Geist oder Mensch? Jesus' widersprüchliche Erscheinungen

Die inneren Augen

Er geht durch verschlossene Türen, und selbst gute Freunde erkennen ihn nicht. Er lässt sich anfassen und isst Fisch: Die Erscheinungen des Auferstandenen sind widersprüchlich. Fragen an den Neutestamentler Gerhard Lohfink.

„Jesus ist von den Toten auferstanden“ – uns ist das geläufig. War es für die Jünger nach dem Karfreitag auch denkbar?
Für viele unserer Zeitgenossen ist es keineswegs geläufig. Selbst Christen haben mit der Auferstehung Jesu ihre Schwierigkeiten.


Wie würden Sie so jemandem das Ostern nahebringen?
Ich würde nicht mit Ostern anfangen, sondern mit Gott. Wer nicht an Gott glaubt, kann auch nicht an die Auferstehung glauben. Wer aber an Gott glaubt und daran, dass alles von Gott kommt – den würde ich fragen: Glauben Sie denn im Ernst, dass Gott zuerst ein Universum schafft mit seiner unendlichen Vielfalt, und dass er den Menschen schafft, der so voll Sehnsucht und Hoffnung ist, und dass er dann alles wieder vernichtet? Was wäre das für ein Bild von Gott!


Gut, es gibt Gründe für die Auferstehung. Aber meine Frage war: Haben das die Jünger nach der Hinrichtung Jesu auch so gesehen? Waren sie nicht verzweifelt?
Manche waren sicher verzweifelt. Andere, wie zum Beispiel die beiden Emmausjünger, waren einfach ratlos. Wieder andere werden gehofft haben.


Was konnten sie denn hoffen?
Sie konnten hoffen, dass Gott handelt. Der grundlegende Glaube Israels war, dass Gott rettet, dass er zu Hilfe kommt und aus der Not herausholt. „Ein Gott, der rettet, ist unser Gott“ ist ein Grunddogma Israels. Und die Jünger Jesu waren Israeliten.


Was heißt: Gott handelt? Gab es für sie eine Vorstellung von Auferstehung?
In dieser Frage war man in Israel zerstritten. Die Sadduzäer glaubten nicht an eine Auferstehung der Toten. Die Pharisäer sehr wohl. Die Jünger Jesu haben wie Jesus die Auferstehung der Toten erwartet. Aber diese allgemeine Auferstehung der Toten war am Ende der Welt verortet. Das Unglaubliche und alle Vorstellungen Sprengende war nun aber, dass die Jünger Jesu erfuhren: Diese allgemeine Totenauferstehung am Ende der Welt, diese Verwandlung der ganzen Schöpfung hat jetzt bei Jesus schon angefangen.


Das heißt aber doch: Die Erfahrung des „Schon jetzt“ muss für die Jünger Jesu geradezu ein Schock gewesen sein.
Ja, genau das bewirken die Ostererscheinungen: Schock, Freude, Gewissheit, aber auch Zweifel. Jesus wird nicht einmal sofort von allen erkannt.


Warum erkennen sie ihn nicht?
Das hängt eben zusammen mit dem Ungeheuerlichen, dass jetzt in Jesus schon das beginnt, was erst für das Ende der Welt erwartet wird. Außerdem nimmt doch jeder Mensch das Neue und Umwerfende nach seinen je eigenen Voraussetzungen wahr: Bei den einen geht es schneller; andere brauchen länger.


 

Foto: Gert Schlegel
Gerhard Lohfink (83) war Professor für Neues
Testament an der Katholisch-Theologischen
Fakultät der Uni Tübingen. Foto: Gert Schlegel

Der Auferstandene erscheint in einer rabiaten Körperlichkeit. Thomas soll seine Hände in die Wunden legen. Und im heutigen Evangelium isst er Fisch. Wie muss man sich das vorstellen?
Das müssen wir uns gar nicht vorstellen. Lukas, der uns das erzählt, schreibt für griechische Leser. In der damaligen hellenistischen Welt glaubten zwar viele an eine Erlösung der Seele im Tod. Eine Erlösung des Körpers hingegen war für sie eine Lächerlichkeit. Auch bei den Christen, die aus der hellenistischen Welt kamen, drohte stets die Gefahr einer solchen Leibverachtung. Für jüdisches Denken dagegen war klar: Auferstehung kann nur den ganzen Menschen betreffen: seine Seele, seinen Leib, seine ganze Geschichte. Und genau das wollen die Ostererzählungen klarstellen: Es war der ganze Jesus, der sich da zeigte. Mit allem, was er gewesen war – und deshalb auch mit seinem Leib. Daher die drastische Erzählweise. Sie war unumgänglich.


Ist also diese drastische körperliche Erzählweise in den Ostergeschichten nur Ausmalung? Ist sie nur biblische Theologie?
Dieses „nur“ wäre falsch! Wenn über einen Menschen etwas gesagt wird, ist das immer Deutung. Erst recht, wenn das Handeln Gottes selbst erzählt wird. Die Evangelisten deuten in ihren Erzählungen die Ostererfahrungen. Sie erklären sie und klären über sie auf. Aber sie legen das aus, was die ersten Zeugen an Ostern wirklich erfahren haben.


Wie hat man sich diese Erfahrungen vorzustellen? Als inneres Schauen?
Ja. Eine Kamera hätte zwar das Erschrecken oder die Freude der Jünger festhalten können. Nicht aber einen im Raum schwebenden Jesus. Der Auferstandene konnte sich aus der uns unfasslichen Welt der Auferstehung nur mitteilen über die inneren Sinne, nur über die Augen des Her-zens und über die gespeicherte Erfahrungswelt in der Seele der Jünger.


Glauben Sie, dass sich Jesus durch solche innere Erfahrung seinen Jüngern wirklich real gezeigt hat?
Ja, davon bin ich überzeugt. Es gab in Israel im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus mehrere messianische Bewegungen, die von einem charismatischen Anführer ausgingen. Der gewaltsame Tod des Anführers bedeutete jedes Mal das völlige Ende der betreffenden Bewegung. All diese Bewegungen, zum Beispiel die des Simon bar Kochba, existieren nicht mehr. Nur noch die Historiker wissen davon. Die Kirche hingegen gibt es immer noch. Jesus ist wahrhaft auferstanden!

Interview: Susanne Haverkamp

Buchtipp: G. Lohfink:  Am Ende das Nichts? Über Auferstehung und ewiges Leben. Herder, 28 Euro