Sommerserie 2019 – Teil 2
Dieser Wald hat es in sich
Der zweite Kraftort unserer Sommerserie ist der Kapellenberg in Hofheim. Er befindet sich im Wald hinter dem Exerzitienhaus. Er führt in kleinen Windungen mit vielen Sehenswürdigkeiten hoch zur Bergkapelle. Sie dient bis heute als Wallfahrtstätte und wurde zum Dank errichtet, weil die Hofheimer vor der Pest verschont geblieben waren. Von Barbara Faustmann
Es ist der perfekte Sommertag: Über Hofheim weht ein laues Lüftchen, die Sonne strahlt von einem wolkenlosen Himmel. Besser könnte es nicht sein, denke ich mir. Ich bin mit der Pastoralreferentin Verena Maria Kitz vom Seelsorgeteam des Refugiums für Mitarbeitende in Caritas und Pastoral im Exerzitienhaus verabredet. Wir zwei wollen über den Kapellenberg zur Bergkapelle laufen.
Verena Kitz, eine hochgewachsene schlanke Frau, trägt ein Sommerkleid und Sandalen. „Ich muss nur noch schnell die Schuhe wechseln, dann kann es losgehen“, spricht sie und schlüpft in bequeme Laufschuhe. Der Wald ist nur wenige Schritte vom Exerzitienhaus entfernt. Wir kommen zu einem gut begehbaren Weg, der entlang der Gartenmauern des Exerzitienhauses in den Wald führt. „Spüren Sie mal mit allen Sinnen, wie es Ihnen hier auf dem Weg geht. Spüren Sie Ihre Füße und worauf Sie treten“, ermuntert mich Kitz. Ich höre das Vogelgezwitscher und konzentriere mich auf meine Schritte. Der Bodenbelag ist mal härter, mal weicher, mal holpriger, mal steiniger und mal eben. Es ist eine interessante Erfahrung, sich nur auf seine Schritte zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Wir gehen leicht bergan und kommen um eine Biegung zum Cohausentempel. Eine Bank lädt zum Verweilen ein. Der Blick schweift weit über die Landschaft. Der Cohausentempel wurde im Jahr 1910 nach einem Plan des Frankfurter Architekten Karl Kolb von Baumeister Georg Betzel im späten Darmstädter Jugendstil errichtet.
Den Weg mit allen Sinnen wahrnehmen, das ist die eigentliche Kraft.
Nach einer kleinen Rast machen wir uns wieder auf den Weg. Die Sonne lugt immer wieder zwischen dem grünen Blätterdach hervor. „Schauen Sie sich das satte Grün an“, sagt Kitz und nimmt ein paar Zweige in die Hand. Sie will fühlen, spüren, riechen.
Diesen Weg geht die Pastoralreferentin mit ihren Gruppen oder mit Einzelpersonen. Jeder darf in seinem Tempo unterwegs sein, das ist wichtig. „Die Menschen kommen gestresst aus der Großstadt mit vollem Kopf hier an. Sie sollen in dieser wunderschönen Natur loslassen, sich nur auf sich besinnen und die Welt, die sich ihnen jetzt erschließt, aufnehmen können“, erläutert Kitz.
Der Pfad führt jetzt steiler bergan, wir müssen unser Tempo anpassen. Das ist nicht schwierig, denn ein atemberaubender Pinienwald zwingt geradezu stehen zu bleiben. Er ist wohl der nördlichste Pinienwald hinter den Alpen, vermutet Kitz. Ich schaue in die Bäume, in den blauen Himmel und denke, dahinter ist jetzt das Meer. Bizarre Holzgebilde haben sich an dem Hang angesiedelt. So was im Hofheimer Wald, wer hätte das gedacht. Die nächste Überraschung wartet um die Ecke. Ein riesengroßer Stein, ein Findling, steht am Wegesrand. Wir gehen hin, und unwillkürlich streichen wir mit den Händen über den Koloss. „Schauen Sie, das machen ganz viele, an einigen Stellen ist er schon ganz glatt gerieben“, zeigt mir meine Begleiterin. Noch eine kleine Steigung, und dann gelangen wir zum Plateau der Bergkapelle.
Ein großer Laubbaum ziert den Eingang. Wir setzen uns auf die Steinplätze und genießen den Ausblick. Von hier oben sind die Tower Frankfurts zu sehen. Die Stadt liegt im sonnigen Dunst zu unseren Füßen. Ich bin längst tiefenentspannt und verstehe, was die Frau an meiner Seite mit ihrem Weg zur Kapelle bezwecken will. Einfach runterkommen, vielleicht auch Gottes Nähe dabei spüren, bei sich bleiben und den Alltag kurz hinter sich lassen. Der Erker mit seinen Butzenfensterchen an der kleinen Kapelle hat es mir besonders angetan, ich muss immer wieder zu ihm hinschauen. Daneben befindet sich an der Außenwand eine Marienfigur.
Die Bergkapelle steht nicht ohne Grund an diesem Platz. Die Pest wütete im Land, und die Einwohner Hofheims hatten große Furcht. Der damalige Pfarrer Johannes Gleidener zog mit seiner Gemeinde in einer Prozession auf den „Rabberg“ (Räuberberg). Dort beteten sie darum, von der Pest verschont zu werden, und gaben das Versprechen ab, eine Marienkapelle zu bauen und am ersten Sonntag im Juli eine Wallfahrt dorthin zu unternehmen. Die Kapelle wurde im Jahr 1667 eingeweiht. „Es soll tatsächlich kein Hofheimer an der Pest erkrankt sein“, erzählt Verena Kitz.
Eine Besonderheit im Inneren der Bergkapelle ist das Bild „Der Maialtar/Lemoir de Marie“ von Ottilie Röderstein, einer Künstlerin aus Hofheim, die im Jahr 1937 verstarb. Das Bild hing Ende des 19. Jahrhunderts in mehreren internationalen Ausstellungen und sogar 1893 in der Weltausstellung in Chicago. Für uns Beide ist der Weg nun quasi beendet. Wir gehen zur Treppe, die 1916 zur Kapelle hoch gebaut wurde. Viele Stufen führen geradewegs runter zu unserem Ausgangspunkt. Es ist nicht langweilig, die Treppe herunter zu gehen. An vier Abschnitten sind von den ehemals sieben Stationen eines alten Kreuzwegs, „Fußfälle Christi“ genannt, vier Podeste neben den Stufen aufgestellt. Die Kreuzwegstationen waren 1701 von dem Aschaffenburger Bildhauer Anton Wermerskirch aus Main-Sandstein geschaffen worden. Ein Mann, der uns zuvor schon im Wald überrundet hat, hechtet uns die Treppe hoch entgegen. „Diese Runde drehe ich fast jeden Tag“, erzählt er uns. Spürt er auf dem Kapellenberg etwas, frage ich ihn. „Ja manchmal ist da was“, antwortet er.
Der Abschied fällt herzlich aus, und es ist klar, dass dieser Gang nicht der letzte ist.
Verena Kitz und ich verabschieden uns voneinander. Es ist ein herzlicher Abschied, wir haben uns gut gefühlt in dieser Stunde. Es ist auch kein Abschied für immer, denn ich werde wiederkommen. Um an diesem kraftvollen Ort zu mir zu finden, das nehme ich mir fest vor.
TIPPS: Viehweide –Türme
- Auf dem höchsten Punkt des Kapellenberges steht der Meisterturm. Das Stahlgebilde schraubt sich seit 1929 in den Taunushimmel, ist überdacht und ganzjährig besteigbar.
- Die Burggrabenzeile mit „Türmchen“ ist ein herausragender Teil der Fachwerkhäuserzeile, die auf den Fundamenten der alten Stadtmauer errichtet wurde. Im Turm lebte ursprünglich der Gerichtsdiener.
- Bürgerliche Küche bietet die Waldgaststätte Viehweide den Besuchern und Wanderern an. Vom Biergarten aus bietet sich ein Blick über die Frankfurter Skyline. (fa)
GESPÜRT: Dort zu sein, tut einfach gut
Die Farben des Waldes sind zu allen Jahrszeiten reizvoll. Der Weg zur Bergkapelle ist gut zu gehen. Unterwegs kommt der Geist zur Ruhe. Es gibt soviel Schönes zu entdecken, und es lohnt sich immer, ein wenig innezuhalten. Am Pinienwald bleibt jeder unwillkürlich stehen und betrachtet dieses Wunder der Natur in unseren Breitengraden.
Der Blick von oben geht weit in die Landschaft. Die Türme von Frankfurt ragen in den Himmel. Auf der steineren Bank vor der Kapelle ist es friedlich. Es ist ein Ort, der in seinen Bann zieht. Mit guten Gefühlen lässt man ihn zum Abschied hinter sich. (fa)