Leila Kühn wurde in der Osternacht vor einem Jahr getauft
Ein Jahr als Christin
In der Osternacht vor einem Jahr hat sich Leila Kühn taufen lassen – mit 40 Jahren. Kurz vor ihrer zweiten Osternacht als Katholikin ist das für sie noch immer die Entscheidung, die ihr Leben erst komplett gemacht hat.
Mit Schwung streckt Leila Kühn ihre Hand nach hinten, dann wieder nach vorne, singt dazu in das Mikrofon: „Gestern, heute und morgen bin ich geborgen in deiner Hand!“ Auf der kleinen Bühne vor ihr im Gemeindezentrum sitzen die Kindergartenkinder mit ihren Eltern, singen mit, halten bunt geschmückte Palmzweige in den Händen. Leila Kühn ist mittendrin: im aktiven Gemeindeleben, einer Gemeinschaft, in der sie sich wohlfühlt, ihrem eigenen Glauben. Ein besonderer Moment hat dieses Glaubens- und Lebensgefühl vor einem Jahr komplett gemacht: ihre Taufe zur katholischen Christin.
Die Entscheidung, sich taufen zu lassen, fällt die 40-Jährige im Frühjahr vor rund zwei Jahren. „Ich war bei einer Beerdigung, habe viel nachgedacht, auch über meine eigene Beerdigung. Ich habe gedacht, dass da etwas fehlt in meinem bisherigen Leben, dass ich das vor meinem Tod vor Gott klarstellen muss“, erzählt sie. Zu diesem Zeitpunkt ist sie in der Gemeinde bereits fest verankert: Regelmäßig plant sie die sonntäglichen Mini-Gottesdienste für Kindergartenkinder, engagiert sich als Mutter und Vorsitzende des Fördervereins im katholischen Kindergarten. „Ich hatte das Glück, toll in die Gemeinde integriert zu sein, wusste sofort, wen ich fragen kann, wie ich meinen Taufwunsch angehen und erfüllen kann“, sagt sie.
Im Sommer sucht sie den Kontakt zum Pastoralteam, und ist schnell begeistert von der einfühlsamen Art. „Da wurde kein Standardprogramm abgefahren. Ich konnte meine eigene Geschichte mitbringen und wurde sehr individuell behandelt“, erzählt sie. „Ich hatte zuerst den inneren Wunsch und die Vorstellung, meine Taufe ohne viel Aufsehen ablaufen zu lassen. Aber dann wurde ich darin bestärkt, dass man eine so große Aufgabe nur zusammen schafft und das auch mit Stolz zeigen kann.“
Sie muss bei Bekannten ihren Wunsch erklären
Der Rückhalt aus der Gemeinde ist von Anfang an da. Viele sind überrascht, dass die Frau, die sich so engagiert und selbstbewusst für die Kirche einsetzt, konfessionslos ist. „Es war mir immer etwas unangenehm, über mein ‚Outing‘ zu sprechen, hat mich Überwindung gekostet, aber alle aus der Gemeinde haben mich unterstützt.“ Auch ihr Mann und viele Freunde stehen hinter ihrer Entscheidung. Bei einigen Bekannten muss Leila Kühn ihren Taufwunsch trotzdem immer wieder erklären.
Als Schülerin eines bischöflichen Mädchengymnasiums in Essen wird das Interesse für den katholischen Glauben bei Leila Kühn erstmals geweckt. Die Schule hat bereits damals einen sehr guten Ruf, die religiöse Basis steht bei der Schulauswahl eigentlich im Hintergrund. „Ich habe im Schulchor die Messen begleitet, bei Konzerten mitgemacht, mich näher mit meinem Glauben beschäftigt“, sagt Kühn. „Aber schon als Kind habe ich mich ohne Konfession immer anders gefühlt. Ich denke, daher kommt auch der Wunsch, dass ich meine Taufe als Erwachsene eher ohne großes Aufsehen hinter mich bringen wollte.“
In die Gemeinde St. Maria Magdalena in Wattenscheid-Höntrop kommen Leila Kühn und ihr Mann schließlich, als sie vor sechs Jahren von Hattingen in die Nachbarstadt ziehen. Der Wunsch, sich taufen zu lassen, wächst mit dem zunehmenden Engagement für Kirche und Kindergarten. „Ich habe katholisch geheiratet, unsere beiden Kinder sind getauft, aber die Zeit, mich intensiv meinem eigenen Glauben zu widmen – die hat einfach immer gefehlt“, sagt die gelernte Bank- und Diplom-Kauffrau.
In der Osternacht vor einem Jahr ist es dann so weit: Leila Kühn steht zwischen den anderen Täuflingen in ihrer neuen Heimatkirche. Als sie auf die Taufstelle zugeht, ist sie sich ihrer Entscheidung sicher: „Dieser Moment war sehr klar. Am Abend vorher war ich sehr aufgeregt, hatte Angst vor diesem Gang, vor der Aufgabe, die mir bevorsteht. Aber dann bin ich mit voller Überzeugung gegangen“, erinnert sie sich. Sie ist überrascht, wie viele Menschen aus der Gemeinde gekommen sind, um sie bei der Taufe zu begleiten. „Am Ende habe ich die Kirche fast als Letzte verlassen und den Menschen, die mir gratuliert haben, immer gesagt: ‚Jetzt ist alles gut‘“, sagt sie und lacht.
Seit ihrer Taufe lässt Leila Kühn ihre Leidenschaft zum Singen aus der Schulzeit im Effata-Chor der Gemeinde wieder aufleben. In drei Kontaktstellen der Pfarrei arbeitet sie einige Zeit zweimal die Woche als Teamleiterin. Ein Jahr nach der Taufe weiß sie: Es war die richtige Entscheidung. „Ich fühle mich noch mehr als Teil des Ganzen, aber auch innerlich zufrieden – weil jetzt alles gut ist.“
Sie möchte Ostern ganz bewusst erleben
Diese Entscheidung zu verankern, habe trotzdem mehrere Monate gebraucht. „Das Thema ging mir immer wieder sehr nah, vor allem beim Singen“, sagt sie. „Erst als ich die neuen Taufanwärter vor einigen Wochen gesehen habe, habe ich gemerkt, dass ich meine Geschichte jetzt für mich abschließen kann, dass ich es geschafft habe.“
Auf die kommende Osternacht freut sich Leila Kühn, die Momente ihrer eigenen Taufe werden dann vermutlich an vielen Stellen wieder die Gedanken bestimmen. Ausnahmsweise wird Leila Kühn dann nicht im Chor singen, nicht wie gewohnt planen und organisieren: „Ich habe mich bewusst dazu entschieden, ganz normal in der Kirchenbank zu sitzen. Ich möchte diesen Moment einfach als nun volles Gemeindemitglied erleben und die Osternacht aus einer anderen Perspektive und sehr bewusst durchleben.“
Lisa Mathofer