Die große Verzahnung

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Vor 140 Jahren erlebte Arnold Valentiner-Branth, wie neue Technik ein Raub des Rostes wurde. Er nahm den Kampf auf und erfand Schutzanstriche gegen Rost und Schimmel. In vierter Generation führt seine Familie dieses Erbe weiter.


Axel Valentiner-Branth in seinem Betrieb in Glinde. Branth-Chemie produziert die Rostschutzfarbe Brantho-Korrux. Aus Dutzenden Bestandteilen gemischt, ungiftig und klimaneutral. | Foto: Andreas Hüser

VON ANDREAS HÜSER

Die Kirche besteht aus vielen Gliedern, viele Talente kommen zum Einsatz und ebenso viele Berufe. Axel Valentiner-Branth setzt sich in langer Familientradition in der katholischen Gemeinde in Reinbek ein. Er gehört zum Gemeindeteam. Und er vertritt einen Beruf, der unter ehrenamtlichen Aktiven nicht so häufig anzutreffen ist. Er ist Eigentümer der Firma Branth-Chemie. Sein Werk befindet sich in einem Gewerbegebiet in Glinde. Ein neues großes Gebäude, in dem Harze, Pigmentstoffe, Lösemittel gelagert, in Trommeln gerührt, in Mahlwerken gemischt werden und schließlich in Dosen abgefüllt im Lager stehen.

Mit 24 Beschäftigten produziert die Firma Branth-Chemie Rostschutzfarben. Das Hauptprodukt, das in vielen Farben und Variationen das Werk verlässt, heißt „Brantho-Korrux“. Im Baumarkt würde man diese Metallschutzfarbe vergeblich suchen. „Unsere Kunden sind professionelle Anwender“, sagt Axel Valentiner- Branth, „oder Leute, die Oldtimer restaurieren.“ Andere Rostschutzfarben sind billiger, Brantho-Korrux dagegen wirkt länger, erklärt der Unternehmer. Es muss also nicht so oft neu gestrichen werden – bei großen Objekten rentiert sich die bessere Farbe schnell, die Arbeitskosten sind viel höher als die Materialkosten. Haltbar genug für Bohrinseln im Atlantik, unschädlich genug, um für Babyspielzeug eingesetzt werden zu können – damit wirbt die Firma aus Glinde.

Das Konzept funktioniert schon lange. „Mein Urgroßvater hat in den 1880er-Jahren auf einem Landgut in Dänemark gearbeitet, in einer Zeit, als die neue Technik Einzug in die Landwirtschaft hielt. In den Molkereien wurden plötzlich Dampfmaschinen eingesetzt. Sie anzuschaffen, kostete unglaublich viel Geld. Aber es gab ein Problem. Die Dampfmaschinen fingen in der feuchten Umgebung an zu rosten.“ Arnold Valentiner-Branth suchte nach einer Lösung. Es müsste einen Schutzanstrich gegen Rost und Schimmel geben! Er ging nach Hamburg, denn die möglichen Rohstoffe für das Produkt waren Produkte aus Übersee. Der Firmengründer hatte Erfolg, er verkaufte 1887 die erste Anti-Schimmel- Farbe und wenige Jahre später die Rostschutzfarbe. Die Firma, die bald in fünfter Generation von den Söhnen und Enkeln des Gründers betrieben wird, musste auf viele äußere Einflüsse reagieren.

In den 1930er-Jahren etwa stieg sie auf Reinigungsmittel um, weil die Rohstoffe für die Rostschutzfarbe nicht mehr importiert werden durften. Solche Wechselwirkungen gibt es auch heute. „Wir erleben heute eine unglaubliche Verzahnung in der Produktionskette, die uns manchmal selbst überrascht“, sagt Axel Valentiner-Branth. Zu Beginn der Pandemie stellte er sich und seinen Mitarbeitern die Frage: Welche Rohstoffe könnten knapp werden? Wo könnte uns die Pandemie treffen? Ein halbes Jahr später wurde ein Stoff knapp, den niemand auf dem Plan hatte. „Bariumsulfat, ein Salz, das in Deutschland unterirdisch abgebaut wird. Plötzlich gab es Probleme beim Abbau. Denn der Abbau erfolgt durch Sprengung. Der Sprengstoff wird dabei in Fleecestoff eingehüllt. Und Fleece wurde knapp, weil er für Atemschutzmasken gebraucht wurde.“

Nicht nur der Krieg ist schuld an der Krise

Ein weiteres Thema ist die Umweltfreundlichkeit der Produktion. „Möglichst viel natürliche und nachwachsende Rohstoffe“, das hat sich die Firma zum Ziel gesetzt. Ganz ohne künstliche Bestandteile, erklärt Axel Valentiner- Branth, geht es aber nicht. Denn natürliches Baumharz und Naturfarben sind nicht sehr haltbar. Naturprodukte enthalten auch „natürliche“ Verunreinigungen, unter anderem durch Asbest. Deshalb werden künstliche Stoffe hinzugemischt, genau so viel, wie für den dauerhaften Schutz nötig ist. Die Mischung einer Farbe, die aus 20 bis 40 Rohstoffen besteht, ist also eine Frage der Abwägung.

Stolz ist Axel Valentiner-Branth auf seine Energiebilanz: „Wir produzieren seit 2018 komplett CO2-neutral.“ Der Wasserverbrauch wurde stark reduziert, alle Firmenfahrzeuge fahren elektrisch. Interessiert das aber auch die Kunden? Das hat sich auch der Firmenchef gefragt und Erkundigungen eingezogen. Das Ergebnis: Die CO2-Bilanz wird zwar gern gesehen. Kaufentscheidend ist sie nicht.

Die Unabhängigkeit von Öl und Gas verschafft der Firma zwar einen Vorteil in der kommenden Gaskrise. Aber auch hier wirkt sich die Verzahnung aus. Viele Zulieferer sind nach wie vor abhängig von Öl und Gas. Dazu kommen gestiegene Rohstoffpreise und die Inflation, die die Produktionskosten nach oben drücken. Den Grund für diese Entwicklungen sieht Valentiner- Branth aber nicht nur im Ukraine-Krieg, sondern auch in der Geldpolitik der vergangenen Jahre. „Auch dieser Krieg wird vorübergehen“, sagt er. Den Frieden kann man in Reinbek nicht machen. Aber man kann dafür beten und Flüchtlinge unterstützen. Das tut die Gemeinde in Reinbek seit dem Frühjahr. Anfangs, als viele Ukraine-Flüchtlinge kamen, hat sie am Sonntag zur Begegnung eingeladen. Die ungenutzte Taufkapelle in der Herz-Jesu-Kirche hat sie inzwischen zu einer Gebetskapelle umgestaltet. An jedem dritten Sonntag im Monat gibt es dort ein Friedensgebet, vorbereitet durch einen Kreis von katholischen und evangelischen Christen. Die Gebete enden immer mit einem Wort der Hoffnung, aus dem Abschiedsgedicht von Dietrich Bonhoeffer: „Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“