Fastenserie: Woran erkennt man Propheten heute?
Er ruft zum Guten
Foto: imago/Frank and Helena
Menschen, die für etwas kämpfen, stehen am Anfang oft einsam da. Sie haben eine Vision von einer Zukunft, die sich noch kaum jemand vorstellen kann oder sehen Gefahren, die noch kaum jemand ernst nimmt. Für ihren Idealismus werden sie verspottet oder verehrt.
Mancher denkt jetzt vielleicht an Alexej Navalnyj, den wahrscheinlich ermordeten, scheinbar furchtlosen und gleichzeitig umstrittenen Kämpfer gegen das autoritäre Regime in Russland. Oder an die Wissenschaftler, die seit Jahrzehnten vor den Folgen des menschengemachten Klimawandels warnten, nicht gehört wurden und jetzt erleben, wie es fast zu spät ist. Oder an junge Leute, die sich auf die Straße kleben, weil kaum jemand zu begreifen scheint, dass wir unseren Lebensstil ändern müssen, damit sich die Erde nicht weiter erhitzt.
Laut rufen konnte immer schon tödlich sein
Ihre Botschaft klingt ähnlich wie die von Johannes dem Täufer: „Kehrt um!“, rief er den Menschen zur Zeit Jesu zu. Johannes war der Rufer in der Wüste, zu dem die Menschen in Scharen hinauszogen. Aus ganz Judäa kamen die Leute zu ihm, um sich von ihm im Jordan taufen zu lassen. Seine Botschaft: Gottes Reich ist nahe. Bereitet euch auf sein Kommen vor! Er warnte vor dem nahen Gericht Gottes, gewann Anhänger und Einfluss. So sehr, dass die autoritäre politische Führung ihn am Ende aus dem Weg räumte und hinrichten ließ.
Auch heute werden Menschen zur Gefahr für politische Machthaber oder wirtschaftliche Interessen, wenn sie sich vom Himmelreich leiten lassen. Die verstorbene Schwester Lea Ackermann schwieg nicht über das Unrecht, das Frauen in Kenia erlitten und weltweit bis heute erleiden. Sie sah die Not, die einheimische Frauen zwang, sich für europäische Touristen zu prostituieren – und handelte. Mittlerweile hilft der von ihr gegründete Verein Solwodi Frauen in vielen Ländern, sich aus dem Netz von Menschenhandel und Prostitution zu befreien. Ackermann hat es geschafft, die Not der Frauen sichtbar und hörbar zu machen, und eine Organisation geschaffen, die sich dem entgegenstellt.
„Rufer in der Wüste“ ist kein geschützter Begriff
Nicht mehr ganz so alleine sind die Menschen, die in Deutschland gegen neuen Nationalismus und Rechtsextremismus kämpfen. Der Autor und Politologe Andreas Püttmann warnt schon lange vor der AfD; er sah die rechte Gefahr deutlich, als sie noch von vielen relativiert wurde. Schon bevor die Partei 2017 in den Bundestag einzog, sagte er, dass sie für Christinnen und Christen nicht wählbar ist. Mit unmissverständlichen Worten beschreibt er auch, was passiert, wenn die AfD an die Regierung käme. Dann „würde zerstört, was wir uns nach 1945 aufgebaut haben: Freiheit, Wohlstand, Menschlichkeit“, sagte er im Herbst 2023 im Interview mit dieser Zeitung. Dass „rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern“, für Christinnen und Christen nicht wählbar seien, haben auch die deutschen Bischöfe kürzlich klargestellt.
Doch „Rufer in der Wüste“ ist kein geschützter Begriff. Auch Rassisten, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker oder Extremisten sehen sich in der Rolle der unbeachteten Propheten. Sie machen Stimmung gegen Wissenschaft oder Politik, wie die „Querdenker“, erklären ethnische oder sexuelle Minderheiten zu Feinden der Gesellschaft, wettern gegen Ungläubige.
Woran erkennt man also, ob ein Rufer in der Wüste ein Prophet ist und ob seine Botschaft etwas Gutes bedeutet? Zunächst an der Botschaft selbst. Johannes verkündete: „Das Himmelreich ist nahe“, also: Gott kommt, um die Menschen zu trösten und aufzurichten, so wie es der Prophet Jesaja über den Rufer in der Wüste gesagt hat.
Welchem Rufer kann man trauen?
Johannes redet nicht schlecht über Gegner, Minderheiten oder Politiker. Stattdessen ruft er seine Täuflinge zu Nächstenliebe auf: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso“, heißt es im Lukasevangelium. (3,11) Soldaten sollen niemanden misshandeln und Zöllner niemanden erpressen. Auch hält sich der Täufer nicht für den einzigen Erleuchteten. Er verweist auf Jesus: „Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Sandalen auszuziehen.“ (Matthäus 3,11) Er hindert seine eigenen Jünger nicht, sich Jesus anzuschließen.
Glaubwürdig ist, wer auch anderen etwas zutraut, wer Menschen nicht in Freunde und Feinde einteilt und Gottes Reich allen verkündet. Dazu kommen die Taten. Nachdem Johannes ins Gefängnis geworfen worden war, zieht Jesus mit der gleichen Botschaft los: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ (Matthäus 4,17) Und er bringt sie unter die Armen, hilft Kranken und feiert mit Außenseitern.