Info-Abend zum Thema Missbrauch mit Pater Hans Zollner
Es ist noch ein weiter Weg
Foto: Petra Diek-Münchow
Den meisten Applaus bekommen im Lingener Ludwig-Windthorst-Haus Ilona Düing und Norbert Thewes. Sie sitzen stellvertretend auf dem Podium für die vielen Kinder, Jugendlichen, Männer und Frauen, denen die Kirche unerträgliches Leid zugefügt hat: durch sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch. Sie klagen an, bleiben dabei differenziert – und schauen nach vorn. „Wer Mut zeigt, macht Mut“, sagt Düing. „Dass wir als Betroffene hier sind und uns dem stellen, macht mir Hoffnung. Wir können ein Sprachrohr für andere Betroffene sein, die keine Worte finden für das, was ihnen passiert ist.“
Angemessene Lösungen und geschützte Räume
Zuvor gibt es Einschätzungen zum Stand des 2019 eingerichteten Konzeptes gegen sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch im Bistum Osnabrück, kurz „Diözesaner Schutzprozess“. Der umfasst neben unabhängigen Ansprechpersonen (siehe „Zur Sache“) die Prävention und Intervention, die Begleitung Betroffener, den Umgang mit Beschuldigten und die Sanktionierung von Tätern sowie systemische Grundsatzfragen.
Eine Monitoring-Gruppe kontrolliert das alles – mit dem Fokus auf die Betroffenen, unterstreicht der Sprecher eben dieser Gruppe, Thomas Veen. „Um angemessene Lösungen und geschützte Räume für Betroffene zu finden, die sich öffnen wollen.“ Dem Präsidenten des Landgerichts Osnabrück ist ein von Kirche unabhängiger Blick sehr wichtig. Deshalb sitzen in den Arbeitsgruppen auch Mitglieder, die nicht zum Bistum gehören: „Damit wir Transparenz haben, damit Dinge nicht kleingeredet und zugedeckt werden.“
Aber Veen sieht in dem Schutzprozess auch noch „viele Baustellen“. Das Regelwerk passt seiner Ansicht nach, aber es sei noch längst nicht überall verinnerlicht. Er spricht von Widerständen im „Kirchenapparat“, von hierarchischen Strukturen, von klerikalen Denkweisen. „Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, bis sich die Dinge in der Praxis durchgesetzt haben. Es ist noch nicht überall angekommen, wie viel Leid die Kirche verursacht hat.“
Nicht nur die Betroffenen und die Zuhörer nicken, sondern auch der per Video aus Rom zugeschaltete Pater Hans Zollner – einer der führenden Fachleute zu diesem Thema. „Wir müssen tun, was wir sagen“, bringt er die Defizite deutlich auf den Punkt. Zollner geht mit der katholischen Kirche hart ins Gericht. „Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht Meldungen aus der ganzen Welt bekommen“, sagt er.
Er findet es dabei erschreckend, wie sich die Fälle gleichen: Da wird verleugnet, verweigert, verschwiegen, aber weder der Missbrauch noch der Täter klar benannt, geschweige denn bestraft. „Wir sind weit in der Prävention, aber in der Aufarbeitung gibt es katastrophale Versäumnisse“, zeichnet er ein „düsteres Bild“.
Was ist also zu tun? Zuerst die Betroffenen anhören und ihnen Raum geben – und ihre Kompetenzen in alle Abläufe mithineinnehmen, fordert er. Auch wenn das wegen unterschiedlicher Erwartungen schwierig sein kann, „aber das ist unsere Aufgabe.“ Zudem wünscht er sich statt ängstlicher Zurückhaltung mehr Entschiedenheit und eine den Opfern mehr zugewandte Haltung: nicht nur bei Kirchenleitungen, sondern bis hinunter in die Gemeinden und Familien.
Von „Seilschaften in der Kirche“
Die immer noch mehr täterorientierte, klerikal bestimmte Sichtweise in der katholischen Kirche spielt auch in der von Akademiedirektor Marcel Speker moderierten Podiumsdiskussion eine Rolle. Thilo Wilhelm, Personalreferent im Bistum, stimmt der Einschätzung der Runde von einem „falsch verstandenen Korpsgeist“ zu. Die „Seilschaften“ beschränken sich nach der Erfahrung von Zollner aber nicht nur auf Priester, sondern betreffen auch andere Akteure in der Kirche.
Ilona Düing und Norbert Thewes nicken. Thewes, Sprecher des Betroffenenrates Nord, lobt zwar im Vergleich mit Hamburg und Hildesheim das Bistum Osnabrück: Er fühlt sich dort ernst genommen und auf Augenhöhe. Aber er bemängelt die täterorientierte Sichtweise. „Die Kirche läuft dem Missbrauchsskandal nicht nur hinterher, sondern davor weg“, bleibt er sogar ratlos.
Wie Ilona Düing, die die mangelnde emphatische Haltung auch in unserem Bistum mit einem Beispiel belegt, bei dem die Zuhörer mit dem Kopf schütteln. Nur vier Monate, nachdem sie den Missbrauch an ihr gemeldet hat, bekommt sie einen Anruf: ob der Beschuldigte wieder Orgel in der Kirche spielen dürfe. „Das man sich überhaupt getraut hat, mich das zu fragen“, macht sie fassungslos.
Das Schlusswort setzt Zollner mit einem Appell: Jeder kann etwas beitragen, um Missbrauch zu erkennen, zu benennen, zu verhindern und Betroffenen zu helfen. „Es geht darum, dass Menschen gut leben können.“
Hilfe für Betroffene von Missbrauch
-Neun Personen bilden den Betroffenenrat Nord der Bistümer Hamburg, Hildesheim und Osnabrück. Kontakt: info@betroffenenrat-nord.de
-Die unabhängigen Ansprechpersonen für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück sind telefonisch und per E-Mail erreichbar: Antonius Fahnemann (Telefon 08 00/7 35 41 20, E-Mail: fahnemann@intervention-os.de, bei der Arbeiterwohlfahrt Olaf Düring (Telefon: 08 00/5 01 56 84, E-Mail: duering@awo-os.de) und Kerstin Hülbrock (Telefon: 08 00/5 01 56 85, E-Mail: huelbrock@awo-os.de).
-Ansprechpersonen für Betroffene geistlichen Missbrauchs: Julie Kirchberg (Telefon: 08 00/7 35 41 27, E-Mail: kirchberg@intervention-os.de), Ludger Pietruschka (Telefon: 08 00/7 35 41 28, E-Mail: pietruschka@intervention-os.de) und Ingrid Großmann (Telefon: 08 00/5 89 48 15, E-Mail: info@grossmann-coaching.de)
-Broschüre zum Schutzprozess gegen sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch: www.bistum-osnabrueck.de/dioezesaner-schutzprozess