Wie einst den Aposteln wurde auch Hans Küng streng verboten, zu predigen

Auf der Seite Gottes

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Ein Lehr- und Predigtverbot für die Apostel? Das funktionierte nicht, die Frohe Botschaft brach sich umso mehr Bahn. Gibt es Parallelen zum Fall Hans Küng, dessen Lebenswerk trotz des Entzugs der kirchlichen Lehrerlaubnis nachhaltig wirkt? Fragen an Stephan Schlensog, den Generalsekretär der von Hans Küng gegründeten Stiftung Weltethos und langjährigen Weggefährten des 2021 verstorbenen Theologen

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Umgeben von Büchern: Hans Küng in seinem Arbeitszimmer im Jahr 2013. Foto: imago images/epd

Herr Schlensog, als Hans Küng 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde: Wie haben Sie das damals erlebt?

Hans Küngs systemkritische Positionen etwa in Sachen päpstlicher Unfehlbarkeit waren in unserer Kirchengemeinde ja bekannt. Allerdings hatte niemand damit gerechnet, dass Rom zu einer solchen Maßnahme greifen würde. Als wir es dann aus den Medien erfuhren, wurde in unserer Gemeinde heftig darüber diskutiert – bis hin zu Sympathiekundgebungen für Hans Küng im Gottesdienst. Über die Erklärung, die Georg Moser, damals Bischof von Rottenburg-Stuttgart, von den Kanzeln verlesen ließ, waren die meisten entsetzt, zumal man erwartet hatte, dass sich der Ortsbischof, der bis dahin vielen als moderat galt, schützend vor seinen Theologen stellen würde.

Und wie hat er selbst es erlebt?

Für ihn war es eine dramatische Zäsur, die er so nie erwartet hatte. Nach turbulenten Wochen und schwierigen auch öffentlichen Auseinandersetzungen um seine Person war Hans Küng in die Ferien gefahren, wo ihn die telefonisch übermittelte Nachricht vom Entzug der Missio buchstäblich wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen hat. Ihm war klar, dass nichts mehr so sein wird, wie es vorher war. Die Sache hat ihn damals so mitgenommen, dass es in der Folge Zeiten gab, in denen er buchstäblich nicht mehr fähig war zu sprechen.

Ein offenes Verfahren vor der Glaubenskongregation, sozusagen vor dem „Hohen Rat“ wie in der Apostelgeschichte, gab es für ihn nicht. Wie hätte das aussehen können?

Voraussetzungen für ein faires und vor allem transparentes Verfahren wären Akteneinsicht gewesen sowie die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Beides war im Fall Küng nicht gegeben. Vielmehr verfasste die Glaubenskongregation in aller Stille eine Erklärung zum Entzug seiner kirchlichen Lehrbefugnis, die dem Ortsbischof zur Kenntnisnahme vorgelegt und tags darauf vom Papst approbiert wurde, um eine Woche später – nach einem geheimen Treffen der Akteure im Ausland – veröffentlicht zu werden. Alles ohne Wissen des Beschuldigten und ohne irgendeine Möglichkeit, sich zu verteidigen.

In ihrer Verteidigung sagen die Apostel: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ War das auch für Hans Küng ein Thema in seinem Verfahren?
 

Ich denke, Gehorsam ist in diesem Fall die falsche Kategorie. Vielmehr vertraute Hans Küng darauf und war überzeugt, dass er mit seinen theologischen Positionen auf der richtigen Seite stehe – wenn Sie so wollen, auf der Seite Gottes und nicht auf der Seite der von Menschen gemachten Institution –, und dass der Missio-Entzug ungerechtfertigt sei. Deshalb war er auch entschlossen, nicht aufzugeben.

Nicht aufgeben ist das eine. In Apg 5,41 steht aber: „Sie freuten sich, für seinen (Jesu) Namen Schmach zu erleiden.“ Wie hat Hans Küng reagiert?

Nach dem ersten Schock ging er in die Offensive. Am Tag nach der Benachrichtigung wurde ein Krisenstab aus Mitarbeitern und befreundeten Kollegen gebildet. TV-Sender und andere Medien, die vor seinem Haus Schlange standen, wurden mit Statements bedient. Dann fand sich Küng in seiner Vorlesung ein, die wegen seines geplanten Urlaubs ursprünglich sein Assistent halten sollte, und nahm unter dem Beifall von rund 2000 Studierenden Stellung: dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen sei, dass er katholischer Theologieprofessor bleiben wolle und dass er dafür mit allen Mitteln kämpfen werde.

Trotz aller Kämpfe und Leiden an ihr hat Hans Küng die Kirche immer als seine Heimat gesehen und sich als katholischer Priester und Theologe verstanden – bis zu seinem Tod. Was hat ihn gehalten?

Gehalten hat ihn vor allem sein Glaube an die katholische Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, in der Gottes Geist wirkt und ungezählte Menschen weltweit die Nachfolge Jesu praktizieren. Gehalten hat ihn auch die Hoffnung auf ein Petrusamt mit moralisch-pastoraler Autorität, so wie er es unter Papst Johannes XXIII. erlebt hat.

Bei seiner Trauerfeier wurde die Bach-Kantate „Jesus bleibet meine Freude“ gespielt, die auch vielen Menschen Halt gibt. Was kam für ihn darin zum Ausdruck?

Jene Überzeugung, die Hans Küng am Schluss seines Buches „Christ sein“ zum Ausdruck bringt: „In der Nachfolge Jesu Christi kann der Mensch in der Welt von heute wahrhaft menschlich leben, handeln, leiden und sterben: in Glück und Unglück, Leben und Tod gehalten von Gott und hilfreich den Menschen.“

Das Lebenswerk von Hans Küng wurde von manchen schon zu Lebzeiten gar als prophetisch angesehen. Erfüllte ihn diese faktische Rehabilitierung – sozusagen „von der Schmach“, wie es in der Apostelgeschichte heißt – mit Genugtuung? 

Hans Küng lebte und starb in der Gewissheit, dass er in den Augen zahlloser Katholikinnen und Katholiken längst rehabilitiert ist. Er hätte sich aber gewünscht, diese Anerkennung noch zu Lebzeiten auch durch die Kirchenleitung zu erfahren. 

Was bleibt?

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen wunderbaren Menschen mit einem Lebenswerk, das seinesgleichen sucht und das von der Theologie in seiner Tragweite noch nicht ansatzweise ausgelotet ist.

Das Gespräch führte Michael Kinnen.

Foto: Stiftung Weltethos
Stephan Schlensog ist langjähriger Weggefährte Küngs und Generalsekretär der von Hans Küng gegründeten Stiftung Weltethos. Foto: Stiftung Weltethos