Fesselnde Persönlichkeit
Ungewöhnliche Frau, ereignisreiches Leben: Im 100. Todesjahr der Landgräfin Anna von Hessen nähert sich eine Ausstellung in Schloss Fasanerie bei Fulda seiner letzten fürstlichen Bewohnerin, die 1901 zum katholischen Glauben fand. Von Evelyn Schwab.
Das Ausstellungsstück kündet von beachtlicher Dramatik: Ein Telegramm Kaiser Wilhelms II. vom 24. Juli 1901, abgeschickt um 7.12 Uhr aus Norwegen an die Tante in Frankfurt, Prinzessin Anna von Preußen. Von dort wurde es ihr nach Schloss Adolphseck nachgesandt, wo sich die Landgräfin von Hessen den Sommer über aufhielt. Das Barockgebäude in Eichenzell bei Fulda heißt heute Schloss Fasanerie und ist für Besucher zugänglich.
Der Kaiser reagierte damals als höchster Bischof der evangelischen Landeskirche. Er drohte Anna mit dem Ausschluss aus der Hohenzollern-Familie, sollte sie einen Konfessionswechsel vollziehen. Für die Betroffene war das eine „rein persönliche Sache, die niemand angeht“. So formulierte sie es im Brief an eine Freundin. Den Ton des Telegramms ihres Neffen fand Anna „wirklich unglaublich“: „Bedenkt man, dass ich seine ganz abseits stehende alte Tante bin, die ihn auf den Armen getragen hat, und dass er mich früher sehr gern mochte.“
Zwischen Monarchie und Demokratie
Christine Klössel, Archivarin des Hauses Hessen, wertete für die Sonderausstellung im Badehaus von Schloss Fasanerie Dokumente aus, die von Lebensstationen der Anna von Hessen (1836 bis 1918) erzählen. Geboren als preußische Prinzessin, sah Anna ihre aussichtsreichen Lebenspläne durchkreuzt von politischen Konflikten und persönlichen Schicksalsschlägen. „Auf Wunsch der Eltern wählt die 17-jährige Anna einen 16 Jahre älteren Ehemann und stellt das nicht in Frage“, so Museumsdirektor Markus Miller. Heiratspolitik. Sie vermählte sich mit Prinz Friedrich Wilhelm von Hessen, junger Witwer und designierter Thronerbe des Fürstentums Hessen. Doch 1866 wurde Kurhessen von Preußen annektiert und verlor den Thronanspruch. Der letzte Kurfürst, ein Onkel, ging ins Exil. Neffe Friedrich Wilhelm verzichtete 1873 auf alle Regierungsrechte und erhielt von Preußen eine Abfindung. Das ermöglichte dem Paar, den fürstlichen Hausstand privat weiterzuführen. Die Familie, es gab sechs Kinder, wohnte abwechselnd in Dänemark, im Kasseler Schloss Wilhelmshöhe, in Weimar, Berlin, auf einem Gut in Holstein sowie im Rumpenheimer Schloss in Offenbach. Ins Schloss Philippsruhe bei Hanau zog das Ehepaar 1880. Später lebte Anna in einer Frankfurter Villa.
Glanz und Leid lagen im Leben der Anna von Hessen stets nah beieinander. Sie verlor 1882 die zehnjährige Tochter Marie Polyxene, 1884 den Ehemann, 1886 den jungen Schwiegersohn Erbprinz Leopold von Anhalt und 1888 ihren ältesten Sohn Friedrich Wilhelm. Halt fand die begabte Pianistin in der Musik und vor allem im Glauben. Auf Schloss Adolphseck, gerne bewohnt während der Sommer, konnte sie sich beiden Bereichen verstärkt widmen.
Die Ausstellung im Badehaus des Anwesens dokumentiert ein Alltagsleben nach höfischer Etikette. Es gab Kontakte zu berühmten Musikern und Komponisten, etwa Clara Schumann und Johannes Brahms. Ebenso begegnete sie katholischen Persönlichkeiten, darunter dem Fuldaer Bischof und späteren Kardinal von Breslau, Georg von Kopp, Bischof Adalbert Endert oder Professor Viktor Thielemann. Dessen Religionsunterricht bereitete sie auf den offiziellen Übertritt zur römisch-katholischen Kirche vor. In aller Stille fand die Konversion am 10. Oktober 1901 in der Kapelle des Fuldaer Priesterseminars statt. Es folgte im April 1902 eine Romreise, wo Anna von Hessen Papst Leo XIII. traf.
Ersatzfamilie in Kirche und Kloster
Der Ausschluss der Landgräfin aus dem Haus Hohenzollern erfolgte am 12. Mai 1902 per Kabinettsorder. Anna wandte sich darauf verstärkt der katholischen Gesellschaft zu. Spirituellen Austausch suchte und fand sie ebenso im Hünfelder Bonifatiusklos-ter. Pater Christoph Heinemann berichtet von „zahlreichen Besuchen, großzügigen Geschenken und viel gegenseitigem Wohlwollen“.
Im Kloster Salmünster ließ Anna sich 1903 als Novizin unter dem Namen Elisabeth in den III. Orden des heiligen Franziskus aufnehmen. Damit durfte sie das Ordenshabit tragen, in dem sie einmal bestattet werden wollte.
Ein eigener Kapellenraum im Schloss
Ihr Sohn Alexander Friedrich richtete im Badehaus einen Kapellenraum ein, vermutlich ein Geschenk zum 70. Geburtstag der Mutter 1906. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 löste die Landgräfin allerdings ihren Schlosshaushalt auf. Messgewänder und sakrale Gegenstände schenkte sie dem Kloster Hünfeld oder übergab sie zur Aufbewahrung an Bischof Joseph Damian Schmitt.
In den letzten Lebenswochen der 82-Jährigen besuchten Annas Kinder die Frankfurter Villa, kurz vor dem Tod traf auch ein versöhnlicher Kaiser Wilhelm ein. Er erlaubte die gewünschte Bestattung im Fuldaer Dom. Am 12. Juni 1918 verstarb die preußische Prinzessin. Ihr Sarg kam per Eisenbahn von Frankfurt nach Fulda, ein Trauerzug mit Pferdekutschen geleitete sie durch die Stadt. Vor dem St.-Anna-Altar, nahe dem Bonifatiusgrab, fand sie die letzte Ruhe. Als bisher einzige Frau im Dom.
Meinung: Würdiger Lebenslauf
Von Evelyn Schwab
Es soll der Besuch als Elfjährige im Kölner Dom gewesen sein, der bei Prinzessin Anna den Wunsch weckte, mehr über die katholische Kirche zu erfahren. Schon einmal mit 30 habe die Fürstin geplant, katholisch zu werden. Als Mitglied des Kaiserhauses verzichtete sie zunächst aus Loyalität. Nach Verlust von Thron, Land und Stellung folgte Anna ihrer Überzeugung und wurde einzige Katholikin ihrer Familie. Ein mutiger Entschluss.
Tipp: Sonderausstellung
Sonderausstellung „Landgräfin Anna von Hessen – Leben im Schloss Fasanerie“ bis 14. Oktober: Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr, Führung nur für Gruppen und nach Vereinbarung.
Kontakt: Museum Schloss Fasanerie, 36124 Eichenzell
Telefon 0661/9 48 60
E-Mail: info@schloss-fasanerie.de
Internet: www.schloss-fasanerie.de