Hilfe für Suchtkranke in Rostock
Ein offenes Ohr am Billardtisch
Der Drogenkontaktladen der Caritas in Rostock ist Anlaufpunkt für viele. Der Laden bietet Unterstützung für Drogenkonsumenten, Hilfe beim Ausstieg, Essen, Dusche, Gesprächspartner – oder auch nur einen warmen Ort in der Winterkälte.
Frostig kalt ist es in Rostock. Wer kann, bleibt im Warmen. Die Menschen, die sich an diesem Mittag im Treppenhaus an der August-Bebel-Straße 2 sammeln, haben diese Möglichkeit nicht. Sie sind wohnungslos. Viele von ihnen verbringen einen Großteil des Tages auf der Straße. Nun warten sie fröstelnd darauf, dass der Drogenkontaktladen der Caritas seine Türen öffnet.
Kurz vor 13 Uhr ist es soweit: Das Team lässt die Wartenden herein. Aus der Küche duftet es nach Tomatensauce. Bald haben sich rund zehn Gäste auf die Stühle und Sofas im Raum verteilt. Sozialarbeiter Frank Kapler, der den Kontaktladen leitet, weiß: „Für Menschen, die auf der Straße leben und Drogen nehmen, ist eine warme Mahlzeit fast das Wichtigste.“ Deswegen kochen er und sein Team jeden Tag ein nahrhaftes Mittagessen. Er und seine Kolleg*innen setzen sich auch mit an den Esstisch, denn „im Gespräch kriegt man mit, wo es Klärungsbedarf gibt“.
Hilfe wird auf Wunsch angeboten, etwa beim Ausfüllen von Anträgen oder auch als Begleitung zu Ämtern. In einem Nebenraum besteht die Möglichkeit zum Spritzentausch. Opiatabhängige vermittelt das Team auf Wunsch an eine Arztpraxis, die eine Substitutionstherapie anbietet. „Wenn ein Drogenkonsument sagt, dass er von der Sucht loskommen will, dann drücken wir ihm den Hörer in die Hand, damit er einen Entgiftungstermin ausmachen kann“, so Kapler. Wenn der Hunger gestillt ist, ziehen sich manche Besucher zurück in den benachbarten Ruheraum, um Schlaf nachzuholen. Andere duschen, waschen ihre Wäsche oder suchen sich etwas zum Anziehen in der Kleiderkammer aus. Andere decken sich mit frischen Lebensmitteln ein, die sie mitnehmen wollen.
Im Raum steht ein Billardtisch, an der Wand hängt ein Dartbrett. Beides wird von den Gästen gerne genutzt. Der Laden veranstaltet sogar Turniere. „Wir bieten auch einen Ort des sozialen Beisammenseins“, erzählt Kapler, der seit 14 Jahren im Laden arbeitet.
Per Bus ist das Team auch in Lütten Klein zu finden
So harmonisch wie an diesem Tag geht es nicht immer zu: „Viele Klienten haben psychische Begleiterkrankungen. Da kochen die Emotionen manchmal hoch und wir müssen deeskalieren.“ Ein Hausverbot zu erteilen, ist nur das letzte Mittel. Denn im Drogenkontaktladen, der seit 1998 besteht, gilt seit jeher das Prinzip: Niemanden ausschließen. Wer hierher kommt, muss nicht clean oder trocken sein. „Wir wissen, dass Menschen Suchtmittel konsumieren und dass sie dafür ihre Gründe haben“, erklärt Kapler. Nur im Laden und auf dem Gelände ist der Konsum oder Handel mit Drogen strikt untersagt.
Die eigentliche Zielgruppe des Ladens sind Jugendliche und junge Erwachsene, die Drogen und Alkohol konsumieren. Doch es kommen auch Menschen, die nicht in dieses „Profil“ passen. So wie Max, der seit Anfang September in Rostock lebt. Er ist immer zu Fuß unterwegs, weil er seine Habseligkeiten in einem Einkaufswagen transportiert. Trotz der frostigen Temperaturen trägt er nur Flip-Flops. Der Drogenkontaktladen ist für ihn „eine Top-Adresse: „Das Interesse der Mitarbeiter kommt von Herzen, sie haben ein offenes Ohr, wenn man Hilfe braucht.“
Dass die Caritas hier Hilfe für Menschen mit Suchtproblemen anbietet, spielt für Max keine Rolle. „Ich trinke nur Bier“, sagt der 36-Jährige. Er möchte gerne in der Stadt bleiben, Arbeit finden – „aber keine Zeitarbeit, wo man ausgebeutet wird“ – und in einen Wohnwagen auf dem Campingplatz ziehen. Eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe am Leben hat ihm der Kontaktladen gerade verschafft: Er bekommt bei einer Impfaktion der Caritas endlich seinen zweiten „Piks“.
Am Billardtisch trifft Max auf Jan, der erst seit zwei Wochen in den Laden kommt. Der 37-jährige Elektromonteur hat seinen Job verloren und ist auf der Suche nach einer neuen Stelle. „Mit meiner Qualifikation könnte ich schnell was finden, aber ich will in einer Firma arbeiten, wo die Empathie stimmt.“ In letzter Zeit trinkt er „übermäßig viel“ Alkohol, gibt er zu, und setzt energisch hinzu: „Ich weiß, dass das Scheiße ist!“
Jans Ersparnisse sind inzwischen aufgebraucht und er konnte die Miete nicht mehr bezahlen. „Vorletzte Woche kam dann die Zwangsräumung.“ Nun schläft er im Nachtasyl für Männer. „Da will ich so schnell wie möglich raus. Ich brauche ein Zimmer, damit ich tagsüber nach Hause gehen kann.“ Im Drogenkontaktladen fühlt er sich wohl: „Ich wurde gleich nett aufgenommen. Außerdem ist das Essen günstig und lecker.“
Die Caritas-Suchthilfe versucht, abhängige Menschen auch in deren Lebensumfeld zu erreichen. Deswegen ist das Team jeden Mittwoch mit einem Kleinbus im Stadtteil Lütten Klein präsent. „Rostock hat zum Glück keine offene Drogenszene, aber es gibt natürlich Konsumenten. Durch Corona ist es schwierig geworden, an die heranzukommen“, berichtet Kapler.
Bringt die Arbeit im Drogenkontaktladen auch manchmal Erfolgserlebnisse mit sich? Kapler denkt einen Moment nach und sagt dann: „Wir sehen es als Erfolg an, wenn jemand regelmäßig hierher kommt und sich sein Zustand nicht verschlechtert.“
Text u. Foto: Ruth Franzen