Interview zu muttersprachlichen Gemeinden
Für gegenseitige Offenheit immer wieder werben und arbeiten

Katholisch und fern der Heimat. Was bedeutet das für Betroffene? Fragen dazu an Dr. David Hüser. Der Dekanatsreferent in Rüsselsheim hat seine theologische Doktorarbeit zur Pastoral mit spanischsprachigen Gemeinden geschrieben.
Parallelgesellschaften anderer Nationalitäten sind in der Gesellschaft nicht erwünscht, weil es die Integration bremst. In muttersprachlichen Gemeinden treffen sich Katholiken anderer Nationalitäten. Sind das Parallelgesellschaften?
„Integration“ meint ja nicht, dass sich Migrantinnen und Migranten einseitig an die Aufnahmegesellschaft anpassen – das wäre Assimilation –, sondern dass sie im Aufnahmeland auch ihre Herkunftskultur weiter leben können. Das ist für viele Menschen sehr wichtig, immerhin verbinden sie mit der Herkunftsgesellschaft viele wichtige Erinnerungen, die eigene Familie, Freundschaften und zentrale kulturelle Orientierungen, besonders die Sprache. Muttersprachliche Gemeinden geben den Menschen die Möglichkeit, dass sie diese wesentliche Seite ihrer Biographie leben können. Parallelgesellschaften wären sie nur, wenn sie sich abschotten und den Kontakt zur Aufnahmekultur verhindern würden. Das ist bei den muttersprachlichen Gemeinden nicht der Fall.

In der weltweiten Kirche gibt es keine Ausländer, weil alle Getauften Brüder und Schwestern sind. Warum ist es dennoch sinnvoll, dass Menschen aus anderen Herkunftsländern sich unter ihresgleichen treffen?
Migranten führen ein Leben in Bewegung, denn sie leben fortwährend mit zwei verschiedenen Kulturen und in zwei verschiedenen Ländern. Es ist für alle Menschen wichtig, dass sie sich in ihrer jeweiligen Lebenssituation austauschen können und verstanden fühlen; das „Leben in Bewegung“ können Migranten aber nur mit den Menschen teilen, die aus der gleichen Herkunftskultur kommen und im gleichen Aufnahmeland leben. Der Austausch und die Unterstützung in der Community sind daher von großer Bedeutung. Es geht dabei beispielsweise um die Frage, wie das Schulsystem in Deutschland funktioniert, wo man das aus der Heimat bekannte Essen kaufen kann, wer bei einer Übersetzung hilft, oder wie man mit schwierigen Erfahrungen – kulturellen Unterschieden oder empfundenen Diskriminierungen – umgeht. Gerade für Menschen, die sich im Aufnahmeland nicht wohlfühlen, können Menschen der gleichen Herkunftskultur eine entscheidende Rolle spielen, weil sie sich gegenseitig ermutigen können, auf die bisher fremde Kultur neu zuzugehen, und so zum Verständnis beitragen.
Und natürlich ist auch die unterschiedlich geprägte Religiosität von hoher Bedeutung. Kulturelle Unterschiede zeigen sich ja auch im Gottesdienst, nicht nur in der Sprache, sondern in der Musik, in der Art der Predigt oder in der körperlichen Nähe bei der Begrüßung, beim Vaterunser und beim Friedensgruß. Die Emotionen, die vielen Menschen im Gottesdienst wichtig sind, können sie im Sprachgottesdienst oft besser erleben.
Manche afrikanischen Pfarrer in deutschen Gemeinden sind wegen ihrer Andersartigkeit, etwa Ihrer stärkeren Emotionalität, sehr beliebt ...
Die kulturellen Unterschiede sind ein großer Reichtum und das spüren die Menschen auch: Manches, was hier zu kurz kommt – zum Beispiel die Emotionen im Gottesdienst –, bringen Menschen anderer Kulturen mit. Gleichzeitig ist der interkulturelle Kontakt aber auch eine Herausforderung: Die Sprachbarriere ist groß und in tiefergehenden Gesprächen merkt man oft, dass unterschiedliche Vorstellungen bestehen – auch wenn man die Unterschiede gar nicht richtig benennen kann. Auch das bemerken viele Gemeinden im Umgang mit Priestern anderer Herkunftskultur.
Worauf müssen muttersprachliche Gemeinden achten im Umgang mit deutschsprachigen Pfarreien und Gruppierungen – Offenheit etwa?
Ja. Es ist immer eine Gefahr, dass man sich selbst genug ist. Für die gegenseitige Offenheit ist immer wieder zu werben und zu arbeiten. Daher ist es meines Erachtens sehr wichtig, dass klar ist, welche muttersprachliche Gemeinde mit welcher deutschsprachigen Ortsgemeinde zusammenarbeiten soll, und dass man gemeinsam die Pastoral der Gemeinden voran bringt.
Wie können Gruppen oder Gemeinden anderer Nationalität befruchtend wirken auf die kirchliche Umgebung in Ihrer Stadt?
In Mainz lädt beispielsweise die portugiesischsprachige Gemeinde seit einigen Jahren zur gemeinsamen Vorbereitung einer Prozession zum Festtag der Jungfrau von Fatima ein. Viele Menschen unterschiedlicher Kulturen beteiligen sich an der Prozession, die mit viel Inbrunst begangen wird und bei der „der Funke überspringt“. In der spanischsprachigen Gemeinde in Mainz besuchen immer wieder Deutsche oder Menschen anderer Kulturen den Gottesdienst, weil sie von der Musik und der Lebendigkeit der Liturgie begeistert sind. Ich denke, beides sind Beispiele dafür, wie die unterschiedlichen Kulturen und die unterschiedlichen Formen, den Glauben zu leben, einander bereichern. Die gegenseitige Offenheit ist natürlich zentral; die muttersprachlichen Gemeinden bringen sie in der Regel mit.
Die Seelsorgeeinheiten/Pfarreien in den Bistümern werden größer. Kann das ein Vorteil sein für Katholiken aus anderen Ländern beziehungsweise das Miteinander?
Ich glaube ja, weil das Miteinander und die Begegnung der verschiedenen Sprachgemeinden leichter möglich sind. Ich denke, dass Pastoralteams – die in der Regel ja auch größer werden – für einen pastoralen Raum zuständig sein sollten, zu dem sowohl deutschsprachige als auch muttersprachliche Gemeinden gehören. Die pastoralen Hauptamtlichen eines Teams könnten selbst verschiedenen Kulturen entstammen und sich so gegenseitig bereichern, gleichzeitig aber auch Unterschiede thematisieren. In den Gemeinden, in denen sowohl getrennte, als auch gemeinsame Gottesdienste und Begegnungen stattfinden können, kann sich die gegenseitige Bereicherung dann fortsetzen.
Interview: Hans-Joachim Stoehr