Das schwerste Bild
Gemeindereferent Georg Hillenkamp von der Pfarrei Sankt Ansgar plant eine Ausstellung über den Totentanz. Eines der sicherlich eindrücklichsten Exponate hat die ukrainische Künstlerin Oksana Haidaienko gemalt.
„Es war das schwerste Bild, dass ich je in meinem Leben gemalt habe“, sagt Oksana Haidaienko. Die 43-jährige Ukrainerin sagt diesen Satz mit leicht belegter Stimme und für einen Moment scheint es, als würden sich Tränen in ihren Augen bilden. Doch die Malerin ringt solche Gefühle nieder. Es ist wie ein kleiner Triumph, den sie über die Aggressoren erringt, die am 24. Februar ihr Heimatland überfallen haben.
Oksana Haidaienko lebt mit ihrem 15-jährigen Sohn und ihrer Mutter seit Ende Mai in Schleswig. Gemeindereferent Georg Hillenkamp hat sich bei der Stadt dafür eingesetzt, dass die kleine Familie nach einigen Wochen aus Räumlichkeiten der Pfarrei Sankt Ansgar in ein winziges Haus in der Innenstadt umziehen konnte. Größere Gäste müssen aufpassen, dass sie sich nicht den Kopf an der Decke des winzigen Wohnzimmers stoßen.
Der Vater der Familie, der eigentlich als Spezialist für Informationstechnologie arbeitet, ist noch in Kiew. Er kann aus gesundheitlichen Gründen nicht kämpfen, hilft aber seit Kriegsbeginn anderen Menschen in der Stadt. „Sein Hobby ist Kochen – und sehr, sehr vielen Leuten zu helfen“, erzählt seine Frau stolz.
Oksana Haidaienko kann selbst auch kochen. Sehr gut sogar. Sie hat unter anderem Borschtsch nach ukrainischem Rezept, Blinys (gefüllte Pfannkuchen) und Frikadellen für die Gäste vorbereitet. Gastfreundschaft wird bei Ukrainern großgeschrieben. Obwohl die Gastgeberin selbst kaum einen Bissen runterbekommt.
Das von ihr gemalte Ölbild erzählt vom Krieg und von seiner Bändigung. Oksana Haidaienko hat Kunst studiert, im Autohandel gearbeitet und eher nebenbei an einer Schule für Kinder mit Behinderungen als Kunstlehrerin gearbeitet. Malen, das tut sie seit ihrem zehnten Lebensjahr.
Das Immergrün greift dem Tod in den Arm
Im Mittelpunkt ihres Bildes steht der Tod. Es ist ein Skelett, das sich aus einer eingerissenen ukrainischen Flagge dem Betrachter entgegenreckt. Die Flagge ist zerknittert und hat drei Einschusslöcher. An einer Hand ist eine Rakete zu sehen, eine Atomrakete. Aller Voraussicht nach wird sie nicht explodieren. Denn ein Strang Barvinok – so lautet der ukrainische Begriff für das Immergrün – scheint den überrascht dreinblickenden Tod in etwas zu verstricken. Es ist die Hoffnung auf Frieden. „Du musst für unseren Sohn überleben“, hat Oksanas Mann seiner Frau gesagt, als er seine Familie ziehen ließ.
Georg Hillenkamp, dem die Künstlerin das Bild geschenkt hat, hatte vor einiger Zeit die Idee gehabt, moderne Totentänze zu sammeln und plant eine Ausstellung dazu. „Eigentlich ist das Leben ja immer ein Tanz. Das haben Menschen schon im Mittelalter erkannt“, sagt der Gemeindereferent. Er verweist auf den Lübecker Totentanz und auf den Basler Totentanz; der Lübecker Totentanz aus St. Marien ist nicht mehr erhalten, der aus Basel nur noch in Teilstücken. Typische Totentänze zeigen den Tod als Skelett oder Sensenmann, der alle Menschen mit sich nimmt, vom Papst und Kardinäle über Bettelleute bis hin zu Kindern. Vor dem Tod sind alle gleich, so lautet die Botschaft.
Hillenkamp hat sich nicht nur mit dem Thema beschäftigt, sondern schon einige Exponate gesammelt, die ab dem Frühjahr in einer Ausstellung auf Sylt, in St. Peter-Ording, in Eckernförde und in Lübeck zu sehen sein sollen – dank aktueller und früherer katholischer Tourismusseelsorger in Schleswig-Holstein, zu denen auch Hillenkamp gehört.
Sein Interesse für das Motiv des Totentanzes habe er kurz vor Beginn der Coronapandemie entdeckt, erinnert er sich. Ein erster Aufruf an Künstler, Werke einzureichen, hatte wenig Resonanz. Nicht zuletzt, so glaubt Hillenkamp, weil kirchliche Kunst in der Gegenwart kaum noch gefragt ist. In den Kirchen gebe es mitunter Kunst aus jüngerer Zeit, die dann jedoch stets das Präfix „neo“ trage. Moderne Kunst, die meist provokativ sei, die werde kaum für Kirchen angekauft. „Ich finde, wir müssen unbedingt wieder in den Dialog kommen zwischen Kunst und Glaube. Eine Auseinandersetzung damit ist sehr wertvoll“, findet Hillenkamp.
Er hat für sein Ausstellungsprojekt auch eine finanzielle Unterstützung des Erzbistums zugesagt bekommen. Künstler, die Arbeiten zum Totentanz-Motiv bei ihm einreichen wollen, können das noch tun. Aber auch so hat er schon einige sehenswerte Stücke gesammelt: einen originalen Psalter aus einem Pariser Gebetsbuch von 1485 zum Beispiel und eine Art Gebetsfahne aus Mexiko. Das alles soll zu einem Gesamtkunstwerk verschmolzen werden.
Das Thema Tod, so findet Hillenkamp, passt in diese Zeit angesichts von Pandemie, Ukraine-Krieg und Hunger in der Welt: „Es liegt so nahe. Es ist immer näher gekommen, viel zu nahe.“
Marco Heinen