Kostenloser Haarschnitt für Obdachlose in Hanau
Ein Stück Würde zurückgeben

Teils haben sie seit Jahren keinen Friseurladen mehr von innen gesehen. Nun konnten sich Obdachlose in Hanau kostenlos die Haare schneiden lassen. Möglich machte dies die „Barber Angels Brotherhood“. Von Reinhold Schlitt.

Seit Anfang 2017 hat diese „Friseurengel-Bruderschaft“ mit Mitgliedern aus mehreren Bundesländern bei 40 Einsätzen in ganz Deutschland mehr als 4500 obdachlosen beziehungsweise bedürftigen Menschen die Haare und Bärte geschnitten. Nach Hanau hatte sie der Verein „StrassenEngel“ eingeladen.
Mit ihrer Aktion möchten die Friseure Menschen wieder zu mehr Selbstbewusstsein und Würde verhelfen. Wie zum Beispiel bei einer Frau, die weder mit Namen noch mit einem Foto in der Zeitung erscheinen möchte und auch nicht viel erwartet. Ihr Gesicht verrät Skepsis, Misstrauen... Doch „ihr“ Friseur lässt sich davon nicht beeindrucken, fährt ihr ein ums andere Mal mit dem Kamm durch das Haar, lobt dessen Dichte und Länge und macht Vorschläge, wie man es in Form bringen könnte.
Aus anfänglicher Skepsis wird Vertrauen
„Machen Sie mal“, antwortet die Frau immer nur. Es dauert eine Weile, sie davon zu überzeugen, dass sie hier und jetzt Wünsche äußern kann – wie im richtigen Friseursalon. Widerwillig stellt sich Vertrauen ein. Umstehende Besucher schauen dem Geschehen fasziniert zu. Als alles geschnitten, gekämmt und gerichtet ist, reicht der Friseur seinem Gast den Handspiegel und freut sich über das Urteil: „Schön, einfach nur schön“.
Gut dreieinhalb Jahre ist es her, dass die Frau zum letzten Mal einen Friseurladen von innen gesehen hat. Die Trennung von ihrem Partner hat ihr damals den Boden unter den Füßen weggerissen, sie verlor ihre Arbeit. Hinzu kamen Geldprobleme und auch der Kontakt zu ihrem Sohn riss ab. Zunehmend entglitt ihr die Tagesstruktur. Sie ist auf staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen. „Da gibt es Wichtigeres als den Friseur“, sagt sie.
Der Initiator und Vorsitzende des Vereins Barber Angels Brotherhood mit Sitz im schwäbischen Biberach an der Riß, Claus Niedermaier, sagt: „Unsere Währung ist Dankbarkeit. Zu sehen, wie anfängliches Misstrauen schwindet und in jene Dankbarkeit umschlägt, ist auch für uns ein sehr, sehr schönes Gefühl. Es ist einfach toll, unseren Gästen ein Lächeln ins Gesicht zaubern zu können.“ Die Menschen würden spüren, dass man sie so behandelt, wie man sie auch im Friseurladen bedienen würde. Bei nicht wenigen von ihnen kämen dann auch spontan Erinnerungen an ihren eigenen, letzten Friseurbesuch hoch.
„Arme Menschen können sich einen Friseurbesuch nicht leisten. Ich habe Menschen die Haare geschnitten, die 15 oder gar 20 Jahre nicht mehr beim Friseur waren“, berichtet Niedermaier. „Dass sie skeptisch auf ein solches Angebot reagieren und sich fragen, was wir denn von ihnen wollten, verwundert mich nicht.“ Deswegen wollen die Barber Angels es ihren Gästen auch so leicht wie möglich machen, das Angebot eines kostenlosen Haarschnitts anzunehmen. Sie gehen mit ihren Aktionen an vertraute Orte und treten in Bikerkluft statt in einem normalen Salon-Outfit auf. Und sie wollen vor Ort auch Kollegen ihrer eigenen Zunft ermuntern, mitzumachen und mitzuhelfen, solche Angebote dauerhaft in den jeweiligen Regionen zu etablieren.
Werbung der Ökumenischen Wohnungslosenhilfe
Mittlerweile beteiligen sich auch Friseure aus drei Hanauer Friseursalons an dem bundesweiten Hilfsprojekt. Vorstandsmitglieder der Hanauer Friseurinnung und eine Dozentin der innungseigenen Friseurschule sind ebenfalls mit von der Partie. Der Bedarf ist jedenfalls da, wie Werbung und Mundpropaganda für den Hanauer Aktionstag Friseureinsatz zeigen. Unter anderem hatte die örtliche ökumenische Wohnungslosenhilfe Franziskushaus dafür kräftig die Werbetrommel gerührt.
Sabine Assmann, die umtriebige Vorsitzende des gastgebenden Hanauer Vereins „StrassenEngel“, geht noch einen Schritt weiter und ermuntert auch andere Branchen, sich dem Beispiel der Barbiere anzuschließen. Und sie hat auch schon eine Zielgruppe im Auge: Elektromeister, die alle regelmäßig ein geplantes Repair-Café fachlich begleiten, um Bedürftigen die Möglichkeit zu geben, defekte Elektrogeräte kostenlos reparieren zu lassen.