäler seien. Sowas ist schnell daher gesagt – aber überprüfen wir alle unser eigenes Verhalten? Wer greift denn heute noch im Supermarkt zu einem Apfel, der etwas schrumpelig aussieht oder einer Birne, an die sich Schädlinge rangemacht haben? Pflanzenschutzmittel sind nach wie vor notwendig, aber in einem gezielteren und reduzierteren Maße.

„Landwirte produzieren unsere Mittel zum Leben“

Wir sollten auch den Menschen hinter dem Beruf im Blick haben und dankbar sein. Denn Landwirte haben keinen Job von morgens um neun bis abends um fünf Uhr. Sie haben nicht den Urlaub, auf den ein Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch hat. Landwirte bekommen auch nicht den Mindestlohn, wenn sie die Arbeit und die Zeit mit einrechnen, die jeder in der Familie leistet. Aber gleichzeitig sind sie diejenigen, die unsere Mittel zum Leben produzieren. Wir sollten die Landwirte nicht vor die Klammer setzen, wenn es um das christliche Miteinander geht.

Eine wichtige Frage ist, wie wir die grünen Berufe attraktiv machen können, auch für die kommende Generation, und wie die Bauern auch ihre Familien ernähren können.

Deshalb brauchen wir eine moderne Landwirtschaft, die wettbewerbsfähig ist, die auf neue Methoden setzt, auch auf Digitalisierung. Die aber gleichzeitig den Klima- und Umweltschutz im Blick hat und den Tierschutz, damit es kein Gegeneinander gibt von gesellschaftlichen Erwartungen und landwirtschaftlichem Arbeiten. Denn Landwirtschaft und Klimaschutz schließen sich nicht gegenseitig aus, hier muss mehr das Miteinander gedacht werden.

Auch dieser Landwirt aus dem hessischen Friedrichsdorf hat wegen der Trockenheit zu kämpfen. | Foto: dpa
Auch dieser Landwirt aus dem hessischen Friedrichsdorf hat wegen der Trockenheit zu kämpfen. Foto: dpa

Gibt es eine Chance auf eine Renaissance kleinbäuerlicher Betriebe?

Mit welchem Ziel? In kleinbäuerlichen Betrieben waren Frauen und Kinder gebunden, die Töchter konnten nicht studieren. Wenn Sie diese Renaissance meinen, die sollten wir nicht anstreben. Diese Betriebe waren abgehängt. Und am Ende war es oft schwierig, einen Nachfolger zu finden.

Wir müssen uns von diesem überholten romantischen Bild der Landwirtschaft verabschieden. Es gibt kleinbäuerliche Betriebe, die aus verschiedenen Gründen nicht modernisiert worden sind. Sie haben zum Beispiel Anbindeställe. Mit dem Tierschutz sieht es dort nicht unbedingt optimal aus, obwohl sie kleinbäuerlich sind. Dann gibt es modernste landwirtschaftliche Ställe, in denen Melkroboter eingesetzt werden und in denen Tiergesundheit und Tierwohl messbar besser sind. In dieser Hinsicht müssen wir differenzieren, uns dem komplexen System Landwirtschaft zuwenden und wegkommen von dieser Bilderbuchvorstellung.

In der Tat wird in Kinderbüchern eine idyllische Landwirtschaft dargestellt, die es so nicht gibt. Viele Menschen haben keine Ahnung, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Wie kann es gelingen, ihnen ein realistisches Bild zu vermitteln?

Wenn die Landwirtschaft heute so wäre wie in den Bilderbüchern, dann müsste man auch die verschrumpelten Äpfel essen. Aber ein Apfel hat heute keine Chance beim Verbraucher, wenn er unansehnlich im Supermarkt liegt. Bei uns zu Hause haben wir früher unsere Vorräte aufgegessen. Da wurde eben ein Stück vom Apfel abgeschnitten, wenn er eine schlechte Stelle hatte. Es gibt bei dem einen oder anderen Verbraucher eine gewisse „Doppelmoral“. Das ist nicht böse gemeint, sie ist ihm, glaube ich, gar nicht klar. Die Erwartungen an die Bauern entsprechen nicht immer dem eigenen Konsumverhalten. Das Fleisch zu Dumpingpreisen bleibt ja nicht in der Kühltheke liegen, sondern wird ja gekauft. Wer aber mehr Wert auf Tierwohl legt, muss wissen, dass Hähnchenschenkel für Centbeträge skeptisch machen müssen ...

Deshalb brauchen wir Politiker, die mehr erklären, Journalisten, die ebenfalls differenziert erläutern, und einen Schulunterricht, der die Dinge realistisch vermittelt. Und wir brauchen Landwirte, die ihre Höfe öffnen für Schulklassen. Das gibt es schon. Auch das Lehrpersonal muss mitgenommen werden, und das Thema Landwirtschaft sollte in den Lehrplänen eine größere Rolle spielen. Zu wissen, wo unsere Lebensmittel herkommen, kann nicht schaden. Das steigert die Wertschätzung.

Was können Verbraucher tun, damit sich die Landwirtschaft in eine sinnvolle Richtung entwickelt?

Erst mal möchte ich betonen, dass die Landwirtschaft sich nicht, wie in Ihrer Frage enthalten, „sinnlos“ gestaltet. Was heißt denn „sinnvolle Richtung“? Wir alle wollen ein hohes Maß an Tierwohl, einen verantwortungsvollen Umgang mit unserer Umwelt, Erntesicherung und einen hohen gesundheitlichen Verbraucherschutz. Wir sitzen alle in einem Boot. Wir Politiker und Journalisten müssen mehr erklären, anstatt Stimmungen zu erzeugen und einfache Antworten für den schnellen Applaus zu geben.

Auch Verbraucher können etwas tun. Die Sonntagsreden müssen sich in ihrem täglichen Handeln niederschlagen, konkret beim Einkaufen. Wenn ich mir zum Beispiel den Lebensmittel-Einzelhandel anschaue: Da wird zur Grillsaison mit Dumping-Preisen für Fleisch geworben. Zu Preisen, die eine Tierhaltung der von mir erstrebten Art, also noch über die sowieso schon hohen gesetzlichen Standards hinaus, wohl kaum möglich machen.
Wer sich für mehr Tierwohl ausspricht, die Landwirte und Tierhalter anprangert und dann mit der schmalsten Bereitschaft, Geld auszugeben, einkaufen geht, der handelt nicht ehrlich. Für das Auto muss es das teuerste Öl sein, und bei Lebensmitteln wird auf den Cent geschaut.

Insofern kann ich als Verbraucher jeden Tag mit meinem Geldschein an der Kasse abstimmen. Natürlich vergesse ich dabei nicht, dass sich in unserer Gesellschaft nicht jeder teure Bioladen-Lebensmittel kaufen kann. Aber die, die es könnten, die sollten nicht nur reden, sondern auch handeln.

Was muss ich kaufen, damit ich das Richtige kaufe?

Umfragen zeigen: Rund 80 Prozent der Deutschen wünschen sich ein staatliches Tierwohllabel. Das ist hier mein Ziel: Verbrauchern eine klare Orientierung zu geben, damit sie wissen, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten werden, also beispielsweise die Größe des Stalls. Ich begrüße die Initiativen, die zu mehr Tierwohl führen. In der Verantwortung der Bundesregierung liegt es, die rechtlichen Voraussetzungen für eine staatliche Tierwohlkennzeichnung zu schaffen. Die Teilnahme – wie beim Bio-Siegel – ist freiwillig. Wer mitmacht, muss sich an die verbindlichen, überprüfbaren Kriterien halten. Nur wer sich daran hält, darf auch damit werben.

„Schöpfung ist eine Frage der Definition“

So kann der Verbraucher erkennen, warum ein Stück Fleisch vielleicht etwas mehr kostet und dass er damit ein Mehr an Tierwohl unterstützt. Am Ende ist der Verbraucher auch gefragt, was ihm dieses wert ist.
Denn allein kann kein Landwirt die gesteigerten Erwartungen finanziell kompensieren. Tierische Produkte können nicht billig sein und gleichzeitig immer mehr Erwartungen erfüllen, wenn der Verbraucher nicht bereit ist, mehr zu bezahlen.

Unter den Folgen der Dürre leiden besonders solche Betriebe, die großflächige Monokulturen anbauen und sich auf eine Sorte spezialisiert haben, was zunächst effizient klingt. Inwiefern ist ein Umdenken erforderlich?
Gelitten haben auch andere Betriebe, ob klein, ob groß, ob bio oder konventionell. Grundsätzlich: Es ist nicht effizient – und das wissen auch die großen Betriebe – monokulturell zu arbeiten. Ich war auf einem großen Betrieb einer Genossenschaft in der Nähe von Leipzig. Dort werden 14 verschiedene Feldfrüchte angebaut. Es ist immer die Frage, wie jemand wirtschaftet. Gleichzeitig gibt es auch kleine Betriebe, die nur eine Sorte anbauen. Grundsätzlich müssen Landwirte diversifizieren, also mehrere Sorten anbauen, um das Risiko eines Ausfalls zu minimieren.

Und noch einmal: Wenn die Dürre zuschlägt, ist es egal, ob Sie biologisch wirtschaften oder konventionell, ob groß oder klein, das trifft alle in dieser Region.

Papst Franziskus betont immer wieder den Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung. Wie ernst nehmen Sie diesen Auftrag?

Klöckner: Schöpfung ist eine Frage der Definition. Es gibt zum Beispiel Frutarier, die sagen, wir dürfen gar nichts ernten, sondern nur das nehmen, was gerade vom Baum fällt, weil es sonst nicht die Schöpfung bewahrt. Sie sehen, es gibt sehr verschiedene Definitionen. Ist es Bewahrung der Schöpfung, wenn der Hightech-Traktor über den Acker fährt und ganz gezielt das Feld bearbeitet statt mit der Gießkannenmethode? Ich meine ja. Für mich bedeutet es, nachhaltig zu denken. Dass wir nicht alle Ressourcen aufbrauchen, sondern auch an die Auswirkungen denken, die unser Handeln für diejenigen hat, die nach uns kommen. Oder die rechts und links von uns sind. Bewahrung der Schöpfung heißt für mich auch, sich einzuschränken und nicht den einfacheren Weg zu gehen. Aber es heißt nicht, dass in der Natur alles unberührt bleibt. Dann hätten wir auch keinen medizinischen Fortschritt, der Leben retten oder menschenwürdiger gestalten kann.

Interview: Julia Hoffmann und Anja Weiffen

 

Zur Person: Von der Nahe an die Spree

Julia Klöckner wurde am 16. Dezember 1972 geboren und wuchs im Familienweingut in Guldental an der Nahe auf. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Theologie und Pädagogik in Mainz arbeitete sie als Journalistin. Von 2002 bis 2011 war sie Bundestagsabgeordnete. Dann übernahm sie den Vorsitz der CDU-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz. Seit März 2018 ist sie Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. (jul)