Weihbischof von Lwiw
„Das Böse muss ein Ende haben“
Volodymyr Hruza ist griechisch-katholischer Weihbischof der Erzdiözese Lwiw. Im Interview spricht er über Ostern im Krieg, den starken Glauben der Ukrainer – und die Frage, was er über die russischen Angreifer und Jesu Gebot der Feindesliebe denkt.
Wie ist es für Sie gewesen, Ostern zu feiern in einem Land im Krieg?
Ich würde das so formulieren: In diesem Jahr war das Fest der Auferstehung ein Fest der Freude unter dem Leid. Viele Menschen hier haben sich gefragt: Kommt Ostern oder nicht? Aber Ostern ist noch nie ausgefallen, auch in diesem Jahr nicht. Wir haben sehr feierlich und sehr würdig gefeiert. Trotz der Alarmsirenen, die wir gehört haben. Und trotz der Gefahr, dass wir mit Bomben oder Raketen angegriffen werden.
Was sagen Sie den Menschen in einer so finsteren Zeit über Auferstehung?
Ich weiß, die Menschen könnten sich jetzt fragen, ob Gott die Ukraine verlassen hat. Will Gott Krieg? Will Gott, dass Menschen sterben? Wo ist er überhaupt? Aber sie sagen: Gott ist unsere einzige Zuflucht. Die Menschen versuchen, zu beten und Gottes Nähe zu erfahren, gerade jetzt. Und ich versuche, ihnen nahezubringen, dass Gott gerade in diesem Krieg besonders nahe bei uns ist.
Inwiefern?
Jesus Christus wird in vielen Menschen ermordet, er wird brutal ins Grab gelegt in Städten wie Butscha oder Mariupol. Das bedeutet, dass er hier auch auferstehen wird, hier bei uns, in diesem Land. Ostern ist gekommen, und die Hoffnung auf das Leben ist auch jetzt da.
Was gibt Ihnen konkret Hoffnung?
Ich habe in der Osterwoche drei Tage Diakonen- und Priesterweihen gehabt. Das heißt: In den Schmerzen des Krieges werden Priester geboren, damit die Kirche leben kann. Und es werden auch Kinder geboren. In manchen Städten ohne Licht, ohne Wärme, in Bunkern – aber sie werden geboren. Und viele junge Menschen wollen sich kirchlich trauen lassen. Sie sagen: „Es ist uns gerade jetzt wichtig, kirchlich verheiratet zu sein. Die Hochzeitsparty, die machen wir dann irgendwann später.“ Das gibt mir Hoffnung, dass das Leben lebt – auch wenn so viele Menschen sterben.
Woran merken Sie persönlich, dass Gott Ihnen jetzt nah ist?
Zu Beginn des Krieges haben viele Diplomaten unser Land verlassen. Aber Gott ist hiergeblieben. Seine Nähe schenkt mir innerliche Ruhe. Ich schöpfe Kraft aus den Sakramenten, aus dem Empfang der Kommunion. Und ich spüre seine Nähe auch in den Begegnungen und Gesprächen mit den Menschen. Ich lerne gerade sehr viel von ihnen.
Was denn?
Ich habe zum Beispiel mit einem Soldaten gesprochen. Fast alle seiner Kameraden sind gefallen. Auch er ist verletzt worden. Es war ein Wunder, dass er überlebt hat. Seiner Familie war schon gesagt worden, dass er tot ist. Dann ist er zurückgekommen. Ich habe mich gefragt: Wie soll ich ihn trösten? Und er hat gesagt: „Ohne Gott geht gar nichts im Leben.“ Und: „An der Front sind alle gläubig. Es gibt dort keine ungläubigen Menschen. Die Soldaten haben oft einen Rosenkranz oder eine kleine Ikone dabei, sie beten und sie bitten, dass auch andere beten.“
Was erleben Sie bei Gesprächen noch?
Am Ostertag bin ich auf dem Friedhof den Verwandten gefallener Soldaten begegnet. Und beim Begräbnis eines gefallenen Soldaten habe ich mit seinen Angehörigen gesprochen. Auch da habe ich mir gedacht: „Was soll ich diesen Menschen sagen? Sie haben ihren Vater oder ihren Mann verloren. Da fehlen mir die Worte.“ Aber dann sagen sie mir sehr viel. Und ich schöpfe Kraft daraus, aus ihrer Haltung und Motivation. Sie sagen: „Ja, wir leiden, aber wir wissen, wofür wir leiden.“ Menschen können wirklich sehr viel ertragen, wenn sie wissen, wofür. Die Menschen in der Ukraine kämpfen für ihre Freiheit und ihre Zukunft, sie verteidigen ihr Land. Und sie sind sehr einig und solidarisch miteinander. Viele einfache Leute aus unseren Pfarrgemeinden kommen und kochen für Flüchtlinge. Und fragen, wie sie sonst noch helfen können. Die Flüchtlinge helfen auch selbst mit. Besonders ein Erlebnis hat mich sehr berührt.
Erzählen Sie!
Eine Frau ist in der Ostukraine bombardiert worden und zu uns nach Lwiw geflüchtet. Und sie hat uns Osterbrote gebracht.
Einfach so?
Ja, sie hat mir gesagt: „Ich bin ins Geschäft gegangen, habe alle Osterbrote gekauft, die da waren, und will sie jetzt spenden für bedürftige Menschen.“ Sie hatte selbst nicht viel, sie hatte alles verloren. Aber sie wollte etwas geben. Das war für mich ein Zeichen dieser unglaublichen Solidarität.
Und ein Zeichen, was möglich ist, wenn alle mitmachen.
Genau. Ich hoffe so sehr, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Denn es ist kein Krieg gegen unsere Regierung. Es ist kein Krieg gegen unser Militär. Es ist ein Krieg gegen jeden einzelnen Menschen. Aber Russland kann nicht gegen alle ukrainischen Menschen gewinnen. Denn wir halten zusammen, und jeder tut, was er kann.
Wie blicken Sie als Christ auf die russischen Angreifer, und was denken Sie jetzt über Jesu Gebot der Feindesliebe?
Als Christen lieben wir alle Menschen, auch unsere Feinde. Aber dies ist ein Krieg des Bösen. Hier sind satanische, dämonische Mächte am Werk. Wie können die Angreifer kleine Kinder umbringen und Frauen vergewaltigen? Wie können sie wehrlose Zivilisten erschießen? Was für eine Gefahr soll denn von ihnen ausgehen? Ja, wir lieben alle Menschen, aber wenn sie unchristliche, unwürdige, unmenschliche Dinge tun, dann muss man dem auch ein Ende setzen. So wie man sagt: Gott liebt jeden Sünder, aber nicht die Sünde.
Spüren Sie Hass auf die Angreifer?
Wir vergeuden unsere Energie nicht mit Hass. Wir verwandeln unseren Hass in Mut, in gesunde Aggression.
Können Sie sich im Moment vorstellen, dass es nach all den russischen Kriegsverbrechen jemals Versöhnung geben kann?
Versöhnung ist immer möglich. Aber man kann sie nicht künstlich herbeiführen. Wie sollen sich Opfer mit Tätern versöhnen, wenn die Gewalt nicht aufhört? Zuallererst muss das Böse ein Ende haben. Dann müssen die Täter ihre Taten bereuen und die Konsequenzen daraus ziehen. Erst dann kann es Versöhnung geben.
Worauf hoffen Sie zurzeit am meisten? Vor allem vermutlich darauf, dass der Krieg aufhört, oder?
Erst einmal will ich klarstellen: Der Krieg in der Ukraine geht seit 2014, nur hat das lange kein Mensch in Westeuropa ernst genommen. Alle haben geschwiegen. Erst jetzt, wo so unfassbar viel Blut vergossen wird und so viele unmenschliche Verbrechen passieren, sagt die Welt etwas. Ich glaube, die Welt hat gedacht, dass wir vielleicht nach zwei Tagen Krieg nicht mehr existieren und die Sache schnell vergessen ist. Aber wir existieren. Wir leben noch! Worauf ich jetzt hoffe? Darauf, dass die scharfe Phase des Krieges endet. Der Krieg aber wird noch lange dauern – auch, wenn die Waffen schweigen.
Inwiefern?
Ich habe mal gehört: Ein Krieg dauert so lange, wie der letzte seiner Teilnehmer lebt. Im Moment sind die Menschen voller Kraft und Adrenalin und dem Drang zu kämpfen. Aber wenn sich irgendwann die Lage beruhigt, dann schwinden die Kraft und das Adrenalin. Und es bleiben all die Familien, die geliebte Angehörige verloren haben. Und die vielen Menschen mit ihren Verletzungen und Ängsten. Wir machen uns schon Sorgen, wie wir all diese Menschen begleiten können.
Interview: Andreas Lesch