Freizeiten im Marstall Clemenswerth

„Das gibt es sonst nirgendwo"

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Bei den Sommerfreizeiten im Marstall Clemenswerth in Sögel ist richtig was los. 80 Menschen mit und ohne Behinderung erleben fröhliche Urlaubstage. Als Begleiter helfen junge Leute – wie Annika Hölscher und Michelle Marquart.


Daumen hoch für eine gute Zeit in Sögel: Michelle Marquart (v.l.), Hannes Wübben, Annika Hölscher und Burkhard Büscher erleben zusammen die Sommerfreizeit im Marstall Clemenswerth. Foto: Petra Diek-Münchow

Drafi Deutscher geht immer. Als der größte Hit des deutschen Schlagersängers „Marmor, Stein und Eisen bricht“ aus den Lautsprechern dröhnt, gibt‘s kein Halten mehr im Saal der Jugendbildungsstätte Marstall Clemenswerth. Die Hände fliegen hoch, alles tanzt und jeder singt aus voller Kehle mit. Denn irgendwie klingt dieses Lied fast wie ein Motto für die zwei aufeinander folgenden Sommerfreizeiten, zu denen sich in diesen Tagen 80 Menschen mit und ohne Behinderung in Sögel treffen. Wie heißt es zu Beginn des Songs: „Da ist einer, der zu dir hält.“

Das gilt für alle Gäste – besonders aber für die fast 40 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die den Teilnehmern mit Handicaps ehrenamtlich als Begleiter oder Begleiterin zur Seite stehen und ihnen bei Bedarf helfen. Immer zu zweit als „Freizeitteam“ erleben sie diese Tage – machen zusammen Spiele und Ausflüge, gehen zum Bowlen und Basteln, singen und feiern: ausgelassen, fröhlich, unkompliziert.

Zwei von diesen Begleitern sind Annika Hölscher (24) aus Wallenhorst und Michelle Marquart (20) aus Engter-Bramsche. Die jungen Frauen engagieren sich schon seit mehreren Jahren für die Freizeiten, die es dreimal zwischen Frühjahr und Sommer im Marstall gibt. Annika Hölscher ist in ihrem siebten Jahr nun sogar im Leitungsteam, Michelle Marquart war schon über Ostern dabei und kommt für die nächste Freizeit Ende Juli gleich wieder. Sie nimmt Urlaub dafür, bedauert das aber überhaupt nicht. „Was wir hier erleben, gibt es sonst nirgendwo“, sagt sie und spricht von einzigartigen Begegnungen auf Augenhöhe.

„Wir lernen hier faszinierende Persönlichkeiten kennen“

Begeistert erzählen beide von der Offenheit, der Spontanität, der Fröhlichkeit und Lebensfreude der Menschen mit Behinderungen. Auch junge Leute, die zum ersten Mal im Einsatz sind, verlieren so schnell ihre anfängliche Scheu. In diesen Tagen geht es nicht um Leistung, da muss keiner abliefern oder funktionieren. „Wir lernen hier faszinierende Persönlichkeiten kennen“, sagt Annika Hölscher. „Es ist fast so, als ob man ein Fenster aufmacht und einen anderen Blick auf die Welt bekommt.“ Um daran teilhaben zu können, fährt sie auch schon mal zwischendurch zur Uni, schreibt schnell ihre Klausur und kommt wieder zurück. „Es macht einfach riesengroßen Spaß“, sagt auch Michelle Marquart und strahlt dabei über das ganze Gesicht.

So geht es vielen Begleitern, bei den meisten haben die Freizeiten ihren privaten und beruflichen Weg geprägt. Annika Hölscher studiert Sonderpädagogik in Dortmund und freut sich darauf, bald an einer Förderschule unterrichten zu können. Michelle Marquart startet nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr bei der Heilpädagogischen Hilfe in Bersenbrück mit dem Studium der sozialen Arbeit in Münster. Und beide haben dafür „super positive“ Erfahrungen in Sögel gesammelt. „Man kommt hier aus seiner Komfortzone ‘raus, wächst über seine Grenzen hinaus und lernt sich von einer ganz neuen Seite kennen“, sagt Michelle Marquart. „Und am Ende traut man sich viel mehr zu.“

Annika Hölscher nickt bei diesen Worten. Jedes Mal fühlt sich die 24-Jährige neu bestärkt nach einer Freizeit. Früher sei sie eher zurückhaltend gewesen, sagt sie  und lacht über das verwunderte Gesicht ihres Gegenübers, denn so wirkt die junge Frau heute gar nicht. „Jetzt kann ich gut vor Gruppen sprechen, kann organisieren, präsentieren und mit Kritik umgehen. Das habe ich auch hier gelernt.“  

Petra Diek-Münchow

Seit über 30 Jahren finden in der Jugendbildungsstätte Marstall Clemenswerth zu Ostern und im Sommer Freizeiten für Menschen mit und ohne Behinderung statt. Wer als Begleiterin oder Begleiter dabei sein will, kann sich unter Telefon  0 59 52/20 70 melden.