Kultur. Dokumentation über den Obersalzberg
Das Böse im Alpenglühn
Foto: Thomas Arzner
„Wenn Adolf Hitler am Obersalzberg war, hat er sich täglich um 12 Uhr dem Volk gezeigt“, sagt Albert Feiber. „Wie der Papst sonntags in Rom.“ Den Vergleich kann sich der Mann mit den grauen Haaren und dem Vollbart nicht verkneifen. Aber natürlich hat er Recht: Das NS-Regime nutzte alle möglichen Vorbilder für seine Propaganda, auch Gepflogenheiten aus der katholischen Kirche. Gerade hier auf dem Obersalzberg, wo die Berge den majestätischen Hintergrund für die Inszenierungen des Diktators bildeten. Deshalb hat sich Hitler wieder und wieder hier fotografieren und filmen lassen. Und deshalb ist dieser Ort sehr bekannt. Seit bald 25 Jahren zeigt eine Ausstellung in der Dokumentation Obersalzberg die Hintergründe. Albert Feiber ist der stellvertretende Leiter des Hauses. Maßgeblich war er an der Neukonzeption beteiligt, die seit September 2023 zu sehen ist.
Anfangs wurde die Dokumentation von der Bevölkerung mit Argwohn betrachtet – man fürchtete einen schlechten Einfluss auf den Tourismus. Mittlerweile hat sie sich selbst als einer der Hauptanziehungspunkte in Berchtesgaden etabliert. „Wir sprechen hier ein Publikum an, das sich zunächst weniger für die Verbrechen der NS-Zeit interessiert, sondern vielmehr einen Blick auf Hitlers Privatleben werfen will oder vom Bunker, der zur Dokumentation gehört, angezogen wird. Diese Menschen würden im Normalfall vermutlich nicht in ihrem Urlaub eine KZ-Gedenkstätte besuchen“, sagt Feiber. Die Ausstellung soll zum Nachdenken anregen, auch über das Heute: „Wir bieten das Gerüst. Die Diskussion und die Bezüge zur Gegenwart führen und ziehen die Besucher von ganz allein.“
Zweiter Regierungssitz
„Idyll und Verbrechen“ ist die Schau überschrieben. Wer eintritt, steht vor einer Collage aus gerahmten Bildern: Der Berghof inmitten schneebedeckter Berge ist darunter. Aber auch Bilder von KZ-Häftlingen. Denn es ging den Forscherinnen und Forschern darum, die Verbindungen zu den NS-Opfern aufzuzeigen. Diese zeigte die damalige Propaganda natürlich nicht: Da waren Bilder gefragt, die vom glücklichen Leben des Führers im Kreise seiner Getreuen erzählten. Hitler trifft Kinder, scheinbar zufällig im Wald, Hitler und Hund, Hitler im Bergpanorama: Banalität des Bösen im Alpenglühn. Aber, sagt Feiber: „Der Obersalzberg als bloßer Ferienort Hitlers – das ist Blödsinn.“ Der Berghof war nach der Reichskanzlei in Berlin Hitlers zweiter Regierungssitz. „Er hat hier etwa ein Viertel der zwölf Jahre, die er an der Macht war, verbracht.“ Am Berg und in der Umgebung war die Infrastruktur angelegt, die das Regieren möglich machte: Flughafen, Kasernen für das Militär und eine Außenstelle der Reichskanzlei in Berchtesgaden, die die Akten zur Unterschrift zum Berghof schickte.
Hitler selbst kam 1923 zum ersten Mal in die Region. Er besuchte Dietrich Eckart, einen rechtsextremen Schriftsteller, der sich wegen Beleidigung des Reichspräsidenten Ebert vor der Polizei versteckte. „Verliebt in die Landschaft“ sei er gewesen, schrieb er. Allerdings zog ihn noch etwas anderes an. „Es gab hier ein Milieu, in dem sich Hitler wohlgefühlt hat“, sagt Feiber, das teilweise auch „gut-katholisch“ gewesen sei: Förderer und Freunde, die NSDAP-Ortsgruppe Berchtesgaden, die sich schon 1922 gründete, und der Freundeskreis Eckarts.
1933 kaufte Hitler das Haus Wachenfeld und baute es zum riesigen Berghof aus, wo er Staatsgäste empfing, aber beispielsweise auch einmal den damaligen Münchner Erzbischof, Kardinal Michael Faulhaber. Nicht nur Hitlers Domizil vergrößerte sich: 1936 wurde der ganze Ort zum Führersperrgebiet erklärt. Ein Modell zeigt dies gut: Feiber drückt Knöpfe und ein leuchtendes Band läuft zu den Häusern der NS-Größen, zu SS-Unterkünften oder dem Gästehaus.
Dafür mussten die einstigen Bewohner weichen. Die hatten teils gut an den Massen verdient, die kamen, um den „Führer“ zu sehen. „Der Ort hatte lange keine eigene Kirche. Schon 1933/34 hatten sie dann so viel Geld, dass sie sich eine bauen konnten“, sagt Feiber. Wer sich weigerte wegzuziehen, wurde enteignet oder kam ins KZ.
Opfer werden sichtbar
Die neue Ruhe nutzte dem Regime. „Man wusste lange nicht, welche Entscheidungen konkret am Obersalzberg gefällt wurden“, sagt Feiber. Doch in den Archiven schlummerten Erkenntnisse, die in die neue Ausstellung einflossen. So kam heraus, dass 1941 der Befehl, der Massenerschießungen nach dem Überfall auf die Sowjetunion anordnete, aus der Alpenidylle erging.
Die Stärke der Schau ist, dass sie auch die Verbrechen thematisiert: Im zentralen Teil „Täterort und Tatorte“ soll alles ans Licht kommen, wie Feiber sagt. „Hitler war nie in einem Konzentrationslager, er wollte die Konsequenzen seines Tuns nicht sehen.“ Die Ausstellung erzählt dagegen die Schicksale der Opfer: Von der Deportation der Juden in Ungarn. Oder der Tötung der Juden im Warschauer Ghetto – die Nachricht kam prompt zur Feier des 54. Geburtstags des „Führers“.