Die Zukunft gehört der Praxis

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2021 sollte ein großes Jahr der Ökumene werden. Einige Aktionen wie der Kirchentag werden durch Corona ausgebremst. Aber es finden sich neue Wege, sagt der Ökumenebeauftragte des Erzbistums Hamburg, Stephan Dreyer in einem Interview. 

Der Ökumenebeauftragte des Erzbistums Hamburg: Stephan Dreyer
Neuer Ökumenebeauftragter mit langer Ökumene-Erfahrung: Stephan Dreyer. Foto: privat

Herr Dreyer, Sie waren viele Jahre lang Referent von Weihbischof Hans-Jochen Jaschke und Leiter des Katholischen Büros Hamburg. Müssen Sie sich jetzt überhaupt noch in das Ökumene-Thema „einarbeiten“? 

Ja und nein. Es stimmt, Ökumene spielte bei meinen Tätigkeiten immer eine große Rolle. Wenn man in Hamburg kirchlich, politisch und gesellschaftlich tätig ist, geht es gar nicht ohne Ökumene. Und viele meiner jetzigen Gesprächspartnerinnen und -partner kenne ich seit vielen Jahren. Aber es gibt auch neue Themen. Die Ökumene von heute ist nicht mehr die gleiche wie vor 20 Jahren und die Aufgaben des Ökumenebeauftragten sind auch wesentlich umfangreicher geworden. Aber das Wichtigste ist und bleibt, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen und in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein. Das kostet am meisten Zeit. Aber es lohnt sich. 

Beim Wort Ökumene denkt man erst einmal an das Miteinander von katholischer und evangelisch-lutherischer Kirche. Aber es gibt ja noch mehr Konfessionen. 

Genau. In der ACK Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, kommen mehr als 30 Kirchen zusammen, so viele wie nirgendwo anders in Deutschland. Und gerade in den kleineren Kirchen, die ganz anders aufgebaut sind als die großen, gibt es viel Beweglichkeit und interessante Impulse. 

Sie sagen, die Ökumene ist nicht mehr wie früher. Was ist anders geworden? 

Theologische Diskussionen um kirchentrennende Merkmale stehen heute nicht mehr im Vordergrund. Solche Kontroversen haben deutlich an Relevanz verloren. Sicher, man muss sich in der Theologie auskennen, und es bleibt wichtig, Unterschiede wahrzunehmen. Aber ich warne davor, die theologischen Differenzen für das Entscheidende zu halten. 

Was trennt die Kirchen denn sonst noch? 

Trennend wirken eher die unterschiedliche religiöse Kultur und die verschiedenen Kirchenverfassungen. Wir müssen uns klarmachen, dass andere Kirchen ganz anders sind als die katholische. Wir dürfen sie nicht aus der Sicht unseres eigenen Kirchenbildes denken. Die Zukunft der Ökumene wird sich eher auf der praktischen Ebene abspielen. 

Zum Beispiel? 

In der katholischen Kirche ringen wir zur Zeit um Wege aus einer tiefen Krise. Wir könnten vielmehr auf die anderen, vor allem evangelischen, Kirchen schauen und prüfen, ob ihre Verfassungen in einigen Punkten vielleicht besser in die Zeit passen als die katholische, die mit ihrer monarchischen Struktur vielen Menschen heute nicht mehr zeitgemäß erscheint.

Das hieße also: Eine synodale Struktur, mehr Mitbestimmung von unten, Mehrheitsentscheidungen wie im Parlament. 

Ja, wobei eine Synode sowohl im katholischen wie auch im evangelischen Verständnis kein Parlament ist. Auf der anderen Seite gibt es ja auch einiges, um das uns unsere evangelischen Geschwister beneiden. Ein Amt zum Beispiel, das die ganze Kirche weltweit eint, wie wir es mit dem Papst haben, finden auch viele evangelische Chris­tinnen und Christen wertvoll. 

Eigentlich sollte 2021 ein Jahr mit ökumenischen Höhepunkten sein. „Jahr der Ökumene“, Kirchentag…

… und 20 Jahre „Charta Oecumenica“. Ja es ist bitter, dass so viele Veranstaltungen nicht wie geplant stattfinden können. Ich glaube, der Kirchentag und das Jahr der Ökumene wären ein wichtiger Schritt nach vorn geworden. Die Entwicklungen in der Ökumene seit dem letzten Ökumenischen Kirchentag 2010 hätten dort zum Ausdruck kommen können, z.B. im Sinn einer gemeinsamen Verantwortung der Kirchen für die Gesellschaft. 

Aber es fällt nicht alles aus. Vieles findet anders statt. Demnächst wird für uns hier im Norden etwa ein Online-Reiseführer erscheinen mit vielen interessanten Orten der Ökumene, die man besuchen kann. 

Beide großen Kirchen stehen vor großen Problemen, etwa bei den Gebäudekosten bei schrumpfender Mitgliederzahl. Zwingt diese Situation uns nicht zu mehr Koopferation bis hin zum Zusammenschluss von Gemeinden? 

Ich glaube, das wird so kommen. Aber es ist vielleicht auch eine Frage der Generationen. Für die Menschen, die mitten in der Dias­pora eine katholische Kirche gebaut haben, ist es nicht einfach, diese aufzugeben. Aber ich finde z.B. interessant, dass die Katholikinnen und Katholiken in Kiel-Heikendorf offenbar lieber in ihrem Stadtteil bleiben und die Messe in der evangelischen Kirche feiern wollen als in der katholischen Kirche in einem anderen Stadtteil. Ich bin sicher, unsere Vermögens- und Immobilienreform kann die Ökumene vor Ort befördern, wenn wir uns mit allgemeinen Konzepten zurückhalten und für die verschiedenen Orte unterschiedliche Entwicklungen ermöglichen. 

Im Erzbistum Hamburg gibt es mit Ihnen nicht nur einen neuen Ökumenebeauftragten, sondern auch eine neue Ökumenekommission. Hängt das eine mit dem anderen zusammen? 

Ja, der Ökumenebeauftragte leitet die Ökumenekommission. Nach der Emeritierung von Weihbischof Jaschke als Vorsitzendem gab es eine längere Pause. Jetzt ist die Kommission ganz neu besetzt mit Personen aus verschiedenen pastoralen Feldern. 

Was wird sie als erstes tun? 

Das ist im Moment ein Problem, denn die Kommission ist ein Beratungsgremium des Erzbischofs, und der übt sein Amt ja zur Zeit nicht aus. Klar ist aber: Die Kommission ist kein theologischer Gesprächskreis. Sie wird konkrete Vorschläge machen, wie wir in der Ökumene vorankommen. Was auf jeden Fall ein Thema sein wird: Das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ und die Diskussion darum.

Interview: Andreas Hüser