Abriss des "Immerather Doms"
"Das ist wie eine Beerdigung"
Ein Ort muss weichen, auch eine Kirche: Der "Immerather Dom" in Erkelenz wird abgerissen. Auch Proteste konnten die Bagger nicht aufhalten.
"Sauberer Strom erhält den Dom", "Arbeitsplätze können nicht alles rechtfertigen" und "Dom statt Kohle". Plakate mit deutlichen politischen Botschaften zieren den Bauzaun, der den Zugang zum "Immerather Dom" versperrt. Daneben hängen Fotos von der Kirche und dem Dorf - von früher, als es noch Leben in Immerath gab. Der Ort muss dem Braunkohletagebau Garzweiler II weichen und wird seit 2006 umgesiedelt. Die Kirche, wegen ihrer zwei Türme auch "Immerather Dom" genannt, wird seit Montagmittag abgerissen. Sie ist eines der letzten Überbleibsel des Dorfes in Nordrhein-Westfalen, in dem nur noch einige wenige Häuser stehen.
Zahlreiche Menschen sind gekommen, um den Abriss mit anzusehen. Viele Schaulustige, wenige Immerather. Wie bei einer Beerdigung wurden Blumen vor dem Zaun abgelegt. "Wir sehen heute das traurige Ende", sagt der Vorsitzende des Heimatvereins der Erkelenzer Lande, Günther Merkens. Er hat im Vorfeld viele Protestaktionen begleitet. Aber diese hätten leider nichts genutzt, blickt er zurück. Warum so wenige Immerather den Abriss mitverfolgen? Die Beteiligten seien den Kampf müde geworden und hätten genug mit der Umsiedlung zu tun, so Merkens. Der Heimatverein plane aber ein virtuelles Museum über die verlorene Heimat. Der "Ort der Erinnerung" solle die Bauten und Orte dokumentieren, die dem Braunkohletagebau weichen mussten.
Ortspfarrer Werner Rombach hat den Prozess der Umsiedlung des Dorfes mitbegleitet und war auch im Oktober 2013 bei der Entwidmung der Sankt Lambertus Kirche dabei. "Hier sind Menschen zusammen gekommen, haben Sakramente empfangen, Angehörige zu Grabe getragen", betont er. Allerdings seien die Emotionen beim Abriss nicht mehr so groß wie beim Entwidmungsgottesdienst; bereits damals habe der eigentliche Abschied stattgefunden. Der Abriss jetzt sei für ihn "ein Befreiungsschlag". Es sei wichtig, nach vorne zu blicken.
Einige wenige Immerather verfolgen den Abriss aber mit. Zwei Bagger graben sich in den Chorraum des Kirchenschiffs. Innerhalb weniger Minuten entsteht ein riesiges Loch, das den Blick in den Innenraum der Kirche freigibt: Einige Fenster sind noch in der Kirche, darunter Scheiben der Rosette. 14 der 42 Glasfenster konnten noch in den vergangenen Tagen gerettet werden.
"Bald wird da nichts mehr sein"
Ein älterer Herr hat bei dem Anblick Tränen in den Augen. "Dass das Gotteshaus nicht geschützt wird, das kann ich nicht verstehen", sagt er. Eine andere Frau ist mit Tochter und Enkelin vor Ort. "Das ist hier wie eine Beerdigung", betont die gebürtige Immeratherin. Sie müsse sich schon zusammenreißen, "aber wir wollten das einfach sehen". Bis 2005 wohnte sie in Immerath - und selbst nach dem Umzug habe sie von ihrem Balkon aus die beiden Türme des Doms sehen können. "Bald wird da nichts mehr sein."
Einige Immerather hören eine Aufnahme des Glockengeläuts bei Youtube, andere unterhalten sich über gemeinsame Erinnerungen. Der Liedermacher Gerd Schinkel hat ein Lied über den Dom geschrieben, das er vor Ort aufführt. "Traurig mancher vor dem Dom verweilt...", heißt es darin. Damit trifft er die Stimmung einer Landwirtin, die als eine der wenigen noch im Dorf wohnt und Ende des Jahres umsiedelt. Von einem neuen Start will sie nichts hören. "Wir müssen hier weg", betont sie. Das habe nichts mit freier Entscheidung zu tun.
Am Morgen hatten Aktivisten von Greenpeace den Abriss vorübergehend verzögert. Mehrere Menschen ketteten sich an die Kirchenfassade und die Bagger. Mit Transparenten wie "Tagebau stoppen!" und "Wer Kultur zerstört, zerstört auch Menschen" protestierten sie gegen den Braunkohleabbau und für den Erhalt heimischer Kulturgüter. Die Polizei beendete die Aktion.
"Die Menschen hier verlieren ihre Heimat - für die Braunkohle", gibt ein Zuschauer aus Odenkirchen zu bedenken. "Wir brauchen ja den Strom", räumt er ein. "Aber mit der Kirche stirbt auch die Seele des Dorfes."
kna