Der Glaube blieb unzerstörbar

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50 Jahre nach der Sprengung der Rostocker Christuskirche am 12. August 1971 erinnerten Gläubige an dieses Ereignis. Zu den Gästen gehörte Joachim Gauck, ehemaliger Pastor in Rostock und später Präsident der Bundesrepublik.

Weihbischof Horst Eberlein, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck, Ádám Sonnevend und Ulrike Jahnel enthüllen die Gedenktafel beim ehemaligen Standort der Christuskirche
Eine Tafel zeigt die Christuskirche, wo sie heute nicht mehr steht. Von rechts: Weihbischof Horst Eberlein, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck, Ádám Sonnevend und Ulrike Jahnel. Foto: Werner Murawski

Ein Sommerabend in einer schönen Stadt am Meer. Einkäufer schlendern durch das backsteinerne Kröpeliner Tor, Studenten und Ostseeurlauber gehen vorüber oder ruhen sich auf Bänken aus. Die Straßenbahn zuckelt vorbei. Eine junge Band stimmt im Schatten von Kastanien die Ins­trumente. Eine Stuhlreihe steht mitten auf dem Pflaster und ein Mikrophon auf einem Ständer. 

Man kann sich nicht vorstellen, was sich in dieser jungen, lebendigen und friedlichen Stadt vor genau 50 Jahren ereignet hat. Damals, am 12. Juli, wurde an genau dieser Stelle die katholische Kirche gesprengt. Deshalb ist die Band da und die Stühle. Die Ehrengäste werden dort Platz nehmen, unter anderem der ehemalige Präsident der Bundesrepublik Deutschland, und an das Ereignis erinnern. 

Wer die Geschichte der Chris­tuskirche nicht kennt, kann sie jetzt über eine große Infotafel mit Fotos und Texten erfahren. Ulrike Jahnel, die Archivarin der Chris­tuskirche, und Ádám Sonnevend werden die Tafel, die von einem gelben Tuch bedeckt ist, am Ende der Feierstunde enthüllen. Ádám Sonnevend war maßgeblich bei Errichtung des Mahnmahls, das seit 2009 ebenerdig an die Zerstörung der Christuskirche erinnert. 

Drei Rostocker Kirchen wurden zerstört

Die 1909 erbaute katholische Kirche war nicht die einzige Kirche in der DDR, die als Fremdkörper und Symbol einer „überholten“ Epoche zerstört wurde. Sie war auch nicht die einzige gesprengte Kirche in Rostock. Daran erinnerte der ehemalige Rostocker Pastor und spätere Bundespräsident Joachim Gauck. 1958 waren schon die Jacobi- und die Lutherkirche abgerissen worden. Vorwand für die Beseitigung der Christuskirche war ein geplanter Umbau der Stadt, der sich aber schon vorher als undurchführbar erwiesen hatte. 

„Ein typischer Akt der Barbarei!“ Dr. Harald Terpe (Bündnis90/Die Grünen), stellvertretender Präsident der Rostocker Bürgerschaft, fand besonders deutliche Worte über diesen Vorgang. Er erinnerte an die Ohnmacht der Gläubigen, die mit Eingaben an die Stadt gegen die geplante Sprengung protestierten. „Gegen Machthaber mit einem barbarischen Verhalten sind Vernunft und Kraft der Argumente machtlos“, so Terpe. Und er forderte die Zuhörer auf, die Lehren aus der Erinnerung zu ziehen: „Stehen wir zusammen und schützen Menschen und Grundrechte.“

Auch der Rektor der Rostocker Universität, Professor Dr. Wolfgang Schareck, sah in der Vernichtung der Kirche mehr als ein historisches Ereignis. Zerstörung heiliger Stätten  durch Gewaltherrscher habe es zu allen Zeiten gegeben. Schareck sprach von „einer Linie“, die die Zerstörung des Jerusalemer Tempels (durch die Babylonier und später durch die Römer), die Sprengung der Buddhastatuen von Bamyian durch die Taliban und die Zerstörung der Tempel in Palmyra durch die IS verbindet.  

Der Rostocker Joachim Gauck, ehemaliger Bundespräsident und Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen (Gauck-Behörde), war 1971 gerade von der Pastorenstelle in Lüssow in seine Heimatstadt gezogen und Stadtjugendpfarrer in Rostock geworden. Jetzt, 50 Jahre nach der Kirchensprengung, sprach er die Grenzen an, an die alle kirchenfeindlichen Aktionen der SED stießen. „Man konnte ein Haus aus Stein abbrechen, aber das Haus des Glaubens konnte man nicht abbrechen.“  

Die Angriffe auf den christlichen Glauben hätten diesen Glauben nicht geschwächt, im Gegenteil. Die getrennten Kirchen wuchsen in der bedrängten Lage zusammen.  „Die Gegnerschaft hat uns zusammengeschweißt. Vieles, das nicht im Glauben zueinander finden konnte, wurde durch unsere Gegner zusammengebracht“, so Joachim Gauck. Und in den verbliebenen Kirchen herrschte eine Kultur, die die Kraft zum Widerstand hatte. „1989 ist von unseren Kirchen auch der Umbruch ausgegangen.“ 

Wer heute die katholische Kirche in der Rostocker Innenstadt besucht, findet sie nicht mehr direkt am Kröpeliner Tor. Dafür aber befindet sich 500 Meter weit davon entfernt eine aktive, anziehende und ausstrahlende Gemeinde mit Hochschulseelsorge, es gibt in der Stadt katholische Kindergärten, eine Grundschule und ein Gymnasium, eine aktive und weithin geachtete Caritas. Die Rostocker Katholiken haben nach dem Verlust ihrer Kirche 1970 nicht aufgegeben. In einem Grußwort des Nuntius, der die Grüße von Papst Franziskus nach Rostock brachte, ist gerade davon die Rede. „So wie die Gläubigen nach dem 12. August 1971 nicht einfach resignierten, sondern in sich die Hoffnung bewahrten, gilt gerade heute, was uns der Bischof von Rom sagt: Jeder Tag bietet uns eine neue Gelegenheit, ist eine neue Etappe.“ 

Text: Andreas Hüser