Bin ich hier willkommen?
Foto: Andreas Hüser
Was passiert, wenn ein Fremder in eine Kirche kommt? Wird jemand vor der Tür stehen und sagen: „Schön, dass Sie hier sind! Treten Sie ein! Fühlen Sie sich ungestört! Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, sprechen Sie mich an!“ Das wäre ideal. Aber ein solcher Begrüßungsdienst ist nicht überall machbar. Schon gar nicht an den Werktagen.
Aber etwas anderes ist möglich: Eine Botschaft, die dasselbe in schriftlicher Form ausdruckt. „Sommerlektionar“ heißt ein Projekt, dass der Theologe Dr. Thomas Kroll (Pastorale Dienststelle) für die Kirchen des Erzbistums Hamburg entwickelt hat. Ein „Lektionar“, das ist normalerweise das große und prächtige Buch, aus dem im Gottesdienst die Lesungstexte vorgetragen werden. Das Sommerlektionar dagegen ist nur ein Blatt. Auf der einen Seite ein Foto, auf der anderen ein Lesungstext von der Sonntagsmesse, dazu drei Fragen, die die Betrachter zum stillen Nachdenken bringen können. Dazu ist noch Platz für die Kontaktdaten vor Ort.
„Welchen Schatz, welche Perle(n) habe ich in meinem Leben schon gefunden?“ „Wie stelle ich mir das Ende der Welt vor?“ „Wo bin ich dann?“ Das waren Fragen zum Gleichnis vom „Schatz im Acker“, dem Sonntagsevangelium vom 30. Juli.
Thomas Kroll hat dieses Lektionar allen Pfarreien und Gemeindeteams im Erzbistum angeboten. Viele haben mitgemacht. Und es gab Rückmeldungen. Im Ostseebad Damp liegt das Lektionar in Reha-Kliniken aus. Ein Diakon nutzt es im Wortgottesdienst: Statt Predigt ein Moment der Stille und des Nachdenkens über die drei Fragen.
Drei Fragen, die sich jeder stellen kann
Das Projekt „Sommerlektionar“ ist nicht das einzige seiner Art. Das Wort „Willkommenskultur“ ist inzwischen ein geläufiger Begriff. „Am Anfang hat man von Willkommenskultur im Zusammenhang mit Migration und Integration von Flüchtlingen gesprochen. Aber es ist auch ein Thema unserer Kirche“, so Thomas Kroll. Wie es ist, als Fremder ahnungslos in eine Kirche zu kommen und nicht Bescheid zu wissen, das hat er selbst erlebt. Nämlich in einem Gottesdienst in Schweden. „Aber in der Kirche, da lag ein Blatt, auf dem der ganze Gottesdienst aufgezeichnet war, mit allen Liedern und jedem gesprochenen Wort. Man wusste immer, wo man war.“ Das hat ihn auf die Idee des Lektionars gebracht.
Man muss aber nicht nach Schweden fahren, um gute Beispiele für Willkommens-Hilfen zu finden. In Reinbek findet jeder Fremde, der die katholische Kirche betritt, das Heft „Herzlich willkommen – Herz-Jesu-Kirche Reinbek“. Auf den folgenden Seiten wird nicht nur die Kirche beschrieben.
Es gibt Geschichten zum Nachdenken, Gebete für verschiedene Lebenssituationen, einen Segen zum Abschluss. „Das hat sich sehr bewährt und ist bei Besuchern beliebt“, sagt Axel Valentiner-Branth aus dem Reinbeker Gemeindeteam. „Nicht nur Urlauber, sondern auch Gelegentlich-Kirchgänger, Gäste bei Taufen, Trauungen, Erstkommunionfeiern, Firmungen nehmen das gerne mit. Auch bei Einschulungsgottesdiensten, Besuch von Konfirmandengruppen und weiteren Anlässen wird danach gefragt. Und man kann damit sogar für einen Besuch in unserer Kirche werben, zum Beispiel bei Neuzugezogenen.“
Und da, wo es persönliche Begegnungen gibt, ist es nützlich, etwas „in der Hand zu haben“ und verschenken zu können. Und alle sind sich einig: Ein Mensch, der vor der Kirchentür steht und einlädt, wäre das Beste. Ganz illusorisch ist so etwas nicht. Denn vor wenigen Jahren gab es etwas Ähnliches: Die Ordner, die während der Coronazeit an der Tür standen und Impfpässe angesehen haben. Thomas Kroll erinnert sich an seine eigene Gemeinde: „Es war klasse, wenn man hineinkam und der Ordner strahlend sagte: O, Sie sind heute wieder Kantor! Wie schön!“ Und: „Ein Ordner sagte mir: Ich kenne mittlerweile die ganze Gemeinde.“
Die Ordner gab es, weil es sie geben musste. „Die Frage ist nun: Wie kommen wir von einem Ordnerdienst zum Willkommensdienst?“
Erkennt man einen öffentlichen Raum?
Nicht alles klappt überall. Und viele Ideale lassen sich nicht erreichen. Aber es sind auch kleine und unscheinbare Dinge, die darüber entscheiden: Wirkt eine Kirche auf Gäste einladend, gleichgültig oder abweisend? Ein evangelischer Kirchenkreis aus Berlin hat dazu eine „Checkliste Willkommenskultur“ entworfen. Die Liste hat 63 Punkte, die man ankreuzen kann. Angefangen bei der Frage: Haben Kirche und Gemeindehaus eine Adresse und eine sichtbare Hausnummer?
Weitere Punkte sind zum Beispiel: Bekommen die Besucher ein Gesangbuch mit Gottesdienstordnung? Sind Vaterunser und Glaubensbekenntnis ausgedruckt? Können sich Besucher in den Räumen orientieren? Und wie sehen die Gemeinderäume aus? Glaubt man, in einer Abstellkammer für Stühle zu sein? Oder, umgekehrte Frage: „Ist erkennbar, dass es sich um öffentliche Räume handelt, oder sind die Gemeinderäume ,verwohnzimmert‘? Zum Beispiel mit ausrangierten Topfpflanzen oder Möbelstücken?“
In Sachen Willkommenskultur ist noch einiges zu tun. Aber viele haben das Thema im Blick. Thomas Krolls Aktion „Sommerlektionar“ ist im August abgelaufen. Aber schon bald, im Advent, soll es ein ähnliches Angebot geben. Mit Adventsliedern, die jeder kennt, und entsprechenden Fragen, die sich beim Singen noch nicht jeder gestellt hat.