Konflikt zwischen Israel und Palästinensern
An der Grenze der Hoffnung
Foto: kna/Andrea Krogmann
Roni Keidar lebt an der Grenze. Oft hadert sie mit ihr. Immer wieder streckt sie die Hand zur anderen Seite aus. Die israelische Friedensaktivistin hat den Angriff der Hamas vom 7. Oktober in ihrem Moschaw Netiv Haasara am Gazastreifen er- und überlebt. „Wir sind die Opfer von Radikalen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie unser Leben bestimmen“, sagt sie. Die 80-Jährige meint die Radikalen auf beiden Seiten und hält an ihrem Ruf nach einer anderen Lösung als Gewalt für den israelisch-palästinensischen Konflikt fest. „An der Grenze zur Hoffnung“ heißt ihre Autobiografie, die in Kürze erscheint.
Gerade lebt Roni Keidar nicht an der Grenze. Nach ihrer Evakuierung in ein Hotel hat sie mit ihrem Mann Ovadia in Kfar Schmarjahu nördlich von Tel Aviv Zuflucht gefunden. Bald geht es weiter südlich in eine andere temporäre Behausung, näher dran an Netiv Haasara. „Ich bin noch nicht bereit, nach Hause zurückzukehren, auch wenn mein Mann sich das sehr wünscht“, sagt sie.
Aber Roni Keidar empfängt Gruppen in Netiv Haasara. Hier, ein paar hundert Meter von der Gaza-Grenze, wird die Kraft ihres Einsatzes für einen friedlichen Weg ganz anders deutlich. Im seit dem 7. Oktober verwaisten Wohnzimmer, umgeben von farbenfrohen Gemälden ihres Mannes, erzählt sie vom Abend des 6. Oktober. Ein Freitag, Beginn des Schabbats und von Simchat Thora, des Festes der Thorafreude. „Am 6. Oktober hat mir die stille Autorin gesagt, dass der Entwurf meines Buches fertig ist“, sagt sie. „Am Abend haben wir in der Familie darauf angestoßen, und dann sind wir mit dem 7. Oktober aufgewacht.“
„Al gwul haTikwa“, an der Grenze der Hoffnung, soll es heißen, „fast ein Oxymoron“, sagt Roni Keidar. Es gebe wenig Hoffnung, wenn eine Mauer die Grenze sei. Aber man könne auf beiden Seiten der Mauer mit Einsatz und Veranstaltungen Hoffnung schaffen – und darauf hinarbeiten, dass die Mauer eines Tages falle.
„Ich wusste, dies ist mein Land“
Genau das macht die Aktivistin seit Jahrzehnten: mit der Organisation „Frauen wagen Frieden“, mit dem „Leuchtturm“, einem Projekt in der Nähe des Kibbuz Beeri, das Raum bieten will, um Bewusstsein für Gaza zu schaffen und einander kennenzulernen. Mit „Kol acher“ (andere Stimme), das auf grenzüberwindende Dialoge zwischen Israelis und Palästinensern aus Gaza setzt, und mit Tanz- und Dramagruppen, in denen Israelis und Palästinenser gemeinsam lernen.
Roni Keidar nimmt ihre Gäste in Netiv Haasara mit an die Mauer. Von hier kann man den Gazastreifen sehen. Ein buntes Mosaik ziert den grauen Beton. „Weg zum Frieden“ steht dort unter einer großen Taube, auf Englisch, Hebräisch und Arabisch. Sie sagt: „Wir wollen, dass die Situation sich ändert, aber gegenwärtig geht es nicht ohne Grenze oder ohne Armee.“
Als junge Frau wanderte Keidar von Großbritannien nach Israel ein und lebte im ursprünglichen Moschaw Netiv Haasara auf der Sinaihalbinsel, die im Rahmen des israelisch-ägyptischen Friedensschlusses an Ägypten zurückgegeben wurde. Keidar zog mit ins neue Netiv Haasara, an der nördlichen Gaza-Grenze. „Ich wusste, dies ist mein Land, hier werde ich leben“, sagt sie. Zehn Jahre in Kairo, wo ihr Mann als landwirtschaftlicher Berater arbeitete, seien ihr Wendepunkt gewesen. Erstmals „Leute von der anderen Seite“ zu treffen, habe in ihr einen inneren Konflikt ausgelöst, erinnert sie sich.
„Ich wollte, dass die Menschen verstehen, dass ich nicht eines Tages aufgewacht bin und mir gesagt habe: ,Ich will meinen Nachbarn lieben.‘ Es reicht viel tiefer als das“, sagt Keidar über ihre Motivation für die Autobiografie – ein Projekt, an dem sie mit Unterbrechungen rund zehn Jahre gearbeitet hat. Ihre Autobiografie hat einen Epilog bekommen, um den 7. Oktober aufzufangen.
Der 7. Oktober habe Schaden angerichtet, auch bei ihr, sagt sie: „In allen Runden der Gewalt habe ich immer gesagt, ich kann die Palästinenser verstehen. Aber für den 7. Oktober gibt es keine Entschuldigung.“ Roni Keidar hält weiterhin den Kontakt nach Gaza. „Nicht alle Palästinenser stehen für die Hamas“, sagt sie. „Ich werde nicht so weit gehen zu sagen, ich kann meinen Freunden nicht vertrauen.“ Und sie spricht weiter zu Gruppen über ihre Arbeit, auch wenn die Fragen heute schwieriger seien. „Wichtiger denn je“ sei es, so sagt sie, „mit Menschen zu sprechen, die nicht meiner Meinung sind“.
Naiv, optimistisch, verträumt: Vieles hat Roni Keidar schon von anderen über sich selbst gehört. Sie selbst sieht sich mit ihrem Glauben an Frieden als die wahre Realistin. Besatzung, sagt sie, lasse sich weder verwalten noch dauerhaft aufrechterhalten. „Dies ist mein Zuhause“, betont Keidar. „Aber im Unterschied zu vielen anderen weiß ich, dass es ein weiteres Volk gibt, das eine historische und theologische Verbindung zu diesem selben Land hat.“ Keines von beiden Völkern werde von hier verschwinden, deshalb müsse jede Anstrengung unternommen werden, zusammenzuleben, „wie auch immer die konkrete Lösung aussehen mag“.