Ukrainische und russische Christen in Deutschland
Braucht es mehr Verständigung?
In ostdeutschen Großstädten wie Leipzig sind ukrainische Katholiken genauso zu Hause wie russisch-orthdoxe Christen. Wie geht man in beiden Gemeinden mit dem Krieg in der Ukraine um?
Die St.-Laurentius-Kirche, Pfarrkirche der Pfarrei Heilige Maria Magdalena Leipzig-Ost, beheimatet auch die ukrainische griechisch-katholische Gemeinde. Fotos: Stefan Schilde |
Gut besucht ist sie, die St.-Laurentius-Kirche im Leipziger Stadtteil Reudnitz. 50 Menschen sind gekommen, fast so viele wie vor Ausbruch der Pandemie. Freuen kann sich darüber trotzdem niemand, stattdessen überwiegen besorgte Mienen. Kein Wunder, denn die Gläubigen sind allesamt in Leipzig lebende Ukrainer und Deutsch-Ukrainer. Ihnen geht die Situation in der Ukraine, wo sie ihre Wurzeln haben, ganz besonders nahe. Viele haben dort noch Verwandte und Freunde, die gerade um ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit und ihr Leben bangen.
Beten für den Frieden – aber auch für den Schutz des Vaterlandes
Otez („Vater“) Bogdan Alexij Luka ist Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Gemeinde. Er ist nicht nur geistlich gefordert, sondern auch ein guter Autofahrer. Morgens Dresden, mittags Erfurt, nachmittags Leipzig, abends Halle/Saale – so lautet sein „Fahrplan“ am Sonntag. „Da kommen schon einige Kilometer zusammen. Aber für die Menschen ist es wichtig, dass sie auf ihre Art die Liturgie feiern können“, sagt der für Mitteldeutschland zuständige Seelsorger.
Auf ihre Weise, das bedeutet nach byzantinischem Ritus. Vor dem Altar sind zwei Ikonenbilder aufgestellt, eines von der Gottesmutter mit dem Jesukind im Arm, eines vom Gottessohn selbst. Vater Bogdan steht überwiegend mit dem Rücken zur Gemeinde, spricht die Gebete zum Altar hin, oben „antwortet“ der Chor mit Gesang. Alle paar Sekunden bekreuzigen sich die Gläubigen.
Obwohl sich die Liturgie von der römisch-katholischen Kirche deutlich unterscheidet, besteht eine volle Kommuniongemeinschaft, denn die Mutterkirche ist mit dem Vatikan uniert. Heilige Messen sind also ebenso gemeinsam möglich wie die Eucharistie.
Bei der Predigt spricht Otez Bogdan den Gläubigen zugewandt, ruft auf, den angreifenden russischen Soldaten zu vergeben, wie auch Jesus seinen Peinigern vergeben hat. Andererseits gelte es auch, für die Landsleute zu beten, auch gerade für jene, die derzeit unter Waffen stehen. Denn die Ukrainer hätten das Recht, ihre Heimat zu verteidigen.
Funkstille zwischen Russen und Ukrainern auf geistlicher Ebene
Religion spielt nicht nur im Leben der Ukrainer eine große Rolle. Auch die meisten Russen sind Christen, gehören zur russisch-orthodoxen Kirche. Ob man da nicht auf geistlicher Ebene etwas zusammen mit den russischstämmigen Leipzigern unternehmen müsste, um ein Zeichen zu setzen? Ein gemeinsames Friedensgebet etwa?
Reine Wunschvorstellung, meint Otez Bogdan. Es bestehe derzeit keinerlei Kontakt zur russisch-orthodoxen Gemeinde Leipzigs. „Die russisch-orthodoxe Kirche ist für mich nur Erfüllungsgehilfin der Politik des Kremls. Ich erwarte nicht, dass von ihr etwas kommt.“
Ganz verkehrt liegt er damit nicht. In der russisch-orthodoxen Gemeinde will man offizielle Statements zum Ukraine-Konflikt vermeiden. „Zu unserer Gemeinde gehören Menschen verschiedener Herkunft, neben Russen beispielsweise auch Ukrainer“, sagt Erzpriester Alexej Tomjuk, der der Gemeinde seit 1995 vorsteht. Weil auch die politischen Meinungen auseinandergingen, komme es nicht in Frage, sich in ähnlicher Weise zu positionieren wie die katholische oder die evangelische Kirche hierzulande.
Folglich äußere er sich im Telefonat mit Tag des Herrn nur als Privatmann. „Natürlich beten wir für den Frieden, übrigens schon seit der Auseinandersetzung um die Krim.“ Er hoffe, dass es bald zu Gesprächen zwischen den Konfliktparteien kommt – und bedauert, „dass es überhaupt erst so weit gekommen ist, dass man die Probleme vorher nicht anders regeln konnte“.
Die St.-Alexi-Gedächtniskirche dient dem Gedenken der 22 000 russischen Soldaten, die in der Völkerschlacht 1813 gefallen sind. |
Er erinnert sich an ein Gespräch mit Otez Bogdan vor zehn Jahren, als sich die ukrainische griechisch-katholische Gemeinde in Leipzig gründete. „Wir haben auf Ukrainisch miteinander gesprochen, ich bin ja selbst in der Ukraine geboren.“ Gesprächen mit den ukrainischen Brüdern sei er generell nicht abgeneigt, betont Erzpriester Tomjuk.
In der ukrainischen Gemeinde Leipzigs nimmt man das Schicksal indes in die eigenen Hände, sammelt Hilfsgüter zum Transport in die Ukraine. Nach Otez Bogdans Predigt ergreift eine Frau in der zweiten Reihe das Wort. Oksana Makohon, promovierte Chemikerin, gehört trotz ihrer Parkinson-Krankheit zu den Engagiertesten in der Gemeinde. Sie berichtet über den aktuellen Stand der Sammelaktionen, der Bedarf an Kleidung, Hygieneartikel und Elektronik zur Kommunikation ist weiter ungebrochen. Zahlreiche Transporter wurden von Leipzig schon auf die Reise geschickt. Die große Unterstützung der Ukrainer in Deutschland für ihre Landsleute ist auch den Medien nicht verborgen geblieben. Mitten in der Liturgie tritt ein Fernsehteam von Stern TV auf den Plan. Mit zwei großen Fernsehkameras fangen sie die Stimmung in der Kirche ein, besonders den Redebeitrag von Oksana Makohon, mit der sie nach dem Gottesdienst noch zum Interview verabredet sind.
Glaube verleiht Leipziger Ukrainern Kraft und Hoffnung
Neben Älteren sind auch viele Familien mit Kindern zur Liturgie erschienen. Arsen, ein junger Mann Anfang 20, ist mit seinem Vater und seiner kleinen Schwester da. Die Oma wohnt in Iwano-Frankiwsk, einer Stadt in der Westukraine. „Wir telefonieren täglich über Internet. Körperlich ist sie zum Glück unversehrt, aber sie hat große Angst.“ Für die Familie fühlt sich das Ganze an wie ein böser Traum. Sie besuchen regelmäßig die heiligen Liturgien, sagt er, denn Gott verleihe ihnen Kraft und Hoffnung, dass der Albtraum bald ein Ende hat.
Angesprochen auf die Unterstützung der Ukraine in Deutschland, kehrt das Lächeln etwas zurück in Arsens Gesicht. „Alle fragen, ob sie helfen können, Kollegen und Freunde, auch die Nicht-Ukrainer.“ Sein Vater, der nicht so gut deutsch spricht, aber aufmerksam zuhört und manches versteht, nickt freudig. Arsen möge sich bitte im Namen seiner Familie ganz herzlich für den Beistand bedanken.
Ob er wegen des Krieges nun schlecht über die Russen denke? Arsen schüttelt den Kopf. „In meine Klasse gingen damals auch einige Russen. Wir haben uns immer gut verstanden, auch zu Zeiten der Krim-Krise.“ In Wahrheit sei Wladimir Putin das Problem, ebenso wie die Falschinformationen, die kremlnahe Medien in Russland wie in Deutschland nicht erst seit Kriegsbeginn gezielt streuen, sagt Arsen. Er habe nichts gegen die ganz normalen russischen Bürger und hoffe, dass beide Völker eines Tages wieder in friedlicher Nachbarschaft leben können. Sein Vater hat währenddessen weiter aufmerksam zugehört. Er nickt.
Von Stefan Schilde