Predigt zur Erfurter Frauenwallfahrt 2022

Frauen, die „trotzdem“ sagen

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Frauen in der Bibel, Frauen in der Geschichte und Frauen in den Familie haben den Glauben an das Gute nicht verloren. Weihbischof Reinhard Hauke sprach davon in seiner Predigt zur Erfurter Frauenwallfahrt zum Kerbschen Berg.

„Erzähl mir eine Geschichte!“ – das ist der Wunsch vieler Kinder und Enkel, und dann fangen die Eltern und Großeltern an, zu erzählen, was sie im eigenen Leben erlebt und auch erlitten haben, soweit es die Kinder verstehen und verkraften können.
Für mich sind besonders beeindruckend die Berichte von Menschen, die „trotzdem“ gesagt und getan haben. Dazu gehört meine Mutter, die 1945 mit vier Kindern unter zehn Jahren und einem Kinderwagen aus Schlesien geflüchtet ist, in Weimar ankam und in Flüchtlingsbaracken unterkam, Gott sei Dank dort meinen Vater wiedergefunden hat; den zehnjährigen Sohn nach vier Jahren wegen einer Blinddarm- erkrankung verlor und dann noch zwei weiteren Kindern das Leben schenkte, weil sie sagte: „Trotzdem! Das Leben geht weiter, auch wenn niemand weiß, wie der morgige Tag sein wird!“
Dieses Beispiel von tapferen Vätern und Müttern der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich mit Sicherheit erweitern. Solche Erzählungen können auch heute in den Flüchtlingscamps in Polen, Deutschland und vielen Ländern im Umland der Ukraine gesammelt werden. Weil trotz aller schlimmen Erfahrungen die Menschen den Glauben an den Sieg des Guten nicht verloren haben, schauen sie in die Zukunft und planen neues Leben.

Das Leben muss weitergehen
Die Nachrichten berichten derzeit von der Äbtissin Elisabeth Vaterodt aus Marienthal. Sie wuchs als  zweites von sechs Kindern in der eichsfeldischen Großfamilie auf. Eigentlich wollte sie Krankenschwester werden, aber wegen ihrer notwendigen Mithilfe im landwirtschaftlichen Privatbetrieb war das nicht möglich. 1979 konnte ich sie dann doch nach einer erneuten Qualifikation als Altenpflegerin Brunhilde Vaterodt im Elisabethheim in Jena erleben, wo sie bis Februar 1985 als Leiterin tätig war. Ihren Wunsch nach klösterlichem Leben verwirklichte sie 1985 durch den Eintritt in das Zisterzienserinnen-Kloster Marienthal bei Ostritz, wo sie 2009 zur Priorin und 2016 zur Äbtissin gewählt wurde. Derzeit ist die Äbtissin bei Fachleuten des Kunsthandels im Gespräch, da sie den kostbaren Marienpsalter des Klosters aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts zum Kauf anbietet. Sein Wert wird auf zirka fünf Millionen Euro geschätzt. Um nicht weiterhin die Rücklagen des Klosters aufbrauchen zu müssen, hat sie sich zu diesem Schritt entschlossen, der aufhorchen lässt, denn alle bisher zugesagten Mittel zur Bewältigung der zweifachen Hochwasserschäden wurden nur in geringem Umfang gezahlt. Eine mutige Frau aus dem Eichsfeld sagt: „Trotzdem! Ich will das Leben des Klosters nicht gefährden! Daher gehe diesen schweren Schritt.“ Ich hoffe, dass es einen Ausweg gibt.

Weihbischof Reinhard Hauke

Foto: kna/Dominik Wolf

Frauen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Über die kranke Frau, die Jesus begegnet ist, wurde im Anspiel schon vielfach berichtet und über ihre Handlung und ihr Denken gesprochen. Zu erwähnen ist jedoch auch das Denken und Handeln von Sara, der Frau Abrahams. Die drei Männer hören das stille Lachen von Sara, als ihrem Mann ein Sohn versprochen wurde, der in einem Jahr zur Familie gehören soll. Da weder sie noch ihr Mann in einem Alter war, wo man ein Kind erwarten konnte, so war ihre Reaktion verständlich. Auf ihr Lachen hin wird sie vom Herrn zur Rede gestellt und leugnet ihr Lachen – sicherlich vor lauter Schreck, von Gott wegen ihrer Angst und ihres Unglaubens ertappt worden zu sein. Mit der Geburt des Sohnes Isaak geht die Verheißung an Abraham in Erfüllung, der Stammvater vieler Völker zu werden. Unmögliches wird möglich, wenn Menschen auf Gott vertrauen und nicht nur eigene Erfahrungen ins Spiel bringen, sondern auch etwas Wirklichkeit werden lassen, was bisher nicht im Plan war oder der Erfahrung von Generationen entsprach.
Kann eine Frau Kanzlerin oder Ministerpräsidentin werden? Diese Frage, die bis vor vielen Jahren mit „nein“ beantwortet wurde, ist heute keine Frage mehr. Können Frauen im Vatikan zu wichtigen Ämtern berufen werden?
Raffaella Petrini, eine 1969 in Rom geborene Franziskanerin und Sozialwissenschaftlerin, wurde 2021 Generalsekretärin des vatikanischen Gouvernorats und damit die Nummer Zwei im Vatikanstaat. Seit 2019 ist sie Professorin für Wallfahrtsökonomie und Wirtschaftssoziologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Dominikaner-Universität „Angelicum“ in Rom. Auch Schwester Alessandra Smerilli ist als Sekretärin des Dikasteriums (Übersetzung: Amt der römischen Kurie) für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen an zweiter Stelle hinter Kardinal Peter Turkson. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Anteil von Frauen als Mitarbeiterinnen am Heiligen Stuhl von 17 auf 24 Prozent erhöht. Auch sind seit 2017 verheiratete Frauen mit Familie und Kindern dabei, wie die beiden Untersekretärinnen im Dikasterium für Laien, Familie und Leben: Gabriela Gambino und Linda Ghisoni.
Seit 2021 arbeitet in Rom eine Kommission zum Diakonat der Frau, zu der neben der Theologin Barbara Hallensleben aus Fribourg auch Professor Manfred Hauke aus Lugano zählt, mit dem ich oft verwechselt werde. Der letzte Kommentar von Professorin Hallensleben lautet: „In näherer Zukunft ist ein weiteres Treffen zu erwarten – das zeigt den Willen, zu einem Ergebnis zu kommen.“
Und auch hier bei uns können wir besonders heute feststellen, wie sowohl die Organisation von Inhalt und praktischen Fragen in den Händen von Frauen liegt, die im Bistum Erfurt hauptamtlich und ehrenamtlich sich einbinden lassen. Wir sind dankbar dafür, dass sie zur Verantwortung, die ihnen angeboten und anvertraut wurde, Ja gesagt haben. Viele Frauen haben auch andere Arbeits- und Verantwortungsfelder. Viele reden nicht darüber, was sie bei ihrer Arbeit in Kirche und Gemeinde noch im Hinterkopf haben. Überall wird der volle Einsatz erwartet und auch mancher Pfarrer ist verwundert, wenn er dann hört: „Ich muss noch meine Kinder vom Kindergarten abholen, weil sie krank geworden sind.“ Oder: „Mein Sohn ruft mich an, wenn um 22 Uhr die Fete zu Ende ist und er abgeholt werden will.“ Das muss der Pfarrer alles nicht tun! Es ist gut, wenn er es aber ab und zu auch gesagt bekommt, dass es wichtige Dienste in den Familien gibt, wo die Mütter unabkömmlich sind.

Viele Dienste geschehen im Hintergrund
Heute möchte ich besonders an eine Frau denken, die kürzlich mit 91 Jahren verstorben ist. Ursula Haase war bis 1981 als leitende HNO-Krankenschwester in Jena tätig. 1981 kam sie als Haushälterin in das Bischofshaus von Bischof Wanke. 42 Jahre hat sie dort treuen Dienst getan und das Bischofshaus zu einem gastlichen Haus gemacht. Es war ein wichtiger Dienst für unsere Diözese, wie er auch in verschiedenen Pfarrhäusern geleistet wird.
Die heiligen Frauen unseres Bistums mögen uns im Bemühen um das Gelingen der Seelsorge begleiten: Zuerst natürlich die heilige Elisabeth von Thüringen, die eine liebende Gattin und Mutter, aber auch eine tatkräftige Frau der Nächstenliebe war. Die heilige Paulina, die das Kloster Paulinzella im zwölften Jahrhundert als Witwe gegründet hat.
Die heilige Radegunde – die nachweislich erste Christin in unserem Bistum – die trotz ihres Schicksals der Entführung im sechsten Jahrhundert von der Mühlburg bei Erfurt als thüringische Königstochter zur Gründung eines großen Klosters in Poitier in der Lage war. Die selige Lukardis von Oberweimar, die als Mystikerin im 13. Jahrhundert im Zisterzienserinnenkloster bei Weimar lebte. Derzeit gibt es Initiativen, um ihr Gedenken wieder zu beleben. Nicht zuletzt sei dabei natürlich die Gottesmutter Maria genannt, die unsere Helferin auch in Thüringen ist und ihre Gnadenkraft an vielen Wallfahrtsorten gezeigt hat.
Tatkräftige Familienmütter, Sozialarbeiterinnen, Ordensgründerinnen und Mystikerinnen, die den Glauben auch durch innere Schau durchdrungen haben, lebten hier bei uns. Das zeigt uns, wie stark und vielfältig die Macht Gottes ist, die uns umgibt und zum Glaubenszeugnis befähigt.