Hochsaison für plattdeutsches Theater
Balsam für die Seele

Foto: Petra Diek-Münchow
"Jens Petersen kriggt Besök" heißt das plattdeutsche Stück, das der Theaterverein Lähden in dieser Saison zeigt - mit Hannes Middendorf (v.l.) und Guido Kroner.
Dieter Strüwing schaut in die Runde. „Heute Abend spielen wir alle drei Akte komplett durch“, sagt er. Setzt sich für seine Rolle fix die passende Kappe auf und geht in Position. „Klappe, die erste“, ruft jemand zurück und schon startet die Probe für „Jens Petersen kriggt Besök“ (Jens Petersen bekommt Besuch). So heißt die plattdeutsche Komödie, in dem die emsländische Theatergruppe Lähden von dem etwas brummeligen Junggesellen Jens erzählt, den der unverhoffte Besuch seiner reichen Tante Ilse aus seiner gewohnten Routine wirft. „Da lacht der ganze Saal“, verspricht Strüwing.
"Der Saal ist immer proppenvoll"
Strüwing ist Vorsitzender der Theatergruppe Lähden, Pastoralreferent und pastoraler Koordinator in der benachbarten Pfarreiengemeinschaft. Diese Verbindung zwischen dem örtlichen Laientheater und der Kirche ist, wie bei vielen plattdeutschen Theatern im Emsland und in der Grafschaft Bentheim, nicht ungewöhnlich. Viele der Spielerinnen und Spieler engagieren sich in den Gemeinden oder kirchlichen Gruppen. Der Tontechniker sitzt als stellvertretender Vorsitzender in Lähden im Kirchenvorstand, die Regisseurin war auf dem Posten viele Jahre seine Vorgängerin. In anderen Orten gehören die Gruppen der Kirchengemeinde, der Kolpingsfamilie oder der katholischen Landjugend an. In Lähden hatte Pfarrer Hermann Rothlübbers in den 1930-iger Jahre die ersten, damals noch überwiegend religiösen, Stücke initiiert. Heute zeigt die Spielschar mit 30 Mitglieder vor allem Komödien. Die sechs Aufführungen kommen stets gut an. „Der Saal ist immer proppenvoll“, sagt Dieter Strüwing. Es gibt Jahre, da muss die Gruppe wegen der großen Nachfrage noch eine Zusatzvorstellung geben.
Die große Resonanz in den Dörfern zeichnet alle plattdeutschen Laientheater in der Region aus. Meist muss man sich rechtzeitig um Eintrittskarten bemühen, denn sonst sind die Räume in Jugendheimen und Gemeindezentren, Heimathäusern und Schulforen schnell ausverkauft. Tausende Gäste ziehen die Aufführungen der über 50 Gruppen zwischen Mitte Januar und dem Frühjahr an. Dahinter steckt jede Menge ehrenamtlicher Einsatz in hunderten Probenstunden. „Da sind bei uns in der Region sicher 2000 Leute aktiv“, sagt Gerlinde Schmidt-Hood, und in dieser Einschätzung steckt viel Wertschätzung für diese Kulturarbeit.
Die Nordhornerin leitet die Arbeitsgemeinschaft Plattdeutsches Theater, in der die meisten Spielgruppen aus dem Emsland und der Grafschaft Bentheim zusammengeschlossen sind. Der Verein sorgt für Austausch, gibt ein Heft mit dem Spielplan heraus, bietet Tipps für Ausstattung und Finanzierung. Schmidt-Hood ist nicht nur von Amts wegen ein großer Fan des plattdeutschen Theaters. Sie spielt auch selbst und schaut sich gern verschiedene Inszenierungen an. „Das ist selbst gemacht, von Menschen aus dem Ort für den Ort. Das ist immer generationenübergreifend und da findet immer Begegnung statt, gerade jetzt an den langen Winterabenden“, sagt sie und spricht liebevoll von „Seelenbalsam“. Denn viele Gruppen verbinden die Aufführungen zusätzlich mit Events wie Frühstück für Familien oder einer Kaffeetafel für Senioren. Das hat nach ihrer Auffassung eine hohe Bedeutung für die Kommunikation im Dorf – schafft Kontakte und hilft gegen Vereinsamung. „Das sind die Dächer, die das Zusammenleben prägen und bewegen.“
Das gilt auch für Orte wie Lähden. Bewusst bleibt der Eintritt niedrig, bewusst stehen die Stühle rund um Tische und nicht in Reihe. Das mag einige Plätze kosten, schafft aber Raum für die Pausen-Plauderei der Gäste. „Es soll gesellig sein, wir wollen den Leuten einen schönen Abend mit ein paar unbeschwerten Stunden bieten“, sagt Guido Kroner, der in dieser Saison die titelgebende Hauptfigur übernimmt. Wie bei Dieter Strüwing liegt das plattdeutsche Theater quasi in seiner DNA. Schon die Opas und Papas standen auf der Bühne, haben inszeniert oder die Gruppe geleitet. „Ich bin damit groß geworden“, sagt Kroner. Er mag die Sprache, die Gemeinschaft, die Herausforderung des Spiels, das Schlüpfen in andere Rollen – und kann es im Herbst kaum abwarten, bis die Proben wieder starten. Für Strüwing kommt das Theater einer Therapie gleich. „Das ist positiver Stress und ich freue mich, wenn wir die Leute zum Lachen bringen.“ Das gilt auch für den Nachwuchs wie Sarah Feldhaus. Die 27-Jährige ist nach eigenen Worten „keine geborene Plattsprecherin“, aber ihr macht das Theaterspiel einfach Spaß. Zudem ist ihr das Engagement für ihren Heimatort wichtig, wie auch in der Landjugend, im Musikverein oder im Fußball. „Und ich hab‘ hier viel dazugelernt“, sagt sie und erntet ein zustimmendes Nicken von Dieter Strüwing. „Wir machen das ja auch, damit Plattdeutsch bleibt. Das gehört zu unserer Region und Tradition“, sagt er.
Ein Sprachbad für mehrere Stunden
Was bedeuten denn die plattdeutschen Theater tatsächlich für den Erhalt der Sprache? Gerlinde Schmidt-Hood weiß, dass sie die zunehmend aus dem Alltag schwindende Sprache nicht werden retten können. Aber sie sind doch zu einem der wichtigsten Träger des Plattdeutschen geworden. „Es ist die einzige Kulturform, die für das Publikum ein Sprachbad über mehrere Stunden hinweg leistet.“ Bauernschwänke mit Magd und Knecht gibt es dabei allen Klischees zum Trotz kaum noch, die Stücke spielen in der Gegenwart. Und dass es meist Komödien sind, findet Schmidt-Hood völlig okay. „Das ist die schwerste Kunstform, und es darf auch einen gewissen Spaßfaktor haben.“ Dabei ist vielen Gruppen Qualität und Niveau wichtig. Die Lähdener verändern schon mal allzu flache, allzu zotige Formulierungen aus der Vorlage. „Es darf nicht so ,butt’, nicht verletzend sein“, sagt Dieter Strüwing.
Dass sich das plattdeutsche Theater weiter verändern wird, glaubt Gerlinde Schmidt-Hood auch. „In einigen Jahren werden wir sicher mehr zweisprachige Stücke haben, weil ja nicht mehr jeder Platt spricht und versteht.“ Sie macht Mut zu solchen Schritten und auch zu modernen, experimentellen Inszenierungen, die aktuelle Themen aufgreifen. Wie „Weech van tohuuse“, mit dem die Arbeitsgemeinschaft schon einmal das Thema Migration, Integration und Glaubenskonflikte aufgegriffen hat.
Gerade in Planung ist ein Stück zum Jubiläum des „Emslandplans“, einem 1950 beschlossenen Infrastrukturprogramm für die damals stark benachteiligte Region. Darin wird es auch um das Rollenverständnis von Frauen und Männern gehen. Und gut vorstellen könnte sich Schmidt-Hood Theater auf Plattdeutsch auch zu Themen wie Demenz, Toleranz und Dialog im Dorf. „Da ist in den nächsten Jahren noch viel mehr möglich.“
Die Arbeitsgemeinschaft Plattdeutsches Theater hat ein Heft herausgegeben mit Informationen zu den einzelnen Gruppen, den Stücken und Terminen. Auf der Internetseite gibt es den aktuellen Spielplan. Dieser liegt auch meist in den Orten der jeweiligen Theatergruppen aus. Information: https://www.platttheater.de