Glaubenstage in Gemeinden des Nordens
Raus aus der Kirchenblase
Foto: Andreas Hüser
Samstag, 9. November, die Kirche Heilig Kreuz in Kaltenkirchen liegt verlassen da. Gegenüber aber, im Gymnasium Kaltenkirchen, ist richtig was los: Ehrenamtliche der Pfarrei Seliger Eduard Müller haben zum „Treffpunkt Gott – Kleiner Kirchentag“ eingeladen. 100 Menschen sind gekommen. Es werden Workshops für Erwachsene und Kinder angeboten – oft Gesprächsrunden wie „Was gibt mir ‘katholisch sein’?“, „Wie gelingt Gemeinde?“ oder zum historischen Datum 9. November. Wer will, kann bis zu drei Workshops der insgesamt 20 ehrenamtlichen Referenten belegen. Es ist der dritte „Kleine Kirchentag“ nach 2018, 2019 – und nach Corona. Ein Kraftakt, das Format wieder auf die Beine zu stellen, ist später zu hören.
Bei Nedra Ouarghi und Jad Yzidi vom Hamburger „Fachrat Islamstudien“ sind Fragen zum Islam willkommen: Was unterscheidet sunnitische von schiitische Moscheen? Welche Rolle spielt die Nationalität bei der Wahl ihrer Moschee? Auch auf die Frage, warum Frauen und Männer getrennt beten, gab es Antwort: „Das Gebet ist sehr körperlich. Wir Frauen mögen es nicht, so dicht mit den Männern zusammen zu beten“, erläutert die Islam- und Politikwissenschaftlerin Ouarghi.
Es sei wichtig, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen „zusammenkommen, vonein¬ander lernen und eventuelle Vorurteile oder Bilder im Kopf abbauen“, so die gebürtige Hamburgerin mit tunesischen Wurzeln. Teilnehmerin Annerose Bauer, deren Sohn Islamwissenschaften studiert, sagt hinterher: „Es interessiert mich, wie es in einer anderen Religionen zugeht, ich kenne ja nur das Christliche.“
Die Bibel wie ein Tagebuch nutzen
Kreativ geht es beim „Bible Art Journaling“-Workshop von Bianca Leinung-Holtfreter zu, die eine Einführung in die künstlerische Bibelarbeit gibt, ein Trend aus den USA. Dabei wird die Bibel wie ein Tagebuch genutzt, Gedanken zum Text werden in der Bibel notiert, ebenso Illustrationen. „Es gibt für diese Art Bibelarbeit eigene Ausgaben, die auf dickeres Papier gedruckt sind und den entsprechenden Platz lassen“, erzählt sie. Teilnehmerin Regina Brückner, die sich nie allein an diese Art der Bibelarbeit herangetraut hat, ist ganz begeistert: „Einige haben richtig tolle Sachen gemacht“, sagt sie.
Doch warum das Ganze? Heiner Flügel vom Organisationsteam: „Wir wollen gerne über Kirche reden. Wir wollen wissen, was die Leute sich von Kirche noch vorstellen. Was verbindet sie noch mit der Kirche, warum kommen sie?“ Dabei sei bewusst nicht die Kirche als Ort gewählt worden. Initiatorin Angelika Schäfer, ehemalige Gemeindereferentin, hatte sich auf einer Fortbildung von der aus Amerika stammenden Idee „Treffpunkt Gott“ begeistern lassen. Es sei gut, „dass man nicht im Kirchengebäude ist, sondern irgendwo in der Stadt, um Leuten, die nicht zum Kern gehören, einen Raum zu eröffnen.“
Die ganze Welt des Glaubens in Rostock
Ortswechsel, Rostock, eine Woche später: Freude und Fröhlichkeit – das erwartet kaum noch jemand von der Kirche. „Gerade deshalb haben wir unser Motto gewählt“, sagt der Rostocker Pfarrer Dietmar Wellenbrock. „Seid fröhlich in der Hoffnung!“ lautet das Jahresmotto der Pfarrei und Motto des ersten Glaubenstages am 16. November. „Wir sind hier für alle offen. Wir laden ein, Fragen zu stellen. Den Glauben zu leben und zu sehen und nach Antworten zu suchen“, so Wellenbrock bei der Begrüßung in der Don-Bosco-Schule. In eine stadtbekannte Schule wagen sich Außenstehende eher als in eine Kirche – so war die Überlegung. Es kamen wenig Fremde. Aber diejenigen, die kamen, fanden einen idealen Tagungsort. Unter 17 Workshops, Sprechstunden und Aktionen konnte man auswählen. Jede Aktion wurde wiederholt angeboten – zweimal vormittags, zweimal nachmittags –, jeder wählte also sein eigenes Programm. Etwa: „Glaube und Wissenschaft“ mit dem Physiker und Diakon Stefan Handy. Neue geistliche Lieder mit Bernd Hackl. Mit Figuren biblische Geschichten erzählen, unter der Leitung von Birgit Jordan. Was bleibt von „fröhlich in der Hoffnung“, wenn einen Zweifel und Schicksalsschläge treffen? Auch das wurde nicht ausgeblendet. Glaube muss sich bewähren und verändert sich, so eine Erkenntnis im Gesprächskreis mit der Theologin Dorothea Dubiel mit dem Titel: „Eigentümer gibt bekannt: Kinderglaube fortgerannt“.„Trauer“ war ein weiteres ernstes Thema (mit Klinikseelsorger Michael Sobania und Klaus Pischel vom Hospizdienst der Caritas). Und im Spiegelkabinett der KJM konnte man in einem Scherbenhaufen und im Zerrspiegel auf das eigene Ich schauen. Der Spiegelparcours wurde beim Taizé-Europatreffen 2022 zum ersten Mal eingesetzt. Taizé darf in Rostock nicht mehr fehlen. In seinem Workshop mit Taizé-Liedern hat Werner Koch ganze drei Stunden – in vier Durchgängen – gespielt und gesungen. Langweilig? Nein. Denn in jedem Durchgang gesellten sich Musiker mit verschiedenen Soloinstrumenten dazu. So klangen die Lieder immer anders. Am Ende war der Kantor begeistert: „Immer ein ganz neues Klangerlebnis. Das war ein Geschenk!“