Das Erbe eines Zweiflers

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„Barlach im Alltag – Alltag bei Barlach“: Bei einer Sonderausstellung in Güstrow zeigt die Ernst-Barlach-Stiftung auch religiöse Motive des expressionistischen Bildhauers, der vor 150 Jahren geboren wurde.

Dr. Magdalena Schulz-Ohm, Geschäftsführerin der Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow, betrachtet ein verkleinertes Gips-Modell des „Schwebenden“
Dr. Magdalena Schulz-Ohm, Geschäftsführerin der Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow, betrachtet ein verkleinertes Gips-Modell des „Schwebenden“. Foto: Norbert Wiaterek

„Der Schwebende“ ist allgegenwärtig. Ursula Schultz hat das wohl bekannteste Werk von Ernst Barlach vor sieben Jahren auf ein Straußenei gemalt. Jim Schütz schuf, bezugnehmend auf das „Güstrower Ehrenmal“ im Dom, Holzengel-­Leuchter. „Der Schwebende“ ziert eine Tüte Bio-Café aus einem Eine-Welt-Laden und einen Magneten. Und er dient als Schlüsselanhänger. Ein Mineralwasserhersteller nutzte das Barlach-Werk im vergangenen Jahr als Vorbild für Werbung, die Aufsehen erregte und nicht ohne Widerspruch blieb. Diese und weitere Exponate, insgesamt etwa 80, sind in der Sonderausstellung „Barlach im Alltag – Alltag bei Barlach“ am Güs­trower Heidberg zu sehen.

Die Ernst-Barlach-Stiftung Güs­trow wagt mit der Schau einen ganz anderen Blick auf das Schaffen des expressionistischen Bildhauers. In dieser Ausstellung, die bis zum 27. September gezeigt wird, stehen ausgewählte Barlach-Werke neben Leihgaben aus privaten Haushalten. Originale sind neben gelungenen Reproduktionen zu sehen, die noch die Handschrift des vor 150 Jahren in Wedel geborenen und 1938 in Rostock gestorbenen Künstlers tragen. Gleich daneben misslungene Nachbildungen und Souvenire. Die kontroverse Ausstellung geht den Fragen nach, welchen Einfluss alltägliche Themen auf das Werk Barlachs hatten und welche Rolle Barlachs Erbe heute spielt. Kunst, die oft verwertet, kommerziell verwendet und verfremdet wird. „Barlachs Werke erfahren immer wieder Umdeutungen, die polarisierende Wahrnehmungsebenen und Nutzungskontexte eröffnen“, sagt Magdalena Schulz-Ohm. „Ziel ist es, dass die Besucher in einen Dialog treten“, ermutigt die Geschäftsführerin der Ernst-Barlach-Stiftung und Kuratorin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den ausgestellten Objekten.

Viel Platz nimmt das „sakrale Kabinett“ ein – mit Werken, die die Kirchen gerne für sich vereinnahmt haben. Ein Beispiel ist die Styropor-Kopie des „Lesenden Klosterschülers“, die als Theaterrequisite in München verwendet wurde und nun in Güstrow zu sehen ist. „Ein Mensch, der genau liest, kritisch, hinterfragend, der selber denkt. Nicht vordergründig etwas, das mit der christlichen Kirche zu tun haben muss. In dieser Figur spiegelt sich das Freiheitsdenken wider“, findet Schulz-Ohm.

„Nordisch, gespenstisch, hexensüchtig“

Barlach sei häufig mit dem Etikett „christlicher Künstler“ versehen worden. Über sich selbst aber hatte er geschrieben: „Ich bin viel Christ, viel Heide, viel Buddhist, viel, viel sonst. Nordisch, gespenstisch, hexensüchtig.“ Der herausragende Vertreter der Klassischen Moderne war also ein großer Zweifler. „Aus einem evangelischen Elternhaus stammend, verstand sich Barlach als Gottsucher und Medium. Er zweifelte die Institution Kirche an, schuf aber dennoch viele sakrale Werke“, so Schulz-Ohm.

Auch gerne kopiert: „Das Wiedersehen“ mit einem gebrechlichen Thomas, der das Gesicht von Christus genau studiert. Der Auferstandene blickt jedoch entrückt in die Ferne. „Er wirkt nicht wie der Tröster, der Thomas in den Arm nimmt. Dieses Werk erinnert eher an den Judas-Kuss“, findet Schulz-Ohm.

Text u. Foto: Norbert Wiaterek