Gesang im Gottesdienst in der Corona-Zeit
Bloß nicht zu laut!
Das Singen macht einen Gottesdienst erst richtig schön. Es stiftet Gemeinschaft, es geht ans Herz. Nun, in Zeiten von Corona, ist es plötzlich eine Gefahr. Ohne Gesänge fehlt viel. Doch immerhin gibt es kreative Alternativen.
Jeder Kirchgänger kennt sie: die Klassiker, die besonders laut geschmettert werden, voller Inbrunst, aus tiefstem Herzen. „O du fröhliche“ an Weihnachten, „Das Grab ist leer“ in der Osternacht – und sowieso jederzeit gern: „Großer Gott, wir loben dich“. Wenn eine Gemeinde diese Lieder zusammen singt, dann ist das nicht einfach nur Musik. Sondern es berührt, es verbindet, es gibt eine Ahnung vom Himmel. Gemeinsamer Gesang habe „etwas Göttliches“, sagt Thomas Gabriel, Kirchenmusiker und Sozialmusiker im Bistum Mainz.
Jetzt, in der Corona-Pandemie, ist plötzlich alles anders. Der Gesang ist kein Geschenk mehr, sondern ein Problem. Er erhöht die Gefahr, das Virus zu verbreiten. Er macht keine Freude mehr, sondern eher ein mulmiges Gefühl: Stecke ich meinen Vordermann an, wenn ich zu laut singe? Oder werde ich selbst infiziert, von der Frau schräg hinter mir mit der kräftigen Stimme? Einige Gemeinden lassen den Gesang ganz weg, andere singen weniger Lieder als sonst und jeweils nur eine Strophe. Die Bischofskonferenz schreibt in ihren Empfehlungen zur Feier der Liturgie in Zeiten der Corona-Krise: „Wenn die Abstandsregeln eingehalten werden, besteht kein Grund, auf Gesang gänzlich zu verzichten. Auf lauten Gemeindegesang sollte jedoch verzichtet werden, weil Singen ein Risikoverhalten darstellt.“
Wer summt, der ist zumindest nicht mehr nur Zuhörer
Was bedeutet das für die Gläubigen? Wie verändert es die Gottesdienste, die ohnehin schon so anders sind durch die vielen Corona-Regeln und die begrenzte Besucherzahl? Wenn der Gesang fehle, sagt Gabriel, dann nehme das der Feier „die Öffnung nach oben“. Man könne sie dann nur noch mit dem Kopf, mit dem Intellekt begleiten, aber man könne nicht mehr einstimmen. „Der Gesang ist ein Spiegel der Seele“, sagt Gabriel. Es gebe nichts Persönlicheres als die Stimme. Wenn sie nun fehle, dann gehe etwas Wesentliches verloren.
Was also tun? Wie den Verlust ausgleichen, der die Gottesdienste wohl noch lange prägen wird? Der Kirchenmusiker Gabriel sagt, er finde es charmant, wenn eine richtig gute Sängerin die Lieder singt, mit Mikrofon und Abstand – und die Gläubigen summen sie mit. So sind sie nicht nur Zuhörer, sondern haben zumindest ein bisschen Anteil am Gesang. Und Summen ist nicht gefährlich.
Eine andere Idee könnte sein, bei den Liedern mitzuklatschen oder mitzuschnipsen oder sie durch Bewegungen zu begleiten – ähnlich wie das im Kindergarten oft gemacht wird. Das mag für manchen ungewohnt klingen. Aber vielleicht wirkt es bald schon normal. Gabriel sagt: „Vielleicht ist das Virus ja eine Chance. Vielleicht ergeben sich daraus neue Formen der Gemeindebeteiligung.“
Und vielleicht wächst jetzt auch eine neue Wertschätzung für den Wert der Musik. Thomas Gabriel sagt, die Kirche solle den Gläubigen, die selbst nicht singen können, jetzt „richtig tolle und schöne Musik“ anbieten, ob Solosänger oder Künstler mit Instrument – nach dem Motto: „Wenn‘s schon kein Fest für den Mund ist, dann doch ein Fest für die Ohren.“
Andreas Lesch
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