Aus der Geschichte lernen
Foto: Marco Heinen
Kiel, Lübeck, Husum, Eckernförde, Neumünster, Schleswig, Rendsburg, Bargteheide, Heide und viele Orte mehr: Überall gingen am vergangenen Wochenende auch in Schleswig-Holstein Tausende Menschen auf die Straße, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit zu setzen. Allein in Kiel sollen es über 11 000 Menschen gewesen sein, in Lübeck war von 8 000 bis zu 10 000 die Rede. Viele Demonstranten trugen Plakate, auf denen konkret die AfD angesprochen wurde, denn es ist diese Partei, die für den Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft, vor allem aber für die scheinbare Salonfähigkeit einer enthemmten Sprache und radikalen Politik steht.
Auslöser für die Proteste war ein Bericht über ein Treffen in Potsdam, bei dem ein österreichischer Rechtsextremist im Beisein von AfD-Politikern über seine Pläne für eine „Remigration“ von Millionen Menschen schwadroniert haben soll. Potsdam liegt unweit des Wannsees, wo führende Nationalsozialisten einst die „Endlösung der Judenfrage“ planten.
Es war daher in jeder Hinsicht passend, dass viele der Demonstrationen am 27. Januar stattfanden, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee im Jahr 1945. „Kein Tag sonst steht so für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, wie eine Rednerin bei der Demo in Lübeck sagte.
Unter dem Motto „Die offene Gesellschaft verteidigen – dem Rechtsruck entgegentreten!“ hatten dort 15 Organisationen zur Demonstration aufgerufen. Dass vorneweg ein fragwürdiges Plakat mit der Aufschrift „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“ und Fahnen der Antifa-Gruppierung, deren Mitglieder selbst häufig allenfalls wackelig auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, getragen wurden, dürfte nicht allen Teilnehmern gefallen haben. Ebenso wenig, wie mancher Wortbeitrag bei der Kundgebung.
„Kein Marzipan für Nazis“, stand auf einem Plakat
Denn das gemeinsame Anliegen, sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie einzusetzen, bedeutet ja nicht, dass die Demonstranten auch sonst in politischen Fragen eine einheitliche (linke) politische Haltung haben würden. Es wäre wünschenswert, wenn die einzelnen Gruppierungen künftig der Versuchung zur politischen Vereinnahmung stärker widerstehen würden, sofern sie das gemeinsame Ziel nicht auf Dauer diskreditieren wollen.
Mehrheitlich bildeten die Teilnehmer – darunter zahlreiche Familien mit ihren Kindern – aber wohl eher die Mitte unserer Gesellschaft ab. Ihre Plakate waren klar in der Sache und oft amüsant in der Ausführung: „Kein Marzipan für Nazis“ oder „Nazis essen heimlich Falaffel“ stand da etwa zu lesen. Aber auch „Nie wieder ist jetzt“ und „Wer in einer Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf“ hatten Demonstranten auf Pappkartons geschrieben. Fahnen mit Aufschriften wie „Unser Kirche ist vielfältig“ und „Unser Kreuz hat keine Haken“ verwiesen auf etliche kirchennahe Teilnehmer.
Der Lübecker Propst Christoph Giering hält es für bedenklich, dass offenbar immer mehr Menschen bereit sind, an einfache Lösungen für die komplexen Probleme unserer Zeit zu glauben und Parteien wie der AfD auf den Leim gehen. „Es gibt Leute aus der rechten Ecke, die einfache Gesellschaftsmodelle vertreten. Das Gefährliche an diesen rechten Einstellungen ist das Antidemokratische“, sagte er im Gespräch am Rande der Demonstration. Er sieht durchaus Probleme im Bereich der Migrationspolitik, worauf auch durch demokratische Politiker in den Städten und Kommunen immer wieder hingewiesen werde. „Dieses Problem wird man unbedingt angehen müssen“, doch es werde derzeit durch die Diskussion um rechte Parolen überlagert, ist Giering überzeugt. Ihm selbst sei es wichtiger, „für etwas zu sein, und ich bin für die Demokratie. Wir brauchen sie. Wir brauchen die Vielfalt, und wir brauchen die Auseinandersetzung. Wir brauchen nicht die, die den anderen alles absprechen, sondern wir brauchen dieses Ringen“, so der Propst.
Dann bahnt er sich einen Weg durch den Demonstrationszug, denn sein eigentliches Ziel an diesem Tag ist eine andere Versammlung, bei der gerade einmal 40 Menschen zusammenkommen – am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, unweit der Propsteikirche Herz Jesu.
Nur wenige Menschen bei Gedenken an Nazi-Opfer
Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau spricht von einem „in doppelter Hinsicht bedeutenden Tag für die Stadt“ und meint damit das Gedenken und das von Tausenden getragene „Bekenntnis vieler Menschen in der Stadt zur Demokratie und gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit“. Manchmal frage er sich, was wohl noch passieren müsse, damit sich so viele Menschen klar positionierten. „Ich sage das nicht anklagend, sondern einfach nur nachdenklich, weil wir auch diese Gedenkveranstaltung Jahr für Jahr immer wieder vollziehen und wir auch schon Tage wie diesen hatten, an denen wir hier mit weniger als zehn Personen gestanden haben“, so der SPD-Politiker. Und doch sei es gut, dass nun so viele Menschen durch die Stadt zögen, um gegen Ausgrenzung und Hass Stellung zu beziehen.
Denn für diejenigen, die zu Opfern des Nationalsozialismus wurden, standen in Nazi-Deutschland nur wenige auf und bekannten Farbe