Die Basis unseres Glücks
Foto: Marco Heinen
Schleswig-Holsteiner sind die glücklichsten Deutschen und das schon seit Jahren. Das jedenfalls haben Forscher der Universität Freiburg ermittelt, die seit 2011 dazu Interviews mit jeweils über 11 000 Menschen auswerten, sodass sie zu einem repräsentativem Ergebnis kommen. Die Ergebnisse werden jedes Jahr als Glücksatlas (seit 2022 als SKL-Glücksatlas; www.skl-gluecksatlas.de) veröffentlicht und geben Auskunft über die Lebenszufriedenheit der Menschen. Wobei unter anderem nach allgemeiner Lebenszufriedenheit, Gesundheit, Partnerschaft und Familie, Arbeit, Einkommen und Kaufkraft sowie Freizeitaktivitäten gefragt wird. Das Ergebnis ist also mehr als nur die Wiedergabe eines flüchtigen Bauchgefühls.
Doch neben den wissenschaftlichen Parametern gibt es vielleicht noch andere Faktoren, die dafür sorgen, dass die Schleswig-Holsteiner regelmäßig ganz vorne im Ranking der Bundesländer zu finden sind. Utz Schliesky, Staatsrechtler und Verwaltungswissenschaftler, hat sich darüber Gedanken von „A bis Z“ gemacht und ein Buch mit dem Titel „Schleswig-Holstein 2030 – Wege zum Glück“ geschrieben.
Anlass war sein Eindruck „als Staatsbürger“, wie er sagt, dass in unserer Gesellschaft „eine schlechte Stimmung vorherrscht, und da wollte ich etwas dagegensetzen“, sagt er. Es war die Coronazeit, in der er zu schreiben begann.
Individuelle Freiheit ohne Kirchen nicht denkbar
Schliesky, der übrigens auch Direktor des schleswig-holsteinischen Landtags ist, fällt unter „C“ das Christentum als wesentlicher Glücksfaktor ein: „Als überzeugter Christ war mir das auch wichtig, das C mit Christentum gleichzusetzen“, sagt er. Zwar wisse er darum, dass viele Menschen anders dächten und die Zahl der Kirchenmitglieder sinke. Dennoch wolle er darauf hinweisen, dass das Christentum „eine Basis unseres Glücks“ sei und es sich deswegen lohne, dafür einzustehen. Was die Menschen heute als Basis ihrer individuellen Freiheit genießen könnten, sei ohne das Christentum „überhaupt nicht denkbar“, meint Schliesky.
Wenn es darum gehe, Glücksfaktoren anzupacken, damit es 2030 immer noch so sei, „müsste es doch auch für die Kirchen Anlass sein, dass dieser Trend gebrochen wird“, sagt er mit Blick auf den Bedeutungsverlust des Glaubens in der Gesellschaft. Beim Glauben sei er „der festen Überzeugung“, dass er glücklich mache und nennt als Beispiel die Bedeutung der Kirchen für das Leben in der Gemeinschaft, was für den Menschen als soziales Wesen glücksfördernd sei, „wenn man dann auch sieht, welche unglaublich tollen sozialen Leistungen Kirchen erbringen, die wir uns sonst heute gar nicht leisten könnten.“ Ob das alles ohne die Kirchen finanzierbar wäre und die Politik dort auch Prioritäten setzen würde, „ist ja eine offene Frage“, sagt der Wissenschaftler. „Deswegen, für den sozialen Zusammenhalt machen die Kirchen unglaublich viel. Darüber sollten sie allerdings ihren Ursprungsauftrag, den Glauben zu vermitteln, den Glauben zu leben, auch nicht vergessen“, ist er überzeugt.
Glaubwürdigkeit der Kirchen ist beschädigt
Es gebe Reformbedarf, etwa beim Thema Missbrauch. „Das ist natürlich etwas, was die Glaubwürdigkeit der Kirchen und die moralische Stellung der Kirchen unglaublich stark beeinträchtigt“, weshalb intensiv daran gearbeitet werden müsse, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. „Denn aus meiner Sicht brauchen wir gerade die Kirchen als moralische Institution in einer Welt, die immer unsicherer wird und in der viele Menschen auch nach Halt suchen“, so Schliesky im Interview mit dem Rundfunkreferat des Erzbistums.
Seine Kritik an den Kirchen richtet sich auch auf den aus seiner Sicht vorhandenen Trend der Bürokratisierung, der sich darin zeige, dass versucht werde, „unglaublich viele verschiedene Ziele und Vorschriften“ noch in das „kirchliche System“ hineinzubringen, was Pastorinnen und Pastoren davon abhalte, sich um die Seelsorge vor Ort zu kümmern. Auch eine Verschlankung der Verwaltung sei angesichts der Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen „selbstverständlich“.
Schliesky plädiert dafür, den Glauben stärker zu vermitteln und dabei auch auf „etwas mehr Mystik“ zu setzen. „Der Glaube muss nicht völlig nüchtern sein, sondern darf auch genauso Menschen begeistern, wie es in früheren Jahrhunderten war“, sagt er. Zugleich – und das sieht der Autor durchaus als gegenläufiges Argument – müssten die Kirchen im Blick haben, dass sich die Menschen „in einer geänderten Lebenswelt“ aufhielten, auf die Rücksicht genommen werden müsse, etwa bei den Gottesdienstzeiten. Wenn Eltern am Sonntagmorgen beispielsweise ihre Kinder zu Sportwettkämpfen brächten, könne eine Gottesdienstzeit um 10 Uhr kaum eingehalten werden. Abendliche Gottesdienste für Berufstätige unter der Woche könnten da vielleicht ein gutes Angebot sein, findet der Autor.
Dabei kommt es aus seiner Sicht nicht darauf an, neue Orte zu finden. Die „tollen historischen Gebäude“ könnten im Gegenteil sogar häufiger genutzt werden, etwa für Diskussionsrunden zu weltlichen Themen.
Gespräche mit dem inzwischen in den Ruhestand verabschiedeten evangelischen Bischof Gothart Magaard und Erzbischof Stefan Heße hätten ihn jedoch „zuversichtlich gestimmt“, dass die Kirchenoberen die Situation realistisch einschätzten und wüssten, dass sich Kirche verändern müsse.
Persönlich setzt sich Utz Schlieskys Glück übrigens aus vielen Mosaiksteinen zusammen, aus Familie, Naturerlebnissen und tollen Gesprächen: „Ja, ich würde mich durchaus als glücklichen Menschen bezeichnen.“