Unterricht für Begabte
Die Länge von 1000 Spaghetti
Foto: Marco Heinen
„Die Gesamtlänge aller Spaghetti einer 500-Gramm-Packung beträgt über 100 Meter. Kann das stimmen?“, fragt Viola Bohnenpoll, Mathe- und Religionslehrerin an der Katholischen Schule Farmsen. Es ist eine knifflige Aufgabe, die sie für das Dutzend Jungen und Mädchen im Alter zwischen neun und zehn Jahren ausgesucht hat. Sie stürzen sich sogleich auf die Arbeit. Es ist der Forderunterricht Mathematik, in dem nicht wie in einem Förderunterricht schwächere Schüler gefördert-, sondern besonders begabte etwas mehr als sonst gefordert werden. Neben Spaghetti hat die Lehrerin zwei Küchenwaagen und Geodreiecke mitgebracht. Eine Nudel ist 25 Zentimeter lang, zwei Stück wiegen zusammen ein Gramm. Das haben die Kinder schnell raus. Nur, wie geht es weiter? Die Herangehensweise an so eine Rechenaufgabe fordert mehr Kreativität und eigenständiges Denken als sonst in dieser Altersstufe abgefordert wird.
Die Drittklässler Nicolas, Loïc und Matthis diskutieren, ob es nun 250, 500 oder 1000 Nudeln pro Packung sind. „Wir müssen das per Gramm ausrechnen. Es heißt ja nicht 500 Spaghetti, sondern 500 Gramm“, meint einer von ihnen und ist auf dem richtigen Lösungsweg. Nun noch mit 25 multiplizieren? Das wären bei 1000 Spaghetti satte 2500 Meter. Nein, das kommt den Jungs doch ein bisschen viel vor. Am Ende kommen sie auf 250 Meter, die richtige Lösung.
Im Raum nebenan findet der Forderunterricht Deutsch mit der Sozialpädagogin und Lerntherapeutin Anne Brügemann statt. Auch dieses Angebot ist für besonders aufgeweckte Kinder der dritten und vierten Klassen da. Eine Dreiergruppe Mädchen schreibt kurze Porträts über ihre Lehrkräfte, die sie zuvor befragt haben, gedacht als Erinnerung für alle in ihrer Klasse. An einem anderen Tisch diskutieren Kinder den Fortgang einer selbst erfundenen Geschichte, an der sie seit längerem schreiben. Und ein Junge widmet sich seiner Powerpointpräsentation über ein Lieblingsthema, die er am Ende des Schuljahres vorführen will. Es geht also nicht so sehr um Lösungswege; für die Lehrkraft ist es eher wichtig, „dass man weiß, wann man einen Impuls geben muss, wann man die Kinder wieder zurückholt zu ihrer eigentlichen Arbeit und was sie an Hilfe oder technischer Unterstützung brauchen. Auch Aspekte der Teamarbeit werden geübt“, erläutert Brügemann.
Die Teilnahme am Forderunterricht ist freiwillig und geschieht in Absprache mit den Eltern, wie ihre Kollegin Bohnenpoll erklärt. „Es sind Kinder, die einfach unglaublich schnell lernen, die eine Begabung in Mathematik oder in Deutsch haben, die den Unterrichtsstoff schnell aufnehmen, sich gut konzentrieren können, weiterdenken – die einfach ein bisschen mehr 'Futter' brauchen. Natürlich wird auch im normalen Unterricht differenziert, aber so gezielt bekommt man das sonst nicht hin“, sagt sie. Auch kämen die Kinder dort nur selten an ihre Grenzen, während sie im Forderunterricht die Erfahrung machten, nicht immer gleich die richtige Lösung zu finden. „Ich sage dann manchmal: Einigen Kindern aus deiner Klasse geht es fast jede Stunde so.“
Angeboten wird der Forderunterricht für Zweit-, Dritt- und Viertklässler, jeweils eine Stunde pro Woche und Jahrgang bei je maximal 15 Kindern. Das Projekt befindet sich noch in der Testphase und eine Evaluierung ist geplant, um das Angebot zu verbessern und in einem Konzept zu verankern.