Papst über mögliche Reise nach Russland
Die Diplomatie des Papstes
Warum würde Papst Franziskus eher nach Moskau als nach Kiew reisen? Erstmals äußert er sich ausführlich zu diplomatischen Bemühungen.
Nun hat er das "P-" und das "R-Wort" doch in den Mund genommen. Erstmals seit Beginn des Kriegs in der Ukraine hat der Papst Russland und seinen Präsidenten Wladimir Putin beim Namen genannt. Aus der Verurteilung des russischen Angriffskriegs hat das katholische Kirchenoberhaupt nie einen Hehl gemacht. Dass diese nicht deutlich genug ausfalle, konnten nur jene sagen, die seine Äußererungen in den vergangenen Wochen und Monaten nicht wirklich verfolgten.
"Am ersten Tag des Krieges habe ich den ukrainischen Präsidenten Selenskyj angerufen", sagte Franziskus der Zeitung "Corriere della Sera"; "Putin hingegen habe ich nicht angerufen." Stattdessen habe er "eine klare Geste" setzen wollen, "die die ganze Welt sehen kann; und deshalb bin ich zum russischen Botschafter gegangen". Allein die Tatsache, dass sich der Papst zum Botschafter eines einzelnen Landes begibt, war protokollarisch das Äußerste - so schon damals eine Einschätzung aus Diplomatenkreisen in Rom.
Nun aber sei er bereit, auch nach Moskau zu gehen, gestand Franziskus in dem Interview. Bereits Mitte März bat der Papst seinen Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin, "Putin die Botschaft zu übermitteln, dass ich bereit sei, nach Moskau zu gehen". Und: "Wir haben noch keine Antwort erhalten und beharren weiter darauf - obwohl ich befürchte, dass Putin zu diesem Zeitpunkt nicht zu diesem Treffen kommen kann und will."
Um Protokolle scherte sich der Papst aus Argentinien schon immer wenig - zumal wenn es darum geht, eine Brutalität zu stoppen, die vergleichbar sei mit der in Ruanda 1994. Ob Franziskus den Genozid in dem ostafrikanischen Land mit dem Töten in der Ukraine auf eine Stufe stellt, muss einstweilen offen bleiben. Juristische Expertisen, auch völkerrechtliche, sind nicht seine Sache. Dafür hat Franziskus seinen Staatssekretär Parolin, den er nun in höchsten Töne lobte: "ein wirklich großer Diplomat», der wisse, «wie man sich in dieser Welt bewegt". Er habe "großes Vertrauen in ihn".
"Wir sind keine Staatskleriker"
Offen und freimütig plauderte der Papst auch aus seinem Videogespräch mit dem russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill I. am 16. März. 40 Minuten lang habe er mit Kyrill I. gesprochen, so Franziskus. In den ersten 20 Minuten habe der Patriarch mit einer Karte in der Hand Rechtfertigungen für den Krieg vorgetragen. "Ich habe ihm zugehört und gesagt: 'Davon verstehe ich überhaupt nichts. Bruder, wir sind keine Staatskleriker und dürfen nicht die Sprache der Politik, sondern müssen die Sprache Jesu sprechen'."
Schon mit dem Begriff "Staatskleriker" legte der Papst also den Finger in eine offene Wunde vieler orthodoxer Bischöfe. Bei Kyrill aber bohrte er nach mit den Worten: "Der Patriarch kann sich nicht zum Messdiener Putins machen." Das ist nicht mehr vornehm zurückhaltende vatikanische Diplomatensprache - politisch oder ökumenisch.
"Wenn der Papst das so gesagt hat, war das gut so", meint ein langjähriger Mitarbeiter des vatikanischen Ökumen-Sekretariates. Gerade in der orthodoxen Kirche verstehe man solch klare Ansagen besser als "weiches Drumherumreden".
Franziskus bestätigte in dem Interview, dass ein für 14. Juni geplantes Treffen mit Kyrill in Jerusalem nicht weiter verfolgt werde. Beide Seiten seien sich einig, dass dies ein ambivalentes Zeichen wäre.
Zur Ukraine: Während in den vergangenen Wochen die halbe politische Führung des Westens nach Kiew gereist ist - zuletzt Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, sowie die US-Außen- und Verteidigungsminister Antony Blinken und Lloyd Austin -, nimmt der Papst zunehmend Abstand davon. Ein Besuch in Kiew stehe momentan nicht an, sagte er dem "Corriere"; und: "Ich spüre, dass ich nicht gehen sollte. Zuerst muss ich nach Moskau gehen, zuerst muss ich Putin treffen." Allerdings: Er sei nur ein Priester, der lediglich tue, was ein Priester tun könne.
Solche Fixierung auf Moskau nehmen Christen in der Ukraine, zumal die Katholiken mit Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, mit Befremden wahr. Sie hatten schon lange vor dem Überfall mit einem Besuch des Papstes gerechnet. Stattdessen schickte ihnen Franziskus die Kurienkardinäle Konrad Krajewski und Michael Czerny. Sie sollten den Menschen "die Nähe und Sorge des Heiligen Vaters in Rom" übermitteln.
Pazifist auf Stuhl Petri
In einer Zeit, da überall blau-gelbe Fahnen als Zeichen von Solidarität wehen, sucht das katholische Kirchenoberhaupt wenn nicht nach Gründen, aber doch nach Faktoren, die Putins Entscheidungen beeinflusst haben könnten. Etwas heikel räsoniert der Papst über das Verhalten der Nato, über ihre Ausdehnung der vergangenen Jahrzehnte bis an Russlands Grenzen. Nicht dass dies ein Kriegsgrund sein könnte - aber man möge doch über solche Entwicklungen nachdenken.
Und der Pazifist auf dem Stuhl Petri legt noch nach. Ohne ein Recht auf Selbstverteidigung grundsätzlich in Frage zu stellen - Franziskus wiederholt seine Zweifel an Waffenlieferungen an die Ukraine. "Ich weiß nicht, wie ich antworten soll; ich bin zu weit entfernt von der Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Ukrainer zu beliefern." Die Russen wüssten nun, dass ihre gepanzerten Fahrzeuge wenig nützten - "und denken schon an andere Dinge". Kriege würden geführt, um Waffen zu testen, die man bereits produziert habe. "Das war schon immer so", so der Papst.
Anfang der Woche tauchte in Rom ein Graffito mit einem weinenden Papst auf. Seine sorgenvollen Gedanken verweben sich mit einem glühenden Atompilz über seinem Kopf. Der "Dritte Weltkrieg in Stücken", von dem Franziskus immer sprach, droht zu einem weltweiten Inferno zu werden. Eben deshalb will Franziskus Putin aus der Ecke holen - in der Russlands Präsident noch weiter um sich schlagen könnte.
kna