Der Uwe, der nicht abhebt

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Uwe Seeler war ein Mann, den jeder kannte. Einer der besten Mittelstürmer seiner Zeit, Musterbeispiel für einen Star, der bescheiden blieb und für ganz unterschiedliche Menschen „einer von uns“. Mit dem Hamburger Erzbischof Werner Thissen verband ihn eine gemeinsame Leidenschaft – der Fußball.


Fußballstar mit Kreuz, Bischof mit Ball: Dieses Foto entstand nach einem Gespräch zwischen Uwe Seeler und Erzbischof Werner Thissen 2006. | Foto: Andreas Hüser

VON ANDREAS HÜSER

Es war nach einem Gespräch zwischen dem Fußballer Uwe Seeler und dem Erzbischof von Hamburg, Werner Thissen. Beide hatten lange gesprochen – über Gott und die Welt, das Leben und natürlich den Fußball. Nachher sollte ein Foto gemacht werden. Beide bekamen Requisiten in die Hand. Der Bischof ein Kreuz, der Mittelstürmer und Ehrenkapitän der Deutschen Nationalmannschaft einen Ball. Aber dann guckten beide sich an. Bischof mit Kreuz, Fußballer mit Fußball? Wo ist da der „Kick“? Also wurden die Gegenstände getauscht. Auf dem Foto, das später in dem Buch „90 Minuten – Anstöße eines Fans“ veröffentlicht wurde, trägt Uwe Seeler das Kreuz, Werner Thissen den Ball. Ein Sinnbild dafür, dass das Leben jedes Menschen mehrere Dimensionen hat.

Nun ist für Uwe Seeler die irdische Spielzeit zu Ende gegangen. Die Nachricht verbreitete sich nicht nur in Hamburg sehr schnell. Werner Thissen: „Schon am Todestag sagten mir Leute auf der Straße: Uwe Seeler ist tot. Seitdem denke ich voller Dankbarkeit an ihn, auch in Gebet und Gottesdienst.“ Einige Begegnungen gab es zwischen beiden, die dem emeritierten Erzbischof jetzt wieder in den Sinn kommen: „Als ich Uwe Seeler vor einigen Jahren fragte, ob Fußball ihm noch Spaß macht, sagte er, Fußball hat sich sehr verändert und ist heute viel Geschäft geworden. Wir müssen aufpassen, dass das nicht aus dem Ruder läuft. Wir dürfen nicht abheben und müssen auf dem Teppich bleiben, auch mit unseren Erwartungen. Fanatiker hätten im Sport nichts zu suchen, vor allem die nicht, die Krawalle machen.“

Nicht abheben – dass er nicht abgehoben ist trotz seiner Beliebtheit, gehört zum Profil der „Legende“ Uwe Seeler. Erzbischof Thissen erinnert sich: „Einmal erzählte er, wie er während seiner Karriere noch länger seinem Beruf als Handelsvertreter nachgegangen ist und Sportschuhe und andere Adidasprodukte verkauft hat. Als ich sagte, ich habe auch Schuhe verkauft während des Studiums im Geschäft meiner Eltern, da meinte er: Dann haben wir ja auch noch das gemeinsam. ,Und was noch?‘ fragte ich nicht ohne Hintergedanken.

Ja, die Religion, den Glauben, gab er zur Antwort und fuhr fort: Ich bin zwar kein großer Kirchgänger, aber ich versuche zu helfen, wo ich helfen kann. Und dann haben wir uns ausgetauscht über Werte, vor allem im Sport, über Teamgeist und Fairness.“

Uwe Seeler war zwei Jahre älter als Werner Thissen. Als das berühmte Finale der Fußballweltmeisterschaft im Londoner Wembley- Stadion 1966 ausgetragen wurde, stand Uwe Seeler auf dem Platz, Werner Thissen hatte am gleichen Tag eine erste Stelle als Kaplan angetreten. „Viele Jahre später, in Hamburg, haben wir oft über die Fußball-Weltmeisterschaft in Wembley gesprochen, über das Tor, das kein Tor gewesen ist. Für Uwe war das ganz klar. Auch wenn er über die Fehlentscheidung des Schiedsrichters jetzt noch schimpft, meint er, es war bitter, aber wir haben es mit Anstand getragen. So gehört es sich im Sport: Gewinnen wollen, aber verlieren können.“

Ebenso unvergesslich wie das Wembley-Tor ist eine andere, in die Fußballgeschichte eingegangene Fehlentscheidung, über die Uwe Seeler und Werner Thissen ihre eigenen Gedanken austauschten. „Ich fragte ihn nach der ,Hand Gottes‘ – dem Tor, das Diego Maradona per Hand erzielte und es mit Gott rechtfertigte. Uwe Seeler eindeutig: Ich hätte zugegeben, dass es Hand war. Und weiter: Im Leben spürt man aber manchmal, dass noch ein anderer seine Hand im Spiel hat.“

Fußball ist ein Sport, der Einsatz erfordert, wo es auch mal hart zur Sache geht. Vielleicht ist das auch in der Kirche nicht ganz anders. Uwe Seelers Bekenntnis dazu: „Man muss im Fußball dahin gehen, wo es wehtut, voller körperlicher Einsatz also, nur muss man wissen, wie weit man gehen kann.“

„So habe ich Uwe Seeler erlebt“, sagt Werner Thissen. „Nachdenklich, gradlinig, nicht nur an sich selbst denkend, offen und ehrlich, und selbst beim Ansturm auf seine Autogramme und bei Lobeshymnen in den Medien der Uwe, der nicht abhebt, sondern auf dem Teppich bleibt wie ein guter Kamerad. Einmal habe ich ihn gefragt, ob es stimmt, dass er in seiner ganzen Laufbahn nur eine rote Karte bekommen hat. Spontane Antwort: Ja, und die war unberechtigt. Ich bin sicher, dass Gott ihm jetzt nicht die Rote Karte zeigt.“