Ein altes Problem ist wieder da

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Steuern wir wieder auf eine Flüchtlingskrise zu? Die Zahl von Asylanträgen aus Krisenländern steigt. Dazu kommen Flüchtlinge aus der Ukraine. Der Versuch, neue Unterkünfte zu schaffen, sorgt in Mecklenburg schon für Streit.


Norbert Koschmieder (mitte hinten) mit Flüchtlingen aus seinem Verein aus Nordwestmecklenburg 2017. | Foto: privat

VON ANDREAS HÜSER

Die „Flüchtlingswelle“ in den Jahren 2015 und 2016 brachte damals jeden Tag neue Schlagzeilen. Dass seit 2020 die Zahl von Asylbewerbern erneut stark gestiegen ist, wurde dagegen wenig beachtet. 217 774 neue Asylanträge sind im Jahr 2022 gestellt worden. Das ist zwar weniger als 2016 (damals waren es 722 320 Neuanträge), aber zu den Asylsuchenden kommen eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine, die ebenfalls untergebracht werden müssen.

Das bringt viele Städte und Landkreise an die Grenze ihrer Aufnahme-Kapazitäten. Aufgebrochen ist das Problem jetzt in Upahl, einem Dorf nahe Grevesmühlen. In einem Gewerbegebiet bei Upahl plant der Landkreis, ein Containerdorf für 500 Menschen zu errichten. Dagegen protestierten die Bewohner des Dorfes. In Upahl leben nicht mehr als 500 Einwohner.

Auch der Flüchtlingsrat von Mecklenburg-Vorpommern äußerte in einer Erklärung Verständnis für die Ablehnung. Zwar stehe der Schutz von Flüchtlingen nicht zur Debatte. Aber: „Die Unterbringung muss mit Augenmaß erfolgen.“ Die Sammelunterkünfte sollten, so der Flüchtlingsrat, „im angemessenen Verhältnis zur Einwohnerzahl stehen. Im dünnbesiedelten ländlichen Raum mit seinen sehr kleinen Gemeinden und  Siedlungen ist aus diesem Grunde eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen angemessen.“

Norbert Koschmieder, Gemeindereferent aus Grevesmühlen und Mitbegründer des Flüchtlingsrats MV, kümmert sich seit vielen Jahren um Flüchtlinge – anfänglich im Osten, heute im Nordwesten Mecklenburgs. Mit seinem Verein „bleib.mensch“ hat er Patenschaften, eine Erstberatung, Sprachkurse, eine Fahrradwerkstatt und Begegnungs-Treffpunkte ins Leben gerufen. Koschmieder kennt die Situation in der Region – und auch die Schwierigkeiten einer „dezentralen Unterbringung“. „In den letzten Jahren haben viele Privatleute Flüchtlinge in ihrem Haus aufgenommen“, sagt er. „Aber sie dachten, das ist nur für ein halbes Jahr, für kurze Zeit.“ Deshalb sei die Bereitschaft, jemanden aufzunehmen, in der Region „auf null“ gesunken.

Upahl ist nicht der einzige Ort in Mecklenburg-Vorpommern, der das Problem hat. Auch in Loitz bei Greifswald gibt es wegen eines Flüchtlingsheimes Proteste, ebenso in Bützow, wo der Landkreis Rostock Pläne für ein Wohnheim in der Nähe von drei Schulen hat.

Miteinander reden: Das ist der erste Schritt

Dass es in kleinen Dörfern Widerstand gegen große Bauprojekte gibt, ist für Norbert Koschmieder keine Überraschung. „Die Ängste sind zum Teil begründet, zum Teil auch unbegründet.“ Auf jeden Fall brauche es Abstimmung auf überregionaler Ebene. „Es geht nicht ohne Gemeinschaftsunterkünfte. Aber wir wollen auch keine Dschungelheime.“ Im konkreten Konflikt um das Projekt in Upahl haben Koschmieder und sein Verein zumindest einen Vermittlungserfolg erzielt. „Der Bürgermeister und der Landrat reden wieder miteinander.“

Die Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Mecklenburg beschäftigt auch das Erzbistum Hamburg. „Ich bin in dieser Frage im Gespräch mit Sozialministerin Stefanie Drese und der Integrationsbeauftragten Jana Michael“, sagt Dr. Norbert Nagler, Vertreter der katholischen Bischöfe von Berlin und Hamburg bei der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. „Wir sind als Kirche bereit, einen Beitrag zu Dialog und Ausgleich zwischen den Positionen zu leisten.“ Bereits heute sind in zwei kirchlichen Häusern, im ehemaligen Bildungshaus in Parchim und im Jugendhaus in Teterow, Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht. Die Kirche sieht sich in einer Doppelrolle, die eine Vermittlung möglich machen kann. Norbert Nagler: „Wir stehen einerseits und selbstverständlich auf der Seite der Flüchtlinge, die alles hinter sich lassen mussten und unsere Hilfe brauchen. Aber wir stehen auch an der Seite der Menschen, die angesichts großer Flüchtlingskontingente und deren Unterbringung in der Nachbarschaft überfordert sind. Auch die Ängste dieser Menschen möchten wir als Kirche ernst nehmen und zu einem Dialog zwischen den Perspektiven einladen.“