Bischof Wolfgang Ipolt über die aktuelle Situation in der Kirche

Europa neu evangelisieren

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Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt wurde am 17. März 65 Jahre alt. Im Interview sprach er über die aktuelle Situation in der Kirche, eine Heimat im Glauben und seine Prognosen für die Zukunft seines Bistums.

Bischof Wolfgang Ipolt im Gespräch. | Foto: Raphael Schmidt

Herr Bischof, für viele Menschen ist der 65. Geburtstag ein Einschnitt, der Blick geht (bei Arbeitnehmern) Richtung Ruhestand. Sie haben als Bischof noch zehn Jahre vor sich. Freuen Sie sich darauf? Und was wollen Sie in dieser Zeit erreichen?

 
Ja, ich freue mich, dass mir – so ich gesund bleibe – noch eine längere Zeit geschenkt ist, in der ich für die Menschen in unserem Bistumsgebiet das Evangelium verkünden kann. Es ist zudem meine Aufgabe als Bischof, den Gläubigen in dieser etwas unübersichtlichen Zeit Orientierung zu geben und Hilfen, wie sie ihren christlichen Glauben auch im 21. Jahrhundert überzeugend leben können. Dazu möchte ich gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gern meinen Beitrag leisten. Ich möchte vor allem erreichen, dass die Getauften dankbarer und froher – und das heißt für mich missionarischer – ihren Glauben leben. Denn nur überzeugte Christen sind auch ansteckende Christen.
 
„Herr, zeige uns deine Wege!“ heißt das Jahresthema in Ihrem Bistum. Die katholische Kirche in Deutschland ist momentan in einer schweren Krise. Sie kommen gerade von der Bischofskonferenz zurück. Über welche Wege, die die Kirche jetzt hierzulande gehen muss, haben Sie beraten?
 
Zugegeben, während der Beratungen der Bischofskonferenz in Lingen dachte ich auch an das Jahresthema im Bistum Görlitz, das wir für dieses Jahr gewählt haben: „Herr zeige uns deine Wege!“ Es ist ja eine Gebetsbitte. Wir haben sehr lange darüber beraten, welche Schritte wir künftig gehen müssen, um den Schaden, der durch den vielfachen Missbrauch an Kindern und anderen Schutzbefohlenen durch Priester angerichtet wurde, zu heilen – soweit das überhaupt möglich ist. Wir hatten uns ja bereits im Herbst in Fulda zu verschiedenen Schritten verpflichtet; diese wurden jetzt noch einmal konkretisiert und auch der Öffentlichkeit vorgestellt. Es wurde auch deutlich, dass es neben dem Missbrauchsthema auch andere Fragen gibt, die in letzter Zeit unbeachtet geblieben sind und die wir ebenso angehen wollen. Dazu gehören zum Beispiel die priesterliche Lebensform und auch die moralischen Normen im Bereich der Sexualität. Wir haben einen „synodalen Weg“ ins Auge gefasst, den wir gemeinsam mit Vertretern des Gottesvolkes gehen wollen.
 
In Ihrem Fastenhirtenbrief schreiben Sie von der Heimat, die der Mensch im Glauben, in der Kirche, in der Gemeinde finden kann. Nicht wenige Menschen haben momentan das Gefühl, dass diese Kirche nicht mehr ihre Heimat ist und kehren ihr den Rücken oder denken über einen Kirchenaustritt nach. Was würden Sie ihnen sagen, warum es sich trotzdem lohnt, gerade jetzt in der Kirche zu bleiben?
 
Ich bin überzeugt: Austritt ist nie der richtige Weg. Wir sind getauft – das ist das bleibende Geschenk Gottes. Die Kirche braucht jeden, der es ernst mit dem Glauben meint. Wir merken an den aufgedeckten Untaten in der Kirche, dass es tatsächlich eine Sünde gegen die Kirche gibt – denn jetzt sind alle Glieder der Kirche mit betroffen und in Haft genommen. Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir gemeinsam den Reinigungsprozess unserer Kirche vorantreiben und jeder nach seinen Kräften dabei mithilft.
 
Frauen in der Kirche, die katholische Sexualmoral, der pries- terliche Zölibat, Klerikalismus … – über vieles wird diskutiert. Welche Reformen sind aus Ihrer Sicht wichtig?
 
Ich habe die Sorge, dass wir manchmal zu viel von äußeren Veränderungen und Reformen sprechen und uns in einzelnen Dingen verlieren. Ich meine, wir stehen miteinander vor allem in Europa vor der Aufgabe einer neuen Evangelisierung. Wenn wir ehrlich Maß nehmen am Wort Gottes, wird uns das reformieren, das heißt mehr auf Christus hin wachsen lassen. Die Kirche ist allein dazu da, dass Gott und seine Anliegen vernehmbar werden. Wie das geschehen kann, muss zu jeder Zeit neu bedacht werden.
 
Sie waren viele Jahre in der Priesterausbildung tätig. Die Anforderungen an den Priesterberuf haben sich in den letzten Jahrzehnten hierzulande stark verändert. Sind unter diesen Bedingungen Veränderungen in der Ausbildung notwendig?
 
Das Ausbildungsprofil wird immer wieder evaluiert werden. Die Priester der Zukunft müssen aus meiner Sicht geistliche Menschen und tief im Gottesgeheimnis verwurzelt sein. Es gibt im Gottesvolk und auch bei vielen Nichtchristen in unserer Region eine echte Sehnsucht nach Vertiefung des Lebens. Dafür sollte der Pries-ter ansprechbar und bereit sein. Vieles, was ein Pfarrer früher allein gemacht hat, kann er delegieren und Frauen und Männern aus der Gemeinde anvertrauen. Auch das muss gelernt sein.
 
Das Bistum Görlitz wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Welche Aufgaben sehen Sie für die katholikenzahlenmäßig kleinste Ortskirche in Deutschland für die nächsten 25 Jahre?
 
In den letzten Jahren ziehen viele polnische Katholiken in das Gebiet unseres Bistums. Das ist eine neue Herausforderung und birgt Aufgaben in sich. Es kommen Menschen mit anderen Glaubenserfahrungen zu uns und ich hoffe, dass es zu einem Austausch der Gaben kommt zwischen den einheimischen deutschen Diasporakatholiken und den eher von einer Tradition geprägten polnischen Katholiken. Ich habe den Eindruck, dass manche Gemeinden in unserem Bistum derzeit in dieser Hinsicht ein „Laboratorium“ sind. Dazu kommt die Aufgabe, dass wir künftig mit weniger Personal und auch geringeren finanziellen Ressourcen die Seelsorge in einem großen Gebiet gestalten und den Gottesglauben bezeugen müssen. Das sind Herausforderungen, die uns in naher Zukunft aufgetragen sind.
 
Interview: Matthias Holluba

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