Die Neue KirchenZeitung Hamburg im Gespräch mit Sr. Nathalie Becquart aus dem Generalsekretariat der Bischofssynode

Der Traum von einer hörenden Kirche

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Nathalie Becquart kommt aus Frankreich und gehört dem Orden der Xavières an. Ihr aktueller Auftrag machte sie plötzlich berühmt: Als Untersekretärin im Generalsekretariat der Bischofssynode ist Schwester Becquart die erste Frau mit Stimmrecht in einer Bischofssynode. In ihrem Büro in Rom hat sie Kontakt mit den Kirchen in allen Ländern. Das folgende Gespräch fand per „Zoom-Meeting“ statt. 

Sr. Natalie Becquart
Schwester Nathalie Becquart wurde 1969 in Fontainebleau bei Paris geboren. Sie studierte Wirtschaft, Theologie, Philosophie und Soziologie. Mit 26 Jahren trat sie dem Ordensinstitut der Xavières bei. Viele ihrer Tätigkeiten hatten mit Jugendlichen zu tun. Beim Programm „Pfadfinder in Arbeitervierteln“, als Studentenseelsorgerin und in leitenden Tätigkeiten für Jugend- und Studentenseelsorge der französischen Bischofskonferenz.  Foto: Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani/KNA

Schwester Natalie, Sie sind Untersekretärin der Bischofssynode mit dem Thema „Synodale Kirche“. Was ist Ihre Aufgabe dabei? Woran arbeiten Sie gerade? 

Unser Team im Generalsekretariat umfasst etwa 15 Personen. Und unsere Aufgabe ist sehr klar: Wir bereiten die Synode vor, fördern und unterstützen sie. Und was dazu gehört: Wir fördern Synodalität, jetzt schon, und zwar in der ganzen Kirche. 

Wie machen Sie das?

Durch eine Menge Präsentationen, durch Internet-Konferenzen, wir schreiben Artikel, wir halten Vorträge. Wir kommunzieren die Vision einer synodalen Kirche, auf jeder Ebene, von den Bischofskonferenzen bis zu den Graswurzeln. Um das zu tun, sind wir mit allen Bischofskonferenzen der Welt in Kontakt. Wir haben Zoom-Konferenzen mit den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen. Wir haben darum gebeten, dass in jeder Diözese ein Team für dieses Thema zuständig ist. Wir selbst arbeiten mit Experten, mit Theologen aus der ganzen Welt. Es gibt dazu vier Kommissionen, zu den Themen Theologie, Methodologie – da ist eine Skizze, ein Handbuch entstanden, das sagt, wie der Prozess laufen soll. Es gibt eine Kommission für Spiritualität und für Kommunikation. Wenn Sie wollen, das Leute an Bord kommen, müssen sie die Sache kommunizieren. Das Ziel ist, dass die Menschen in der ganzen Welt in all ihrer Verschiedenheit an Bord kommen. Schon in der Vorbereitung sollen sie erleben, wie eine synodale Kirche sein kann.

Kann man sagen: Das Ziel und der Weg dorthin, das ist dasselbe? 

Das kann man so sagen. Das Wichtigste dabei ist: Synodalität ist „learning by doing“. Man kann lange darüber reden. Aber jemand, der nicht selbst die Erfahrung von Synodalität gemacht hat, weiß eigentlich nicht, was das ist. 

Was ist das Besondere, das diese Erfahrung ausmacht? 

Es ist der Stil des Urteilens, der Stil des Hörens, der Stil des gemeinsamen Erkennens. Und das kann man nur lernen, wenn man es macht. Die Kirche ist heute dabei, dieses synodale Handeln wieder neu zu lernen – neu erfunden haben wir es nicht. Es war der Stil der frühen Kirche. 

Sie sind in der Geschichte der Kirche die erste Frau, die in einer Bischofssynode das Stimmrecht hat. In vielen Medien wurde das als Sensation bewertet. Wie wichtig ist das für Sie persönlich? 

Für viele Leute ist das sehr wichtig, und es hat sicherlich einen symbolischen Wert. Ich kann dazu zwei Dinge sagen: Ich bin nicht alleine. Ich fühle mich verbunden mit so vielen Frauen vor mir! Ich bin da nur ein kleiner Teil einer langen Linie. Ich bin die Frucht von Erfahrungen vieler Frauen, die in den örtlichen Kirchen schon jetzt leitende Funktionen haben. Gleichzeitig hoffe ich, dass meine
Funktion die Kirchen vor Ort ermutigt, auf diesem Weg weiterzugehen. Denn es ist ja eine Tatsache: Die Frauenfrage ist ein Zeichen der Zeit, eines der Hauptprobleme, eine Hauptfrage für die Gesellschaft und für die Kirche. Wir müssen da vorwärts kommen. Wir müssen patriarchalische Denkweisen loswerden und neue Wege finden, wie wir gemeinsam als Männer und Frauen die Kirche bilden. 

Das war der erste Punkt. Und der zweite? 

Das zweite, was mir wichtig ist: Die Stimme, die ich habe, ist eine von 99 Stimmen. Und sie kommt erst am Ende der Synode zum Tragen. Am Ende des Prozesses, das heißt: Dann, wenn es schon einen Konsens gibt. Wenn es gut läuft, dann wird diese Abstimmung ganz leicht vonstatten gehen. Eine Synode ist ja kein Parlament. Es geht nicht darum, dass sich am Ende per Abstimmung eine Mehrheit durchsetzt. Es geht darum, einen gemeinsamen Weg zu finden, schon vor der Abstimmung. Das Wichtigste ist nicht, dass Frauen abstimmen, sondern dass sie von Anfang an in diesem Prozess eingebunden sind. Umgekehrt wäre es sinnlos.

Der Prozess soll Katholiken aus der ganzen Welt beteiligen. Wenn die ganze Welt mitredet, treffen aber ganz verschiedene Vorstellungen, Traditionen, Meinungen aufeinander. Ist ein Konsens überhaupt möglich? 

Das werden wir sehen! Leicht wird es nicht. Aber ich kann sagen: Die bisherige Erfahrung ist gut. Wir haben Zoom-Konferenzen an denen Referenten aus allen Kontinenten teilgenommen haben. Und: Es war wundervoll! Es ist da eine unglaubliche Zustimmung und Freude zu spüren – in Afrika, Lateinamerika, auch Europa. Natürlich gibt es gemischte Reaktionen. Einige sind begeistert, andere skeptisch. Das ist normal. Denn es geht um einen Kulturwandel. In jeder Organisation, in der so etwas geschieht, gibt es auch Widerstände.

Ein Kulturwandel in einem Unternehmen wäre wohl leichter zu volllziehen als in der katholischen Kirche, die ja viele unterschiedliche Kulturen vereinigt…. 

Stimmt, die Kirche ist eine Kirche der örtlichen Kirchen. Das heißt: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, Synodalität zu erreichen. Das geht nur mit Rücksicht auf die Kultur und Verschiedenheit. Die Situationen sind so verschieden! Länder wie Frankreich oder Deutschland haben lange Erfahrung mit Synoden und synodalen Strukturen. In vielen anderen Ländern gab es noch nie eine Diözesane Synode. Die wissen nicht, was das ist! Oder sie leben nicht in einer Demokratie und haben keine Erfahrung der politischen Mitsprache und Mitbestimmung. Es kann sein, dass sich am Ende in verschiedenen örtlichen Kirchen etwas Unterschiedliches ergibt. Die Kunst bei der Sache ist, Einheit und Vielfalt zusammenzubringen. Das müssen wir erst lernen.

In Deutschland läuft gerade der so genannte „Synodale Weg“. Sehen Sie ihn ehr mit Befremden, mit Interesse oder ablehnend als Aktion, die die Kirche spaltet? 

Eine synodale Kirche ist eine hörende Kirche. Wir lernen gerade Synodalität neu, und wir lernen alle voneinander, auch von Deutschland und anderen Ländern. In Deutschland gibt es den Synodalen Weg, in Lateinamerika die „Asamblea Ecclesial“, den „Plenary Council“ in Australien. Von allen diesen Erfahrungen lernen wir – und versuchen, das Beste daraus zu übernehmen. Wir fragen jetzt ja ausdrücklich: Wie habt ihr bisher gemeinschaftlich gehandelt? Was ist eure bisherige Erfahrung mit Synodalität? Und was ist dann der nächste Schritt, zu dem der Heilige Geist euch aufruft?

Wie können die Deutschen ihre Erfahrungen am besten einbringen? 

Ich hoffe, dass sie Zeit finden, ihren Prozess zu reflektieren. Was ist gut gelaufen? Was waren die Schwierigkeiten? Was sollte man verändern? Diese Überlegungen sind für die gesamte Kirche wichtig. Sie muss bereit sein, auf die lokalen Kirchen zu hören. 

Es gibt viele konkrekte Erwartungen, was sich in der Kirche ändern sollte. Mehr Rechte für die Frauen, mehr Kontrolle „von unten“ usw. Haben in der Synode solche Erwartungen eine Chance auf Realisierung? 

Das wissen wir nicht. Die Stellungnahmen aus den Diözesen kommen ja erst. Wir können die Ergebnisse nicht vorhersagen. Wenn alle die gleichen Anliegen vorbringen, dann wird es ein Thema der Synode sein. Aber wie ich schon sagte: Die Prioritäten werden in unterschiedlichen Ortskirchen sehr unterschiedlich gesetzt. Wir respektieren den Prozess wirklich. Es wird keine Vorgaben geben, was am Ende herauskommen soll.

Der gesamte Prozess soll nicht eine organisatorische Reform sein, sondern ein geistlicher Prozess. Können Sie erklären, was damit gemeint ist? 

Was wir anstreben, ist ein neues Pfings­ten. Ein neues Pfingsten, so haben schon die Konzilsväter des Zweiten Vatikanischen Konzils dieses Konzil genannt. Wir hoffen, dass die Kirche das wieder erleben wird. Ziel der Synode ist nicht, Dokumente zu produzieren. Das Ziel ist, „Träume aufkeimen zu lassen, Prophetien und Visionen zu wecken, Hoffnungen erblühen zu lassen, Wunden zu verbinden, eine Morgenröte der Hoffnung aufleben zu lassen“, so heißt es im Vorbereitungsdokument. Es ist der Traum einer inklusiven Kirche, in der alle als Schwestern und Brüder teilhaben – und der Welt dienen können. Das ist sehr wichtig. Denn es geht ja nicht um eine bessere Organisation, sondern um unseren Auftrag, die Welt als gemeinsames Zuhause aller Menschen zu gestalten. 

Auch wenn das Ende offen ist: Was ist ihr persönlicher Wunsch für das Ergebnis der Synode? Was soll am Ende stehen? 

Mein Wunsch ist: Die Kirche fährt fort zu sein, was sie immer war – aber in anderer Weise unter veränderten Bedingungen. Denn wir leben in einer Welt, die sich verändert. Ich bin zuversichtlich, das wir das erreichen. Ich bin überzeugt davon, dass Synodalität der Ruf Gottes für die Kirche im dritten Jahrtausend ist. Wenn das so ist, werden wir auch die Gnade erhalten, es zu verwirklichen: die Freude, die missionarische Begeisterung, die gute Zusammenarbeit aller, der Jungen, Alten, Frauen, Männern, Laien und Klerikern. Ich wünsche mir, dass das Wirklichkeit wird. 

Interview: Andreas Hüser