Der Mönch Jacques Mourad wurde vom IS entführt

Da hilft nur beten

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Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden: In der Lesung sind es die Seleukiden, die die Juden zur Konversion zwingen wollen. Bei dem Jesuiten Jacques Mourad war es die Terrororganisation Islamischer Staat.

Foto: Arete Verlag
Als dieses Bild 2014 entstand, waren Jacques Mourad und das Kloster Mar Elian noch Zuflucht für viele. Ein Jahr später wurde es zerstört und der Mönch ein Gefangener. Foto: Arete Verlag

„Ihr seid Hunde! Ihr habt es verdient, dass man euch den Kopf abschlägt!“, schreien die zwei Dschihadisten Jacques Mourad und seinen Novizen Boutros an. Sie springen umher, feuern mit ihren Waffen in die Luft und rufen „Allahu akbar“, „Gott ist groß“. 

Am 21. Mai 2015, mitten in der Nacht, sind die Dschihadisten ins Kloster Mar Elian in Karjatain, gut 100 Kilometer nördlich von Damaskus, gekommen. Sie haben Jacques Mourad und Boutros gefesselt, ihnen die Augen verbunden und sie in ein Auto gezwängt. Vier Tage lang rasen sie quer durch die Wüste. Tagsüber dröhnen Gesänge über die muslimische Weltherrschaft aus den Boxen. In der Nacht, wenn Mourad und Boutros allein sind, sprechen sie einander Mut zu und beten. „Ich habe mich an die Gebete geklammert wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring“, sagt Mourad.

Der Rosenkranz wird zur Kraftquelle

Der Rosenkranz, den er seit Jahren nicht gebetet hat, wird zum wichtigsten Halt für ihn. „Die Ave Marias sind wie ein SOS, das ich zum Himmel schicke.“ Er ist selbst verwundert, dass er in manchen Momenten keine Angst spürt: „Gott ist da. Durch ihn habe ich die Kraft, nicht zusammenzubrechen. Wir sind nicht allein. Der Himmel steht auf unserer Seite.“

Seit Monaten hatte sich die Lage in der Stadt Karjatain zugespitzt, der IS rückte von Palmyra aus näher. Das Kloster am Rand von Karjatain hatte Jacques Mourad in den vergangenen 15 Jahren zu einer Begegnungsstätte ausgebaut. Muslime, Orthodoxe, Katholiken, syrische Soldaten oder Dschihadisten – jeder war dort willkommen. Einzige Bedingungen: Waffen ablegen! Mourad lehnte Gewalt ab, auch den bewaffneten Widerstand gegen den IS. „Das Kloster ist zu einer Oase des Friedens und des Lebens mitten in der Todesherrschaft geworden“, sagt Mourad. Das war dem IS ein Dorn im Auge, deshalb haben sie ihn entführt.

Nach fünf Tagen hält das Auto in Rakka. Die beiden Jesuiten werden in eine kleine Zelle gebracht. Ein Einschussloch an der Wand und Blutflecken auf dem Boden zeigen, dass die Wächter vor nichts zurückschrecken. 84 Tage müssen sie hier bleiben, werden beleidigt, bespuckt, bedroht und ständig dazu gedrängt, zum Islam zu konvertieren. 

Jacques Mourad vertraut auf das Gebet: Jeden Morgen betet er zwei- oder dreimal den Rosenkranz, in der Nacht, wenn er nicht schlafen kann, singt er Kirchenlieder. Keinen Moment zweifelt er an seinem Glauben oder fühlt sich von Gott verlassen. Im Gegenteil: Gerade im Gebet fühlt er sich stark und beschützt.

Der Mönch erlebt aggressive Kämpfer, die ihn provozieren, die ihn schlagen, auspeitschen, ihm ein Messer an den Hals drücken und die Sekunden herunterzählen. Erst als er „Lieber Gott, hab Erbarmen mit mir“, ruft, lässt der Folterer von ihm ab. Mourad bereitet er sich darauf vor zu sterben. Er denkt an den Apostel Paulus: „Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.“ Ähnlich wie den Söhnen in der Makkabäer-Lesung erscheint ihm der Tod wie eine Erlösung. Er wünscht sich als Märtyrer zu enden, doch zugleich fragt er sich: „Warum sollte Gott mir dieses Geschenk machen?“


Die Geiselhaft bekommt einen Sinn

Mourad erlebt aber auch IS-Offiziere, die ihm Nahrung und Kleidung geben und sich mit ihm unterhalten. Bei einigen spürt er ein echtes Interesse am Christentum. Sie wollen verstehen, warum für ihn Jesus nicht nur ein Prophet, sondern Gottes Sohn ist. Ein Offizier rät ihm gar, seine Geiselhaft als Exerzitien anzusehen. „So bekam meine Gefangenschaft tatsächlich für mich einen Sinn“, sagt Mourad. Er will verstehen, warum die Kämpfer auf der einen Seite so brutal handeln und auf der anderen Seite inbrünstig den barmherzigen Gott anbeten können. 

Nach Wochen in Gefangenschaft erkennt Mourad: Die IS-Kämpfer sind hin- und hergerissen zwischen dem angeblich göttlichen Plan, dem sie gehorchen müssen, und dem wahrhaft Göttlichen, das tief in ihrem Herzen versteckt ist. Die IS-Leute könnten sich zwar frei bewegen, aber im Herzen sind sie in einem viel düstereren Loch gefangen, als seine feuchte und dunkle Zelle es je sein könnte. „Durch Jesus bin ich frei, frei im Denken, frei im Erkennen, frei um meine Feinde zu lieben“, sagt er.

Nach fünf Monaten erhalten Mourad, Boutros und rund 250 Christen, die der IS verschleppt hat, die Erlaubnis, in ihr Dorf zurückzukehren. Ein Emir des IS erklärt ihnen, sie seien frei, weil sie nicht mit Waffen gegen den IS gekämpft hätten. „Wir wurden gerettet, weil wir treu nach dem Evangelium gelebt haben“, sagt Jacques Mourad. 

Doch Karjatain ist ausgebombt, das Kloster Mar Elian abgerissen, die Kirche vom IS zur Scharia-Schule erklärt. Die Christen dürfen nur heimlich im Verborgenen beten. Kein Muslim darf sie sehen oder hören. Pater Jacques erkennt, dass sie in der Stadt nicht überleben können, und plant die Flucht. Ausgerechnet junge Muslime helfen. Sie riskieren ihr Leben, als sie Frauen und Kinder vollverschleiert aus der Stadt lotsen, als sie Routen abseits der Straßenposten suchen und Männer in Futtersäcken auf einem Tiertransporter versteckt in Sicherheit bringen. 

Heute lebt Jacques Mourad im Kurdengebiet im irakischen Sulaimaniyah. Er wollte nicht in Syrien bleiben. Sein Kloster existiert nicht mehr, in der Stadt gibt es heute keine Christen mehr und auch seine Heimatstadt Aleppo ist überwiegend zerstört. „Mein Volk ist über die ganze Welt verstreut. Millionen wurden im eigenen Land umgesiedelt oder leben in Notlager gezwängt. Ich will wie sie sein, ich will leben wie ein Flüchtling, als Armer unter Armen“, sagt er. „Ich bin ein Hirte: Meine Pflicht ist es, bei meiner gepeinigten Herde zu leben.“

Kerstin Ostendorf

Buch: Jacques Mourad: "Ein Mönch in Geiselhaft. Fünf Monate in den Fängen des Islamischen Staats", Arete Verlag, 180 Seiten, 18 Euro