Bechers Provokationen
Fromme Schwestern Silberhaar
Unsere Provokationen suchen nach der Glut unter der Asche, nach dem Kern der Botschaft, nach dem Feuer im Herzen. Heute geht’s um pastorale Diäten. Oder darum, wie man sich fühlt, wenn mit Blick auf das real existierende Gemeindeleben stets von alten Zöpfen und dürren Ästen gesprochen wird. Von Johannes Becher.
Auf sie ist Verlass. Die beiden Schwestern – nennen wir sie Magda Fromm und Katharina Silberhaar – sind da, wenn die Glocke vom Kirchturm läutet. Ganz gleich, ob es der Sonntagsgottesdienst ist, die Werktagsmesse, ob Rosenkranz oder Andacht. Ehrensache, dass die beiden auch im Elisabethenverein dabei sind, bei den Kolpinggeschwistern und im Frauenbund. Hilfsdienste beim Seniorencafé und der Fronleichnamsprozession werden von beiden selbstverständlich erledigt. Die Kirche ist ihr Leben.
Gerade deshalb fühlt es sich ganz schön erbärmlich für die beiden Frauen an, wenn das jetzt alles nichts mehr wert sein soll. Nicht genug! Keine Zukunft!
Oder wie, bitte schön, sollen es denn die beiden verstehen, wenn stets und ständig, ein Bischof oder jemand in anderer thronender Funktion davon spricht, es sei höchste Zeit. Zeit, um „die alten Zöpfe abzuschneiden“ oder die „dürren Äste“. Wie sagte gerade erst der neu ernannte Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, im Interview: „Ich scheue mich nicht davor, alte Zöpfe abzuschneiden und neue Wege vorzuschlagen.“ Und hier und dort ist zu hören: „Bewahrung um jeden Preis darf nicht unser Ziel sein, sondern wir müssen auch den Mut haben, uns von dürren Ästen zu trennen.“
Wobei: Was sie genau mit „alt“ und „dürr“ meinen, die Bistumsverantwortlichen, das sagen sie meist nicht. Aber immer klingt es bei „altem Zopf“ abwertend. Wie im Lexikon: „Der Ausdruck alter Zopf bezeichnet umgangssprachlich abwertend eine altbekannte, aber veraltete und nicht mehr geläufige Mode, Verhaltensweise, Idee oder Vorschrift.“
„Irgendwie“, aber möglichst bald, muss also alles anders werden. Frischer. Frecher. Freier ... Doch das Neue ist im Nebel. Noch. Und weil es ja um „Prozesse“ des Veränderns gehe, lasse sich das auch nicht schon vorher sagen, geschweige einsam bestimmen.
Klar, es muss etwas passieren. Und zwar nicht nur in Strukturen oder Kirchengesetzen. Doch es bleibt eben auch diese Ungleichzeitigkeit. Dass da noch „das Alte“ ist. Und es lebt! Zuckt zumindest noch. Wäre da nicht eine begleitende Seelsorge eine erlaubte Form der Sterbehilfe?
Zeitsprung. Zurück. Die Jahre nach dem Konzil. Die 70er, die 80er Jahre. Damals ging es in öffentlichen Debatten eher darum, wie sich der Wildwuchs beschneiden lasse, zumindest in Bahnen lenken. Die Experimente der Jugend etwa oder all die Forderungen der selbst ernannten „Reformgruppen“. Das waren Störungen für den lange bewährten Gemeindefrieden. Störungen einer anderen Art allerdings …
Heute ist es anders. Da würde man am liebsten das Alltägliche, das, was lange Jahrzehnte volkskirchliches Leben in den Pfarreien gewesen ist, abspecken. Gerade noch vertretbar als eine Art Seelsorge auf Diät. Die Betschwestern Fromm und Silberhaar gelten als Auslaufmodell (in Expertenrunden ist dann häufig vom Lieschen Müller die Rede oder von den „two old women“ mit ihrer Kirchenkatze …)
Vielleicht hilft ja auch hier eine Gretchenfrage: Um was geht es für die Kirche? Was ist der Kern? In einem geistlichen Lied heißt es: „Lobet und preiset, ihr Völker den Herrn, freuet euch seiner und dienet ihm gern.“ Nicht mehr. Nicht weniger. Also sind Magda Fromm und Katharina Silberhaar wohl nach wie vor auf dem rechten Weg. Sie suchen Gott, sie singen sein Lob, sie bringen ihm Dank und sie möchten mit Beten und Handeln die Welt ein wenig besser machen. Und mal ehrlich: Würde die Kirche nicht ohne solche Frauen schon längst alt aussehen?
Also: Schneiden wir nicht die falschen Zöpfe ab. Und schon gar nicht vor der Zeit.