Dienende Kirche

Caritas ist mittendrin

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Die Großen nutzen ihre Macht gegen ihre Völker. So klagt Jesus im Evangelium und fordert von seinen Jüngern einen Gegenentwurf: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein!“ Wie kann das heute gelingen? Ein Gespräch mit dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf über Dienen in der Kirche.

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Ganz in Gottes Hand: Bischof Kohlgraf bei seiner Bischofsweihe im vergangenen Jahr im Mainzer Dom während der Allerheiligenlitanei. Foto: kna


„Wie bringen Sie Jesus zu den Leuten?“ – „Jesus ist schon bei den Menschen! Ich kann ihn entdecken, wenn ich mit diesen Menschen ins Gespräch komme.“ Der kurze Dialog zwischen einem Seminaristen und Peter Kohlgraf, den der Bischof zitiert, macht seine Grundhaltung deutlich: Für eine „dienende Kirche“ seien „Hören und Hinschauen“ unverzichtbar. Unverzichtbar, weil Gott schon bei den Menschen ist und dort – in ihren Talenten und Fragen, Stärken und Unfertigkeiten – entdeckt werden kann.


„Aha-Erlebnis“ durch das Kirchenbild des Konzils

Peter Kohlgraf hat ein Buch geschrieben darüber, warum „nur eine dienende Kirche der Welt dient“. 2015. Damals war er noch Theologieprofessor. Aber jetzt als Bischof würde er „es genauso schreiben“. Im Buch untersucht er Gedanken des französischen Theologen Yves Congar. Der hatte 1965 die Hinwendung der Kirche zu den Armen als Konsequenz des Konzils beschrieben. Überrascht von diesem klaren Bild einer dienenden Kirche – „ein wirkliches Aha“ – forscht Kohlgraf tiefer und entdeckt eine frühzeitige Akzentverschiebung: Johannes XXIII. habe bei der Ankündigung des Konzils noch von einer „armen Kirche der Armen“ gesprochen. Das Konzil habe daraus eine „arme Kirche für die Armen“ gemacht. Kirche der Armen oder Kirche für die Armen? Eine entscheidende Positionsverschiebung: Integration oder Mitleid? Kohlgraf formuliert es in seinem Buch klar und deutlich: „Eine Kirche, die sich ganz identifiziert mit ihren schwachen Gliedern, lebt aus der Gnade und gestaltet aus diesem Bewusstsein ihren Alltag. Kirche lebt in jedem Einzelnen, und sie braucht jeden … Damit handelt die Kirche nicht mehr einfach an den Menschen, sondern Menschen geben der Kirche ihr unverwechselbares Gesicht. In diesem Konzept kann Kirche nicht ohne Pluralität und Freiheit gedacht werden.“

Frei nach Congar und Kohlgraf ließe sich wohl das geflügelte Wort vom Geist bemühen, der weht, wo und wie er will. Und eine solche Kirche mit den Armen in der ersten Reihe – auch im Gottesdienst – verändert sich.

Kirche ist dann nicht mehr länger nur für jene da, die schon ganz drinnen sind. Dann wird Diakonie nicht outgesourct, sie ist Aufgabe aller Getauften. Kohlgraf bringt dieses Kirchenverständnis auf den Punkt, wenn er sagt: „Caritas ist wirklich Kirche.“ Und zwar gerade der Teil der Kirche, „in dem der dienende Charakter besonders deutlich wird“.


Die Tandems von Caritas und Pastoral

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Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf
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Im Bistum Mainz hat die Klammer, die Seelsorge und Caritas zusammenbindet, einen Namen: Sozialpastoral. In fünf Dekanaten gibt es Pilotprojekte mit einer Tandem-Lösung: ein Vertreter der Pastoral und ein Vertreter der Caritas zeigen, wie beides zusammengehört. Das Zwischenfazit: „Caritas hat gelernt, dass sie Teil der Kirche ist. Mittendrin, nicht nur am Rande. Pastoral hat gelernt, dass sie immer auch einen diakonischen Auftrag hat.“ Was der Bischof damit meint: Die dienende Haltung der Kirche muss auch in ihren anderen Grundvollzügen erlebbar sein: in der Verkündigung, in der Liturgie …

Wie sieht denn eine „nicht-diakonische Verkündigung“ aus? Kohlgraf: „Das ist eine reine Belehrung. Ich kann einem die Wahrheit ja wie einen Lappen um die Ohren hauen. Das wäre für mich eine Verkündigung ohne Diakonie.“ Stattdessen gehe es heute darum, eine Verkündigung zu finden, „die mein Gegenüber wirklich ernst nimmt“.

In Kohlgrafs „dienender Kirche“ wird die Caritas „als kirchlicher Vollzug gelebt“. Deshalb ist es ihm wichtig, dass verschiedene Milieus sich begegnen. Dazu müssten die weitgehend als Mittelstandskirche erlebbaren Territorialgemeinden aus sich herausgehen, über sich hinauswachsen. „Wir müssen heute den Blick weiten auf die vielen Orte, wo Kirche Menschen begegnet.“ In den Kerngemeinden und an anderen „pastoralen Orten“. Die „neuen Gesprächspartner“ möchte der Bischof auf dem „Pastoralen Weg“ seines Bistums mit am Tisch haben: „Ich glaube, dass zur Kirche immer auch die Menschen gehören, die mal reinschnuppern. Wie stellen sich diese Menschen Kirche am Ort vor? Wenn wir den Tisch öffnen, dann haben wir eine Chance, dass wir neue Gesprächspartner finden. Ohne die alten zu vergrätzen.“


Eine Frage des „Regierungsstils“

Bleibt noch die Frage nach seiner Rolle als Machthabender in dieser dienenden Kirche? Der Bischof: „Auch im ,Dienst‘ muss ich ja meine Verantwortung wahrnehmen. Muss entscheiden. Aber es ist eine Frage des ,Regierungsstils‘. Ich muss schauen, wie ich die Menschen mit ins Boot nehme, wie ich kommuniziere: Wir sind gemeinsam auf dem Weg.“ Als arme Kirche der Armen …

Peter Kohlgraf: Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche. Grünewald Verlag 2015, 144 Seiten, 20 Euro

Johannes Becher