Ende einer langen Geschichte

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Die Caritas gibt die sozialtherapeutische Wohnanlage im Schloss Zühr auf. Die Zukunft des Anwesens ist noch unsicher. Seine Vergangenheit ist einzigartig. 80 Jahre lang war Zühr ein Ort katholischer karitativer Arbeit. 

Sozialpädagogische Wohnanlage im Schloss Zühr
Einsam und Idyllisch: Das Herrenhaus Zühr, links vorn die katholische Kirche St. Josef.  Foto: Caritas

Das Schloss in Zühr hat eine lange Tradition als kirchliches Haus. Zuletzt war es ein Wohnheim der Caritas für Menschen, die nach Krisen zurück in das selbstständige Leben finden wollten. Ende des Monats wird diese Einrichtung geschlossen.

Die Gründe dafür: Die gesetzlichen Auflagen hätten neue Sanitäranlagen und behindertengerechte (barrierefreie) Zugänge erfordert, das wäre mit hohen Umbaukosten verbunden gewesen. Ein Problem sei auch die Abgeschiedenheit des Hauses gewesen – ein idyllischer Ort, aber einsam, die nächsten größeren Orte Wittenburg und Hagenow liegen mehr als 12 Kilometer entfernt. Inzwischen sind die letzten Bewohner aus der sozialpädagogischen „Wohn-, Arbeits- und Lebensgemeinschaft“ ausgezogen. „Die zehn Mitarbeiter haben Stellenangebote bekommen, sie können bei der Caritas weiter arbeiten“, sagt Jennifer Schlaupitz (Caritas im Norden). Was aus dem Gelände und Gebäude wird, sei noch nicht entschieden. 

Die Geschichte dieses Herrenhauses, das auf eine mittelalterliche Fluchtburg gründet, ist lang und voller Einzelgeschichten. Angefangen mit dem Jahr 1940, als das Schloss in kirchlichen Besitz kam. Siedler aus Emsland und Ostwestfalen hatten in Zühr Land bekommen. Sie verlangten aber: Wir ziehen nur nach Mecklenburg, wenn es dort eine katholische Kirche und einen katholischen Geistlichen gibt. 

Die ersten Schwestern gruselten sich 

Nach Kriegsende kamen Hedwigsschwestern aus Schlesien nach Zühr. Sie sollten 1945 ein Alten- und Kinderheim aufbauen. Ein Schloss in Mecklenburg war ihnen versprochen worden. Die erste Begegnung verlief anders, wie die Schwestern in einer Chronik festgehalten haben. 

„Doch wie erschraken wir, als wir das ,Schloss‘ betraten. Ein Greuel der Verwüstung!“ Die Vormieter, 3 000 russische Soldaten, hatten ein Chaos hinterlassen: Eingeschlagene Scheiben, Schutthaufen, kein Ofen, keine schließende Tür. Und dann: „Die erste Nacht im Schloss! Ein Gruseln überkam uns. Der Wind pfiff durch die mit Papier verdeckten Fenster, der Mond schien ins Zimmer, die Eulen schrien gellend durch den Park, und wir, die einzigen Bewohner des ,Schlosses‘ konnten, obgleich ganz müde, den Morgen kaum erwarten.“ Am nächsten Morgen, in den nächsten Wochen und Monaten sah die Welt aber schon anders aus. Die Schwestern krempelten die Ärmel hoch und machten aus dem Gruselschloss ein Zuhause. 

Als vor einigen Jahren ehemalige Schlossbewohner in Zühr zusammenkamen, erinnerte sich ein „Heimkind“ an die Zeit nach dem Krieg, als Zühr das schönste Heim von allen war, wo man im Wald Spinat und Kräuter pflückte und einmal im Monat bei einem Bauern zu Mittag essen durfte, bis man satt war. Und eines Tages kam der Vater aus der Kriegsgefangenschaft. „Wir standen alle hier im großen Saal im Kreis. Dann trat ein unbekannter Mann herein. Ich hatte meinen Vater noch nie gesehen. Er wurde eingezogen, bevor ich geboren wurde.“ 

Vor wenigen Tagen endete die vorerst letzte Aufgabe für das ehrenwerte Haus. Die „WALG“ hatte 30 Plätze für Menschen, die – etwa nach einem Alkoholentzug – in Ruhe und mit fachlicher Begleitung den Weg in das Alltagsleben zurückfinden konnten. Auch in dieser Funktion blieb die Anlage ihrer ersten Bestimmung treu. Als Fluchtburg, zum Schutz von Menschen, ist Zühr vor 1 000 Jahren errichtet worden.

Text: Andreas Hüser