Mouhanad Khorchide über den Ramadan in Deutschland

"Eine gute Möglichkeit, Brücken zu bauen"

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In Kürze beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, spricht im Interview über die Bedeutung des Ramadans für Muslime in Deutschland, seine Rolle für den interkulturellen Dialog, aber auch über Missbrauch des Fastenmonats durch den politischen Islam.

Foto: kna/Lars Berg
Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Universität Münster. Foto: kna/Lars Berg

Herr Khorchide, wie viele Muslime in Deutschland fasten im Ramadan?
Laut einer Studie von 2020 fasten etwa vier von fünf Musliminnen und Muslimen ganz oder teilweise. Obwohl nur ein Fünftel die fünf täglichen Pflichtgebete verrichtet, die wie der Ramadan eine Säule des Islams sind. Der Ramadan stiftet Identität und steht für ein starkes Gemeinschaftserlebnis, für den Zusammenhalt der Familie und der Muslime. Dieses Gefühl von Gemeinschaft scheint ein noch wichtigeres Motiv zu sein als die spirituelle Bedeutung des Fastens für den Einzelnen.

Wie geht die Mehrheitsgesellschaft inzwischen mit dem Ramadan um?
Einerseits wird die deutsche Gesellschaft immer säkularer, ja areligiöser. Desto mehr nimmt das Verständnis für religiöse Überzeugungen und Glaubenspraktiken ab, diese Erfahrung machen ja auch Christen. Menschen, für die es nur das Diesseits und keinen Gott gibt und das Leben reiner Zufall ist, können schwer begreifen, warum jemand mitten im Hochsommer keinen Tropfen Wasser trinkt. "Warum tust du dir das an?", ist da die natürliche Reaktion.

Und andererseits?
... ist der Ramadan inzwischen auch Teil des öffentlichen Lebens in Deutschland und sorgt im interkulturellen Dialog für viele Begegnungen. Muslime und Nichtmuslime, die sich sonst nicht träfen, treffen sich bei Empfängen zum abendlichen Fastenbrechen, dem Iftar, in entspannter Atmosphäre - vom Nachbarn aus der Moscheegemeinde bis zum Bischof und Spitzenpolitiker. Mittlerweile laden sogar Nichtmuslime Muslime zu Iftar-Essen ein, selbst die israelische Botschaft in Berlin tut das dieses Jahr. Der Ramadan bietet eine gute Möglichkeit, Brücken zu bauen.

Für Debatten sorgt immer wieder das Fasten von Kindern und Jugendlichen in der Schulzeit, weil es Aufmerksamkeit und Noten möglicherweise gefährdet.
Ich habe den Eindruck, dass an den Schulen die Sensibilisierung für fastende Schülerinnen und Schüler gewachsen ist. Mich rufen häufig Lehrkräfte an und fragen, wie sie sich etwa bei Klassenarbeiten verhalten sollen. Da ist es wichtig, Kompromisse zu finden. Das betrifft aber auch die muslimischen Jugendlichen und deren Eltern. Ich versuche sie davon zu überzeugen, dass Gott ganz bestimmt keine Nachteile für sie will, indem sie wegen des Fastens schlechtere Leistungen bringen. Auch der Koran sagt, dass das Fasten in gewissen Fällen nachgeholt werden kann. Letztlich muss es jeder für sich entscheiden.

Ein anderes Thema ist religiöses Mobbing an Schulen und Druck von Mitschülern, das Fasten streng einzuhalten. Wie groß ist das Phänomen?
Ich sehe da ein wachsendes Problem, gerade unter Jugendlichen. Man darf nicht ausblenden, dass die hohe Beteiligung beim Fasten zumindest teilweise mit sozialem Druck aus der muslimischen Community zusammenhängt. Wie er auch gegen muslimische Mädchen ausgeübt wird, wenn sie kein Kopftuch tragen. Wer sich nicht streng an die Regeln hält, gilt in diesen Milieus schnell als "schlechter Muslim" und Verräter an der eigenen Gruppe.

Das klingt eher nach Abgrenzung statt Brückenbauen.
Es liegt an einem Phänomen, das ich als Aushöhlung der Religion bezeichne. Dabei geht es nicht mehr um den spirituell-ethischen Kern der Religion, sondern nur noch um Identität und Gruppenzugehörigkeit. Das Fasten dient nicht mehr einer vertieften Beziehung zu Gott und den Mitmenschen, sondern als Instrument von Macht und Kontrolle. Mit dem eigentlichen Sinn des Ramadans hat das nicht mehr viel zu tun. Oft fasten die Schüler, die andere mobben, nicht einmal selbst. Leider nimmt dieser identitäre Trend in manchen Kreisen zu.

Was sagen denn islamische Gelehrte über Muslime, die das Fastengebot missachten?
Nach der klassischen islamischen Theologie gilt das als große Sünde, für die nach dem Tod eine zeitliche Strafe im Höllenfeuer droht. Progressive Theologen des 21. Jahrhunderts sehen die Strafe eher darin, dass dem Betreffenden die spirituelle Bereicherung durch das Fasten entgeht, die Möglichkeit zur Selbstfindung und der vertiefte Kontakt zu Gott.

Sie sagen, der "identitäre Trend" vieler Muslime verstärkt sich. Woran liegt das?
Bei vielen ist das Gefühl gewachsen, Muslime würden in der Gesellschaft diskriminiert. Da fließen echte Ausgrenzungserfahrungen, eingebildete Diskriminierung und selbstverschuldete Nachteile, zum Beispiel durch fehlende Schulabschlüsse, zusammen. Die Vertreter des politischen Islams, die eine Integration von Muslimen in die westliche Gesellschaft verhindern wollen, greifen dieses Opfernarrativ auf und nutzen es, um die gesellschaftliche Polarisierung im Sinne eines "Wir gegen die" zu verstärken. Leider bedienen auch Kräfte in der deutschen Politik, vor allem im linken Spektrum, das Opfernarrativ und stellen Muslime grundsätzlich als diskriminierte Minderheit dar. Jede berechtigte Kritik am politischen Islam wird von ihnen als "rassistisch" oder "rechtspopulistisch" diffamiert. Auch das greifen Islamisten aus dem Dunstkreis der arabischen Muslimbrüder oder des türkischen Nationalismus begierig auf - dabei sind sie selbst die Rechtspopulisten des Islams und verfolgen nur ihre eigene Agenda.

Im Koalitionsvertrag hat die Ampel eine stärkere Förderung liberaler Muslime angekündigt. Sehen Sie da Ergebnisse?
Da sehe ich bisher nur wenig Bewegung. Die Regierung spricht weiter fast ausschließlich mit den konservativen Moscheeverbänden, die zum Teil einem progressiven Islam aus Deutschland für Deutschland skeptisch gegenüberstehen. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Islam hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sogar zurückgefahren und den entsprechenden Expertenkreis dazu vergangenes Jahr aufgelöst. Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen hierzu: Ein wissenschaftliches Gremium zum legalistischen Islamismus am Exzellenzcluster Religion und Politik der Uni Münster hat das Ministerium zuletzt begrüßt und die Förderung einer Konferenz in Aussicht gestellt.

kna