Jugendhaus des Erzbistums Berlin beherbergt ukrainische Waisen

Ein Ölbaumzweig der Hoffnung

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Seit März beherbergt das Jugendhaus des Erzbistums Berlin ukrainische Waisenkinder. Dabei lief nach der Coronaflaute gerade wieder der Normalbetrieb an. Erzbischof Heiner Koch hält die Entscheidung zur Notfallhilfe für richtig: „Dem Leben zu helfen, ist doch die Aufgabe kirchlicher Häuser!“

Caritas-Direktorin Ulrike Kostka hatte ihren Hund Charly zum Besuch bei den Kindern in Altbuchhorst mitgebracht.    Foto: Dorothee Wanzek

Ein Junge im Grundschulalter läuft freudig auf Elena Killer zu und schenkt ihr einige Schokoladenostereier. Sie überlegt einen Augenblick, ob sie das kleine Geschenk annehmen soll, mit dem andere doch eigentlich die Kinder erfreuen wollten. Dann greift sie zu, blickt das Kind an und genießt, wie sich das Strahlen in seinem Gesicht vertieft.
Gemeinsam mit ihrem Mann Roman Kähl besucht sie die 45 ukrainischen Waisen- und Pflegekinder, die zurzeit im Christian-Schreiber-Haus Altbuchhorst untergebracht sind, so oft sie kann. Das ukrainisch-deutsche Paar aus Berlin-Marzahn hatte den Anstoß dafür gegeben, dass die Kinder in dem katholischen Jugendhaus schnell eine sichere Zuflucht fanden.
Elena Killer stammt aus einer Stadt am Schwarzen Meer, lebt aber bereits seit ihrer Jugend in Deutschland. Der Kontakt zu Verwandten und Freunden in der Ukraine ist nie abgerissen. Seit Kriegsausbruch tauscht sie nahezu täglich Nachrichten aus. Bereits die Hälfte der Bevölkerung in der Heimatregion sei evakuiert, teilten die Freunde nach kurzer Zeit mit. Sie berichteten auch von den schlechten Aussichten, die Kinder aus Waisenheimen in Sicherheit zu bringen.
Die Vorstellung, dass ausgerechnet die Hilfsbedürftigsten schutzlos zurückbleiben, berührte Elena Killer und ihren Mann. Beide entschlossen sich zu helfen. Eine Marzahner Bezirksstadträtin, bei der sie Rat und Unterstützung suchten, empfahl ihnen, sich an die Ordensleute zu wenden, die im Stadtteil das soziale Jugendprojekt „Manege“ betreiben. Sie folgten diesem Rat und erlebten mit, wie ein Hilfs-Netzwerk lebendig wurde.

Global vernetzte Kirche war hilfreich beim Erstellen der Fluchtroute
Wie kompliziert es sein würde, sichere Fluchtwege und Transportmittel für so viele Kinder und ihre Begleiter zu organisieren, hatten sie anfangs allenfalls geahnt. Die größte Herausforderung bestand schließlich darin, mit Kindern ohne ihre Sorgeberechtigten oder Vormünder mehrere Staatsgrenzen zu überwinden. Dahinter steckte nicht zuletzt die Sorge ukrainischer Behörden, „ihre“ Kinder könnten jenseits der Grenzen unkontrolliert „wegadoptiert“ werden.
Je schwieriger das Unterfangen schien, desto weiter und dichter wurde das internationale Netzwerk aus Profis und Ehrenamtlichen, das sich um die Salesianer Don Boscos und die Schulschwestern aus der „Manege“, die Bistumsleitung und den Diözesan-Caritasverband bildete. Aufgrund seiner Kapazität von bis zu 100 Betten erwies sich das Christian-Schreiber-Haus als geeigneter Ort, viele Kinder und Jugendliche aufzunehmen. Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker halfen dabei, den rechtlichen Rahmen für Fluchthilfe und Aufnahme zu klären. Klöster boten unterwegs Herberge und lotsten die Flüchtenden zur jeweils nächsten Etappe.
Die größte Kindergruppe holten Elena Killer und Roman Kähl, begleitet von einer Ordensschwester und einem weiteren Mitarbeiter der „Manege“, persönlich an der ukrainischen Grenze ab. „Sie waren verschüchtert, haben kein Wort gesprochen, viele haben geweint“, erzählte Roman Kähl in der vergangenen Woche bei einem Zusammentreffen mit dem Berliner Erzbischof, einigen Helfern und Journalisten im Christian-Schreiber-Haus. Auch nach ihrer Ankunft seien einige jedes Mal zusammengeschreckt, wenn eine Tür zuklappte, ergänzte eine Mitarbeiterin des Hauses. Heute erlebt Roman Kähl die Kinder lachend, tobend, gelöst und entspannt – „so, wie wir selbst als Kinder waren“. Sein Einsatz hat sich gelohnt, denkt der Berliner Unternehmer, wenn er in ihre Gesichter schaut.
Ganz nebenbei hat er durch sein Engagement die Kirche neu kennengelernt, die er bisher nur von weitem zur Kenntnis genommen und mit einem eher negativen Image verbunden hatte. „Es hat mich sehr beeindruckt, was die Kirche hier geleistet hat – ohne dass jemand das an die große Glocke hängt“, hob er hervor.
Auch katholische Mistreiter verbuchen die Hilfsaktion für die ukrainischen Waisenkinder als positive Kirchenerfahrung. „Gemeinsam mit ganz unterschiedlichen Akteuren haben wir das Caritas-Motto ,Not sehen und handeln‘ gelebt“, sagte Caritas-Direktorin Ulrike Kostka, „ohne uns von bürokratischen Hürden abschrecken zu lassen und ohne abzuwarten, bis finanziell alles geklärt ist.“

Gruppen reagierten verständnisvoll auf die Absage ihrer Kurse
Die Mitarbeiter des Christian-Schreiber-Haus geraten in der gegenwärtigen Ausnahmesituation zwar zuweilen an ihre Grenzen, zumal die im Normalbetrieb eingespielten Belegungspausen wegfallen. Nicht einfach war für sie auch die Entscheidung, etlichen Gruppen wieder absagen zu müssen – obwohl das Haus nach der Coronapause endlich wieder ausgebucht war.
Die Entscheidung, Flüchtlingskinder aufzunehmen, hätten  aber von Anfang an alle mitgetragen, erläuterte Verwaltungsleiterin Barbara Simon. Die Hauswirtschaftskräfte brachten zum Beispiel Spielzeug und Einrichtungsgegenstände von zu Hause mit, damit sich die Kinder in den Zimmern willkommen und geborgen fühlen.
Auch die Gruppen, die ihren geplanten Aufenthalt im Jugendhaus in den vergangenen Wochen nicht antreten konnten, hätten mit großem Verständnis reagiert, hat Barbara Simon mit Erleichterung registriert. Manche, die sich auf ihre Klassenfahrt oder ihren Erstkommunionkurs gefreut hatten, waren sogar dankbar dafür, mit ihrem Verzicht einen kleinen eigenen Beitrag zur Unterstützung des ukrainischen Volkes geben zu können.

Caritas engagiert sich für eine dauerhafte Unterbringung
Diejenigen, die ihren Kurs doch in Altbuchhorst abhalten konnten, haben – ebenso wie die Flüchtlingskinder – von den Begegnungen profitiert, vom gemeinsamen Spiel in den Pausen, das oftmals ohne Worte funktionierte und von der Erfahrung, dass Gesang Verbindungen zwischen den Kulturen zu schaffen vermag. Auch beim mittäglichen Gebet für den Frieden kamen ukrainische und deutsche Kinder einander näher, hat Schwester Ethel Maria Kollenberg beobachtet. Die Jugendreferentin erzählte von einem abendlichen Friedensgebet, zu dem sie mit ihren Mitschwestern eingeladen hatte. Mit dem Symbol des Ölzweiges, der zum Ende der Sintflut für die Besatzung der Arche Noah neue Hoffnung gab, brachten die Schwestern ihre Hoffnung auf Frieden zum Ausdruck. „In Altbuchhorst anzukommen, war für mich wie diesen Ölzweig zu sehen“, sagte die Begleiterin einer Flüchtlingsgruppe, die erst kurz zuvor eingetroffen war, „einen kleinen Zweig, der mich auf das Ende der Katastrophe hoffen lässt“.
Auch wenn die Unterbringung der Flüchtlinge von Anfang an als vorübergehende Notlösung geplant war, wird das Engagement noch eine unbestimmte Zeit fortdauern. Gegenwärtig suchen Mitarbeiter der Caritas für alle Gruppen eine dauerhafte Unterbringung. Für eine 15-köpfige Pflegefamilie ist eine geeignete Unterkunft bereits in Aussicht. Für 25 Kinder mit Behinderungen gibt es auch bereits Verhandlungen mit einer Einrichtung, die bereit wäre, die Gruppe als ganze aufzunehmen.

Das Erzbistum Berlin hat eine Vorreiterrolle übernommen
Deutschlandweit ist die Evakuierungsaktion der Waisenkinder nach Altbuchhorst mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden, wusste Caritas-Referent Jens-Uwe Scharf zu berichten. Dass weitere Waisenhäuser in der Ukraine auf Evakuierung warten, sei allen bewusst. Aus mehreren Bundesländern habe man im Erzbistum Berlin das Signal erhalten: „Wenn ihr gute Wege gefunden habt, die auch für uns gangbar sind, wollen wir mit einsteigen.“

Von Dorothee Wanzek