Durchatmen, Kraft schöpfen

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Im Caritas Westfalenhaus in Niendorf an der Ostsee finden Mütter und ihre Kinder einen Ort, um den Stress des Alltags einmal hinter sich zu lassen – und bekommen Tipps, wie sie künftig besser mit Belastungen umgehen können.


Christina Hoppe-Ahrens genießt mit ihren Söhnen Noah (re.) und Liam die Zeit am Strand. | Foto: Ruth Franzen

Im beschaulichen Ostsee-Badeort Niendorf verirrt sich an diesem grauen Tag Ende Januar kaum jemand nach draußen. Zur Freude von Jessica Saracino: „Ich genieße es, dass ich den Strand für mich habe.“ Die Kölnerin macht mit ihren beiden Söhnen eine Mutter- Kind-Kur im Caritas Westfalenhaus, das direkt am Meer liegt. Bei Spaziergängen in der klaren Winterluft kann sie durchatmen. In ihrem Alltag arbeitet die zweifache Mutter als Coach in einer IT-Firma.

Nach der Arbeit kümmert sie sich dann um ihre beiden Söhne, die vier und acht Jahre alt sind. „Vormittags betreue ich die großen ‚Kinder‘, nachmittags die kleinen“, beschreibt sie ihren Tag. Der Job macht ihr Spaß und sie liebt ihre Kinder – aber die Doppelbelastung hat sie viel Kraft gekostet. „Im Oktober stand ich kurz vor dem Burnout“, erinnert sie sich. Ihr Arzt verschrieb ihr eine Mutter-Kind-Kur.

Viele Mütter stehen zuhause unter Strom

Für das Caritas Westfalenhaus hat sie sich vor allem deshalb entschieden, weil sie hier viel mit ihren Söhnen gemeinsam unternehmen kann. „Zuhause stehe ich ständig unter Strom. Da kann ich die Zeit mit den beiden gar nicht bewusst erleben“, erzählt sie. Jetzt genießt sie das Zusammensein sehr – aber auch die Stunden, in denen sie zur Ruhe kommen kann, während die Kinder betreut sind. Dann entspannt sie sich in der Salzoase und bei der Wärmebehandlung, lässt sich in Yoga und Qigong einführen oder macht Wassergymnastik. Oder sie sitzt einfach am Fenster und blickt aufs Meer. „Ich fasse dann in meinem Kurtagebuch zusammen, was ich hier gelernt habe und was ich mitnehmen möchte“, erzählt sie.

Die „Silvesterkur“, an der Jessica Saracino teilnimmt, hat das Caritas Westfalenhaus nun zum zweiten Mal angeboten. Sabine Depew, Leiterin der Klinik: „Diese Kur wird als sehr erholsam von den Frauen wahrgenommen. Sie gehen dann ausgeruht und mit neuen Plänen ins Jahr.“ Aber auch bei anderen Winterkuren sei die Zufriedenheit der Patientinnen sehr groß.

Am Ende der dreiwöchigen Kur fühlt sich Jessica Saracino gekräftigt und entspannt, aber sie sorgt sich auch, wie lange das im Alltag anhalten wird. „Eine Mitpatientin hat es so ausgedrückt: Wir sind hier wie unter eine Käseglocke.“ Wie nachhaltig wirkt die Kur in Niendorf? Sabine Depew erläutert: „Die Krankenkassen haben evaluiert, dass Erkrankungen bei den Müttern nach der Kur deutlich abnehmen, mindestens ein halbes Jahr lang, teils auch viel länger.“ Die Kur könne keine langfristige therapeutische Behandlung ersetzen, aber „wir geben Impulse durch Beratung, Stressworkshops, Sport und Physiotherapie, wie die Mütter im Alltag ihre Stressfaktoren mindern können.“ Jessica Saracino hat sich vorgenommen, den Tag künftig anders zu beginnen: „Ich möchte mir morgens, bevor meine Familie aufsteht, Zeit für mich nehmen, mit Yogaübungen oder einer Meditation.“

Viele Mütter, die ins Westfalenhaus kommen, sind berufstätig und von der Doppelbelastung gestresst. Aber es gibt auch andere Ursachen für die Erschöpfungszustände, die hier behandelt werden. „Es kommen Frauen mit kinderreichen Familien. Andere pflegen zuhause ihre Eltern. Auch Trennungsprobleme spielen eine Rolle“, weiß Sabine Depew. Der Bedarf an Mutter-Kind-Kuren ist jedenfalls sehr groß: „Wir sind das ganze Jahr voll belegt, mit jeweils 39 Familien aus ganz Deutschland“, so Depew. Dennoch kann sich eine Anfrage für interessierte Mütter lohnen: „Es springen immer mal Leute ab, sodass Plätze frei werden.“

Ein Lerneffekt der Kur: sich Unterstützung holen

Berufstätig, dazu noch der Spagat zwischen Kinderbetreuung und der Sorge für die krebskranken Eltern: Diese Extrembelastung brachte Christina Hoppe-Ahrens an ihre Grenzen. Die dreifache Mutter aus Barsbüttel ist mit ihren Söhnen Noah (3) und Liam (5) ins Caritas Westfalenhaus gekommen. Ihre „Vorgeschichte“ begann vor vier Jahren, als ihr Mann eine Stelle bekam, für die er viel unterwegs sein muss. Ein halbes Jahr später erkrankte ihre Mutter an Krebs – mit 64 Jahren. Christina Hoppe-Ahrens sorgte bis zu ihrem Tod für sie. „Ich habe jede freie Minute für meine Mutter geopfert und bei meiner Familie eingespart. Ruhige Wochenenden und Abende gab es nicht mehr. Und die Kinder haben gemerkt: Mit Mama stimmt was nicht“, erinnert sie sich. „Als junge Mutter dachte ich, dass ich mich erstmal um die Kinder kümmern kann und dann vielleicht mal in zwanzig Jahren um meine Eltern. Aber dann kam alles gleichzeitig.“ Trotzdem machte sie einfach weiter und schulterte die Belastung allein – selbst als ihr 67-jähriger Vater ebenfalls eine Krebsdiagnose bekam. Die Powerfrau war überzeugt: „Ich schaffe das alles. Ich brauche keine Hilfe.“ Aber nach dem Tod ihrer Mutter fiel sie in ein Loch, bekam Schlafstörungen. „Man sieht das gar nicht kommen. Vorher war mir nicht bewusst, dass ich total am Limit war.“ Ihre Hausärztin riet ihr zu einer Mutter-Kind-Kur. Eine Woche vor ihrer Abreise erfuhr Christina Hoppe-Ahrens, dass ihr Vater nun eine Chemotherapie braucht. Nach der Kur wird sie die Mehrfachbelastung also schnell wieder einholen. „Aber jetzt habe ich mehr Erfahrung. Und ich habe gelernt, dass ich mir Unterstützung holen kann“, sagt Christina Hoppe-Ahrens.

In der Kur sind der dreifachen Mutter die therapeutischen Einzelgespräche besonders wichtig. Dabei geht es vor allem darum, die Gefühle nach dem Tod ihrer Mutter zuzulassen und zu verarbeiten. Ihr wurde bewusst, dass sie sehr wütend auf sie ist, denn „sie hat sehr ungesund gelebt und viel geraucht. Dadurch ist sie so früh gestorben.“

Außerdem hat Christina Hoppe- Ahrens gelernt, mal wieder nur an sich selbst zu denken. Sie unternimmt lange Spaziergänge am Steilufer, nimmt sich Zeit zum Lesen und genießt Angebote wie Lichttherapie, Massagen und Atemübungen. Ihre Unterbringung ist für die Mutter ein besonderes Geschenk: Ihr Zimmer geht zur Seeseite. „Als ich die Tür aufschloss und das Meer sah, habe ich vor Freude geweint.“

VON RUTH FRANZEN