Christel und Markus Kriesel haben viele Jahre Familien erholsame Tage ermöglicht.

Die Hauseltern verlassen bald ihr „Kind“

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30 Jahre haben Christel und Markus Kriesel die Familienferienstätte St. Ursula in Kirchmöser bei Brandenburg geleitet und zuletzt durch die schwere Corona-Zeit geführt. Im kommenden Jahr beginnt für beide der Ruhestand.


Christel und Markus Kriesel vor dem Eingang des in den 90er Jahren entstandenen Bettenhauses.   Fotos: Oliver Gierens


Etwas abseits von der Hauptstraße, inmitten einer ruhigen und idyllischen Landschaft direkt am See, liegen die Gebäude der Familienfreizeitstätte St. Ursula in Kirchmöser bei Brandenburg. Ein Altbau von 1906, daneben ein Anbau aus den 1990er Jahren, Gruppenräume und eine Kapelle, dahinter ein Grillplatz, ein Bootssteg am Ufer des Mösersees, Tischtennisplatten und ein großer Spielplatz für die kleinen Gäste – es ist ein Paradies, das Christel und Markus Kriesel hier 30 Jahre lang mit aufgebaut haben. Doch das Jubiläumsjahr ist zugleich der Moment des Abschieds. Nach drei Jahrzehnten verabschieden sich die Hauseltern, die hier unzählige Gäste empfangen und betreut haben, in den Ruhestand.
Dabei sind es weniger die klassischen Pfarreigruppen wie Messdienerfreizeiten, die sich hier einquartieren. Die Besucher sind bunt gemischt, konfessionell ganz unterschiedlich zusammengesetzt und aus unterschiedlichen Regionen. „Wir wollen Leute zusammenbringen, das ist unsere Mission“, erzählt Christel Kriesel. Menschen mit Behinderungen oder Chöre, die hier für ihre Auftritte proben, Familienerholung in den Sommerferien, Familienbildung insbesondere für ärmere Familien, die auf Unterstützung von Staat und Kirche angewiesen sind – die Liste der Gruppen, die die wunderschön gelegene Ferienstätte gern buchen, ist mit den Jahren recht lang geworden. „Nur die Senioren haben nachgelassen“, berichtet Christel Kriesel. „Die sind heute viel mobiler, fahren lieber nach Mallorca.“ Vor allem Familien finden hier in der Abgeschiedenheit eine gute Möglichkeit zur Erholung – zumal die Kriesels für viele Besucher mit den Jahren zu echten Gasteltern geworden sind.

Eine Möglichkeit, Geld zu verdienen
Angefangen hat alles 1991, im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung. Der Familienbund der Katholiken im Bistum Magdeburg, zu dem der Ortsteil von Brandenburg an der Havel noch gehört, übernahm die Anlage damals von der Caritas – „weil man uns erzählt hat, dass man damit Geld verdienen kann“, erinnert sich Markus Kriesel. Ein Jahr später packten die Kriesels mit ihren zwei Söhnen und einer Tochter die Koffer und zogen aus Calbe an der Saale mit Sack und Pack nach Kirchmöser. Wegen der unterschiedlichen Ferientermine hatten die beiden Söhne damals nur gut drei bis vier Wochen Ferien, erinnert sich Christel Kriesel. „Doch sie waren bald versöhnt mit der Umgebung“, erzählt ihr Mann, der in den letzten 30 Jahren als Hausleiter angestellt war, während sich seine Frau vor allem um die Buchhaltung kümmerte. Der See, die Wälder ringsum – den Kindern habe es hier schnell gut gefallen.

Auch die Kinder kommen in der Familienferienstätte St. Ursula auf ihre Kosten.

Was damals begann, wurde für die beiden schließlich zur Berufung. „Wir waren Mülleimer für kaputte Familien“, erzählt Christel Kriesel. Beide mussten überall anpacken, wo Hilfe gebraucht wurde. „Ging am Wochenende ein Spülkasten kaputt, musste ich selbst ran, es gab ja keinen Handwerker in der Nähe“, sagt Markus Kriesel. Gerade zur Sommerzeit herrschte Hochbetrieb, viele Jahre gab es keinen gemeinsamen Familienurlaub. „Mir ging es nicht immer gut damit“, meint die Hausmutter nachdenklich. Ihr Mann rät, in Zukunft keine „Hauseltern“ mehr einzustellen. „Das Modell hat sich überlebt, das ist nicht gerade familienfreundlich“, meint Markus Kriesel. Er und seine Frau haben 30 Jahre lang nahezu jeden Tag Seite an Seite gearbeitet und das hat beide geprägt. „Es ist nicht immer leicht, wenn der Ehemann auch der Vorgesetzte ist – aber er ist mein Fels in der Brandung.“
Trotz mancher Belastungen, die die Arbeit mit sich brachte: Beide sind sich einig, dass sie die Erlebnisse mit unzähligen Gästen nicht missen möchten. Auch manche Freundschaft sei dabei entstanden, erzählen sie. Eine „Sternstunde“ nennt Christel Kriesel beispielsweise eine Freizeit mit geistig behinderten Menschen, zugleich sei auch eine Jugendgruppe im Haus gewesen. Beide hätten sich auf Anhieb gut verstanden. „Das waren Begegnungen, die man gar nicht erwartet hätte. Die Jugendlichen haben die behinderten Gäste ganz selbstverständlich aufgenommen“, ergänzt ihr Mann. Beide erinnern sich auch an unzählige Abende am Lagerfeuer, bei denen gemeinsam gesungen wurde.
Oder sie erinnern sich an eine Familie, die in der Hauskapelle ein Konzert für ärmere Familien gegeben habe. Auch darum sei es ihnen gegangen: Menschen mit Kirche in Berührung zu bringen. „Wir sind auch als Botschafter der Kirche unterwegs, deren Ruf ja in den letzten Jahren nicht immer der beste war“, betonen die beiden.

Auf dem Gelände der Familienfreizeitstätte befindet sich auch eine Kapelle.

Aus dem Gäste- wurde ein Geisterhaus
Doch dann war die Ferienidylle schlagartig beendet. Corona breitete sich aus und auch in St. Ursula gingen zeitweise die Lichter aus. Zwei Beherbergungsverbote, erst im Frühjahr 2020, dann bis Mitte 2021, bedrohten die Existenz des Hauses. „Es war ein Geisterhaus“, erinnert sich Christel Kreisel. „Wir haben während des Lockdowns trotzdem zwei bis sechs Stunden täglich gearbeitet, das Haus in Schuss gehalten“, berichtet die Hausmutter. Auch der große Garten musste weiter gepflegt werden. Dann war der Lockdown vorbei, aber Normalität wollte sich immer noch nicht einstellen. „Das erste Vierteljahr lief ziemlich zäh. Wir hatten nach dem zweiten Advent 2021 keine Buchung. Da war erst mal Schluss“, erzählt Christel Kriesel. „Die Leute haben sich nicht mehr getraut zu verreisen“, ergänzt ihr Mann. Die Chöre durften wegen der Corona-Regeln nicht singen, sodass ein wichtiges Standbein weggefallen war.
„Für uns war die Zeit nach den Lockdowns ein Nullsummenspiel“, sagt Christel Kriesel. „Das Anheizen, die Einkäufe, das Personal“ – gelohnt habe sich das finanziell nicht. „Aber es hat auch etwas mit Gästepflege und Wertschätzung zu tun“, betont die Hausmutter.
Doch am Ende hat die Pandemie der Familienferienstätte auch neue Gäste gebracht. Über ein Hilfsprogramm der Bundesregierung kommen jetzt bedürftige Familien ins Haus, für wenig Geld können sie nach drei Jahren das erste Mal wieder Urlaub machen. Dennoch sagen die beiden Hauseltern: Die letzten zwei Jahre seien eine Angst- und Wackelpartie gewesen. Für die Mitarbeiter sei gerade der dritte Zyklus an Kurzarbeitergeld ausgelaufen und neben den staatlichen Hilfsgeldern habe auch das Bistum Magdeburg die Ferienfreizeitstätte „wohlwollend unterstützt“, betont der Hausleiter. „Das hätten wir aus eigener Kraft nicht geschafft“, gesteht Markus Kriesel ein.
Nach dieser aufreibenden Zeit freuen sich die beiden auf den Ruhestand. Zum 31. Januar kommenden Jahres ist für Christel Kriesel Feierabend, ihr Mann folgt wenige Monate später. „Ich will noch den Jahresabschluss vorlegen, die Buchhaltung gut zu Ende bringen“, sagt Christel Kriesel, „um nach 30 Dienstjahren mit einem guten Gefühl zu gehen.“
Dieser Abschied erfolge durchaus „mit zwei lachenden Augen“, macht sie deutlich. Auch wenn die beiden dann das Haus St. Ursula verlassen – sie werden nicht aus der Welt sein. Vor 22 Jahren haben sie im Ort Kirchmöser ein Haus gebaut und sich damit eine Rückzugsmöglichkeit geschaffen, auch wenn sie nur 100 Meter von der Ferienstätte entfernt liegt. Trotz aller unvergesslichen Erlebnisse ist ihnen das wichtig, betont Christel Kriesel: „So schön kann keine Arbeit sein, um permanent hier zu sein.“

Von Oliver Gierens