Zu Armin Petras’ Theater-Interpretation von Tolstoi’s „Auferstehung“

Auferstehung nur zu Lebzeiten?

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Nach mehrfachen Anläufen wird Armin Petras’ Theater-Interpretation des Tolstoi-Romans „Auferstehung“ endlich aufgeführt. Gäste hatten die Möglichkeit, mit Dramaturg Bernd Isele ins Gespräch zu kommen.


Die Geschichte um Dmitri Nechljudow und Ekaterina Malowa beruhrt auf einer wahren Begebenheit.    Foto: Arno Declair


„Aller guten Dinge sind drei“, könnte das Motto der Aufführungsgeschichte des Theaterstücks „Auferstehung“ nach dem Roman von Leo Tolstoi lauten. Zweimal musste die Premiere verschoben werden, bis es Ende März zur ersten Aufführung im Deutschen Theater Berlin kam. Wer – sinnbildlich gesprochen – etwas hinter die Kulissen des Stücks blicken wollte, der konnte am 7. April der Einladung der Katholischen Akademie folgen und im Anschluss an die Vorführung mit dem verantwortlichen Dramaturgen Bernd Isele ins Gespräch zu kommen.

Nechljudows spätes Schuldbewusstsein
„Auferstehung“, Tolstois dritter und letzter Roman, ist eine unversöhnliche Anklage der Zustände im Zarenreich, das die bäuerliche Bevölkerung ausbeutet und sich einer Verbesserung der Lebensbedingungen der hungernden Massen beharrlich verweigert.
Der junge Adlige Dmitri Nechljudow schläft in einer Osternacht mit der jugendlichen Hofmagd Jekaterina Maslowa, genannt Katjuscha – gegen deren Willen. Elf Jahre später begegnen sich die beiden vor Gericht wieder. Katjuscha, nach dem Missbrauch und der folgenden Schwangerschaft in die Prostitution geraten, ist zu Unrecht des Mordes an einem Freier angeklagt. Nechljudow, der zu den Geschworenen gehört, durchschaut dies, kann den Schuldspruch aber nicht verhindern.
Er fühlt sich verantwortlich für das Schicksal der Frau, die er als das von ihm missbrauchte Mädchen wiedererkennt, und setzt sich für die Aufhebung des Urteils ein. Zunehmend erlebt er die Verdorbenheit des herrschenden Systems und beschließt, dem Luxusleben abzuschwören, sein Hab und Gut an die Bauern abzutreten und schließlich der Maslowa nach Sibirien zu folgen.
Nach einigen stilistischen Experimenten im ersten Teil verändern sich nach der Pause Aufmachung und Stilmittel. Fortan wird das Publikum mit drastischen  Bildern konfrontiert. Geschundene, gefesselte nackte Körper in Eiseskälte, aus den Lautsprechern ertönt laute, basslastige Technomusik. Die Botschaft ist klar: Das Lagersystem ist keine Besserungsanstalt zur Vorbereitung auf eine Rückkehr in die Gesellschaft, sondern eine Schlachtbank, eine Mühle zur Brechung von Individuum und abweichendem Gedankengut. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft erscheint hier weder möglich noch vorgesehen.
Gewöhnliche Kriminelle, Diebe und Mörder, sind hier mit Gesinnungstätern zusammengepfercht, die mit frischem Geist die Überwindung des vorherrschenden Elends anstreben. Die Szenerie erinnert an die Passionsgeschichte Christi, der wegen seiner Lehren ans Kreuz genagelt wurde, zusammen mit den Verbrechern Dismas und Gestas.

Gesprächsrunde danach: Wo ist die Auferstehung?
In der Gesprächsrunde nach der Aufführung hatten die Zuschauer Gelegenheit, sich im großen Stuhlkreis mit Dramaturg Bernd Isele über das Stück auszutauschen. Katrin Visse und Peter Gößwein von der Katholischen Akademie hatten keine Probleme, eine lebhafte Diskussion in Gang zu bringen, die gewaltige Bildsprache hatte durchaus Eindruck hinterlassen. Die eigentliche Frage, die vielen Teilnehmern nicht zuletzt angesichts des Werktitels auf der Zunge zu liegen schien, warf schließlich Moderator Gößwein in den Raum: „Wo genau kam im Stück denn eigentlich die Auferstehung zur Geltung?“
Eine berechtigte Frage, kommt eine Auferstehung nach dem Tode weder im Roman noch in der Theater-Umsetzung von Armin Petras vor. Tatsächlich ist über Leo Tolstoi bekannt, dass er in späteren Jahren nicht mehr an die Auferstehung im Jenseits glaubte. Nach seinem Verständnis findet Auferstehung vielmehr schon im irdischen Dasein statt – wenn die Menschen sich der Botschaft Jesu, dem Evangelium, öffnen und materiellen, fleischlichen Begierden entsagen.
Den Gästen gelang es, diese Art von Auferstehung im Stück wiederzufinden. „Zum Beispiel in dem Moment, als es Katjuscha gelingt, selbst an diesem menschenfeindlichen Ort Heiterkeit und Schönes zu entdecken und neue Gefährten, sogar Liebe, zu finden“, sagte eine Zuschauerin. Auch der Protagonist Nechljudow erlebt eine Art Auferstehung im Tolstoischen Sinne. Er löst sich von seinem Leben im Überfluss und bereut aufrichtig, was er Katjuscha in jungen Jahren angetan hatte. Ein glückliches Ende bleibt ihm dennoch versagt, die Maslowa entscheidet sich gegen ihren in die Verbannung nachgereisten Verehrer und heiratet stattdessen den Mithäftling und Revolutionär Simonson.
„In einer früheren Version hatte Tolstoi ein Happy End vorgesehen, in dem die Maslowa Nechljudows Liebe erwidert und die beiden in der Gefängniskirche heiraten“, sagte Bernd Isele. Weil sein Publikum bei der Vorstellung des Manuskripts jedoch entsetzt reagierte, verwarf er den Ausgang und ersetzte ihn durch das tragische Ende. „In diesem Moment war Tolstoi daran gescheitert, die Figur des Weltverbesserers Nechljudows ans Ziel zu führen.“
Auf ganz ähnliche Weise sei, so Isele, auch der Mensch Tolstoi Zeit seines Lebens an den eigenen Ansprüchen gescheitert. „Er trat offensiv für biblische Ideale wie Bescheidenheit, Enthaltsameit und uneigennützige Nächstenliebe ein.“ Diese Ideale aber auch selbst zu leben, das sei Tolstoi in letzter Konsequenz nie gelungen.

Von Stefan Schilde