Gedächtnishelfer und Familienbegleitungen unterstützen Familien
Das Herz wird nicht dement

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Demenziell Erkrankten hilft es, wenn sie liebevoll in ihrer Welt begleitet zu werden.
Behutsam packt Susanne Bögeholz ihren Korb. Sie wählt aus: Sprichwort-Kärtchen, ein Buch, ein kleines Spiel, Bildkarten, einen Ball, etwas Wolle. Ein kurzer Blick auf ihren Zettel zeigt: das passt. Fünf Patienten wird sie heute im Marienhospital besuchen. Alle sind dement, viele einsam.
Seit gut zwei Jahren gehört die agile Rentnerin zur Gruppe der Gedächtnishelfer in der Osnabrücker Klinik. Die ehrenamtlichen Helfer sind umfassend geschult und kümmern sich einmal wöchentlich um Patienten mit nachlassenden kognitiven Fähigkeiten. Mit ihrer positiven und anpackenden Art versucht auch Susanne Bögeholz, für einen Moment Einsamkeit und Sorgen zu vertreiben. Sie streichelt Hände, die unruhig sind, reicht ein Wasserglas, bietet Abwechslung und Gespräch.
Nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben 1,7 Millionen Menschen in Deutschland mit der Diagnose Demenz. Tendenz steigend. Gerade Klinikaufenthalte sind für die Erkrankten eine besondere Belastung. Neben der medizinischen Versorgung benötigen sie hier besondere Zuwendung. Die veränderte Umgebung, die ungewohnte Situation, neue Gesichter und Geräusche – all das verwirrt, macht unruhig oder aggressiv und verstärkt das Krankheitsbild. Pflegekräfte können diese zusätzliche Betreuung im stressigen Klinikalltag kaum leisten.
Im Marienhospital knüpfen daher die Gedächtnishelfer einfühlsam Kontakte, geben Impulse, schenken Zeit und Aufmerksamkeit. Susanne Bögeholz sagt: „Ich möchte Freude ins Leben bringen, ein wenig aktivieren.“ Und die Besuche zeigen Wirkung: „Wenn nur jemand zehn Minuten da war, sind die Patienten schon zufriedener, Verwirrtheitszustände reduzieren sich“, sagt Petra Witte-Elixmann, Krankenpflegerin und Demenzexpertin. Sie betreut die derzeit 21 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, ist Ansprechpartnerin und Bindeglied zur Klinik, die auf dem Weg zum demenzsensiblen Krankenhaus nach und nach auch Pflegekräfte zu Demenzcoaches ausbildet.
In ihrem Büro hat sie für die Gedächtnishelfer ein großes Equipment an Material bereitgestellt. Die Ehrenamtlichen bekommen Patienten zugeteilt und suchen sich entsprechende Hilfsmittel aus, die sie auf ihre Runde mitnehmen. Auf einem Laufzettel finden sie Informationen und Besonderheiten. Neben Susanne Bögeholz packt Gedächtnishelferin Monika Weber ihren Korb. Auch für sie ist ihr Einsatz selbstverständlich: „Jeder Mensch sollte ein Ehrenamt machen“, betont sie und fügt augenzwinkernd hinzu: „Wir werden alle mal alt. Vielleicht besucht mich dann ja auch jemand.“ Der Rundgang kann für beide Frauen starten – und endet stets mit einem zufriedenen Gefühl, wie Susanne Bögeholz erzählt: „Ich gehe immer bereichert nach Hause. Auch wenn es oft schwer ist, zu gehen, da die Patienten einfach einsam sind.“
Demenz macht einsam. Das erlebt auch Konstanze Wehrmeyer von der Alzheimer-Gesellschaft Osnabrück. Sie berät Familien, die von einer Alzheimer-Erkrankung betroffen sind, leitet seit einigen Jahren eine Demenzgruppe mit Betroffenen. Sie sagt: „Die meisten Menschen kommen, weil sie zu Hause einsam sind.“ Einmal wöchentlich basteln, backen, singen, spielen und feiern sie zusammen. In der Gruppe blühen viele wieder auf, merken: „Hier sind noch andere, die vergessen.“
Demenz kann jeden treffen. Dabei gibt es viele Ausprägungen. Denn Demenz ist eine Gruppe von Erkrankungen, die die Funktion von Nervenzellen und -verknüpfungen beeinträchtigt und damit die Netzwerke des Gehirns zerstört und die Leistungsfähigkeit herabsetzt. Alzheimer ist dabei die häufigste Form.
Familien sollten frühzeitig Hilfe holen
Die Alzheimer-Gesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Krankheit in die Öffentlichkeit zu bringen, ihr das Stigma zu nehmen. Denn die Akzeptanz von demenziellen Erkrankungen ist nach wie vor schwierig. Viele betroffene Familien leiden unter Schamgefühl und Angst, leben oft isoliert und einsam. „Absolute Not“ erlebt Konstanze Wehrmeyer in ihren Beratungsgesprächen, da viele Betroffene oft zu spät kämen, um Hilfe zu holen. „Demenz ist leider immer noch ein Tabuthema“, bedauert sie. Wenn der Kopf nicht funktioniere, traue sich keiner, das zu sagen – auch nicht im Freundes- und Bekanntenkreis. Es werde immer noch zu viel hinter vorgehaltener Hand ungläubig und kritisch gemunkelt, bedauert Wehrmeyer.
Dabei wäre vieles einfacher, würde man darüber reden, sich informieren und frühzeitig Hilfe holen. Hilfe für die Betroffenen und auch für die Angehörigen, die zu kämpfen haben mit Überlastung und Trauer um die Person, die sich jeden Tag ein wenig mehr von ihnen verabschiedet. Die Expertin erklärt: „Neben der Beratung machen wir hier in erster Linie Trauerarbeit. Bei uns wird eigentlich jede Woche geweint.“ Ihr Rat: „Die Menschen müssen die Krankheit annehmen, nicht verstecken. Und dann möglichst schauen: Was geht eigentlich noch? Viele lenken zu sehr den Blick darauf, was nicht mehr geht.“
Eine gute Diagnostik und medizinische Betreuung sind für betroffene Familien sehr wichtig. Aber auch von der Gesellschaft wünscht sich Konstanze Wehrmeyer mehr Aufmerksamkeit und Empathie: „Vielen Familien wäre schon geholfen, wenn das Umfeld lockerer mit der Situation umgehen würde.“ Dabei gehe es auch um Würde und Respekt: „Nur weil jemand vergisst, muss man ihn nicht behandeln wie ein Kleinkind. Das kann man lernen.“
Betreuer kommen in die Familien
Hilfe und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es viele. Aber die Hemmschwelle, sie anzunehmen, ist nach wie vor groß. Neben Demenzgruppen bietet die Alzheimer-Gesellschaft an, dass geschulte ehrenamtliche Betreuer in die Familien kommen, um sie zu entlasten. Dies geschieht sehr behutsam. Passt die Chemie, ist es ein Erfolgsmodell.
Auch der Malteser-Hilfsdienst bietet einen Besuchs- und Entlastungsdienst an, der in die Familien kommt. Die Ehrenamtlichen gehen mit den Betroffenen einkaufen, sie begleiteten sie zu Ärzten, gehen spazieren, singen, spielen, verbringen Zeit mit ihnen. Die Kosten können über die Pflegekasse abgerechnet werden, die auch für nachlassende kognitive Fähigkeiten Zuschüsse vorsieht. Leiterin Birgit Menke erklärt: „Wir begleiten die Familien über viele Jahre durch alle Höhen und Tiefen. Oft entsteht ein enges Vertrauensverhältnis.“ Die Bedeutung dieser seelischen Unterstützung werde jedoch häufig unterschätzt, stets nur auf Pflege und Hauswirtschaft geschaut. In den Beratungsgesprächen betont sie daher stets: „Es ist in Ordnung, sich für seelische Betreuung und die Gesellschaft Hilfe zu suchen.“ Oft ist sie damit ein Türöffner, nimmt Ängste und Schamgefühl.
Dass ihr dies gelingt, zeigen auch die Rückmeldungen von Angehörigen: „Viele erzählen, dass die Senioren durch die Begleitung wieder aufleben. Sie können mal wieder rausgehen, reden, sich schick machen, was von der Stadt sehen.“ Den positiven Effekt dieses Angebotes erlebt Birgit Menke derzeit auch hautnah in ihrer Familie. Und sie betont voller Inbrunst: „Etwas Besseres gibt es gar nicht. Ich wünsche das wirklich jeder Familie und jedem einzelnen älteren Menschen.“
Alzheimer-Gesellschaft Osnabrück: Konstanze Wehrmeyer, Tel. 05 41/ 800 68 142, E-Mail: info@alzheimer-os.de
Gedächtnishelfer Marienhospital: Klara Heuer, Tel. 05 41/326 88 55, E-Mail: clara.heuer@niels-stensen-kliniken.de
Malteser Besuchs- und Entlastungsdienst: Birgit Menke, Tel. 05 41/505 22 21, E-Mail: Birgit.Menke@malteser.org