Wie die Leipziger Propsteigemeinde mit dem Diebstahl ihres Tabernakels umgeht
Diebe tragen Christus auf die Straße
Unbekannte haben aus der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis den Tabernakel entwendet. Der materielle Schaden ist gering. Der Diebstahl des Allerheiligsten trifft die Gemeinde dabei mitten ins Herz.
Bei der Einweihung der Propsteikirche stand der Künstler Sandro Porcu vor dem Tabernakel. Foto: Dorothee Wanzek |
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Die Propsteigemeinde St. Trinitatis in Leipzig muss vorerst ohne ihren vom amerikanisch-kubanischen Künstler Jorge Pardo gestalteten Tabernakel auskommen. Er wurde kurz vor Beginn der Karwoche von bislang Unbekannten entwendet – zu den täglich zur Andacht einladenden Öffnungszeiten und von besinnlicher Orgelmusik begleitet, die zu dieser Zeit vermutlich im Kirchenschiff erklang. Bei dem Delikt wurden die Glastüren des fest installierten Tabernakelschrankes aufgehebelt und der wertvolle Schrein entnommen. Er wurde noch am Tag seines Verschwindens nur unweit der Kirche von einem Gemeindemitglied gefunden, das sich alarmiert von der Nachricht, gemeinsam mit anderen auf die Suche gemacht hatte.
Dabei stellte sich heraus, dass alle liturgischen Geräte, also Ziborium, Monstranz und Hostienschale, noch im Tabernakel waren. Lediglich etwa 150 konsekrierte Hostien wurden entnommen. Die verbliebenen Hostien wurden den liturgischen Vorschriften folgend in einer diskreten Zeremonie begraben. Die Polizei ermittelt, weil es sich um ein Offizialdelikt nach Paragraf 243 Strafgesetzbuch handelt, also um einen besonders schweren Fall des Diebstahls.
Bestürzung in der Propsteigemeinde groß
Dabei ist der materielle Wert gering: Die Polizei bezifferte den Sachschaden auf einen Wert im unteren einstelligen Bereich. „Was uns bestürzt und fassungslos macht, ist der Umstand, dass uns das Allerheiligste genommen wurde. Dass schändlich damit umgegangen wurde, trifft uns mitten ins Herz“, so Propst Gregor Giele. Er vermutet als Grund für den Diebstahl einen Fall von Beschaffungskriminalität. Die Kirche befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Brennpunkt am Leipziger Schwanenteich. „Man kann nur mutmaßen, dass die Täter aufgrund der Ähnlichkeit zu einem Tresor gehofft hatten, etwas Wertvolles drinnen zu finden“. Propst Giele bestätigt, dass es hin und wieder zu kleineren Diebstählen in der Propstei komme. So wurde beispielsweise schon mehrfach der Opferstock aufgebrochen.
Abwesenheit macht Verlust deutlich
Der Vorrat an konsekrierten Hostien musste in den folgenden Messen mit Blick auf die bevorstehenden Kar- und Ostertage erst wieder aufgestockt werden. So wurde für den leeren Tabernakel auf Vorrat zelebriert. Die Messen feierte die Gemeinde mit einem Ersatztabernakel. Dabei habe der Anblick des leeren Tabernakelschrankes vor allem zur Wandlung oder beim „Beuget die Knie“ am Karfreitag schmerzhaft das Fehlen des Allerheiligsten in der Kirche bewusst gemacht, so der Propst. Ein ewiges Licht machte während der Zeit der Abwesenheit des Schreins deutlich, dass sich das Allerheiligste dennoch in der Kirche befindet, wenn auch nicht öffentlich sichtbar in der Sakristei. Bei der Aufarbeitung der Geschehnisse ist der Diebstahl immer wieder Thema in den Predigten. So gewann der Leipziger Priester und emeritierte Professor, Eberhard Tiefensee, seiner Predigt am Gründonnerstag der Entwendung etwas ab, was Christen heutzutage nur noch selten vermögen: Christus nach draußen auf die Straße zu bringen.
„Die Gläubigen sind lebendige Tabernakel“
Außerdem erinnerte er die Gemeinde an das, worum es eigentlich geht: Die Gläubigen sind lebendige Tabernakel. Sie nehmen Christus auf und bringen ihn so mit in die Welt. Teil der Aufarbeitung des ideellen Verlusts ist auch die Aufklärung über das weitere Prozedere: „Es wird eine Bußandacht geben, in der wir unseren Schmerz vor Gott tragen können. Der neue Tabernakel wird dann durch den Bischof oder einen Vertreter im Rahmen einer liturgischen Feier erneut konsekriert“, so Propst Giele. Am künstlerisch verzierten Tabernakelschrank befinden sich nur wenige Kratzer. Die sollen zur Erinnerung an die „Verwundung“ bleiben. Der gestohlene Tabernakel ist inzwischen einbruchsicher und metallverstärkt von einer Leipziger Tischlerei erneuert worden. Denn die Türen sollen in St. Trinitatis auch in Zukunft zum Besuch des Gotteshauses offenstehen.
Silvia Funke