Dresdens Akademiedirektor Thomas Arnold im Interview

Gemeinsames Nachdenken verändert

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Die Katholischen Akademien sind wichtige Diskussions-Orte in den Bistümern. Der Dresdner Akademiedirektor Thomas Arnold spricht im Interview über die zunehmende Zerrissenheit der Gesellschaft und die einende Chance eines echten Dialogs.

In der Katholischen Akademie wird beständig über den Tellerrand geschaut, auch über den geografischen: Selbst den Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich (Mitte) verschlug es schon nach Dresden.    Fotos: Amac Garbe/Katholische Akademie Dresden

Ob Kirche, Kultur, Geschichte, Naturwissenschaft, Gesellschaft oder Politik – wer in das Programm der Akademie schaut, entdeckt eine große Bandbreite von Themen. Was ist der gemeinsame Nenner? Was kann und soll eine Katholische Akademie unter ostdeutschen Bedingungen leisten?

Akademie ist kein Ort für Bücherwürmer, sondern für Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Wer zum Denken und Diskutieren Lust hat, ist in den fünf Foren willkommen! Wir wollen mit Angeboten Vermittler, Impulsgeber und Sinnstifter stärken.
Schauen Sie doch auf das neue Programm: Wir diskutieren ebenso über internationale Verantwortung, über Gott in Frankreich als auch über Schönheit und Transzendenz. Scheint gar nicht zur Krise der Kirche zu passen. Aber wer genauer hinschaut, merkt, dass wir damit Menschen mit Argumenten ermächtigen, über Gott in der Welt zu sprechen. Es ist doch selbstverständlich, dass wir mit unserer Prägung als kreative Minderheit im Osten Deutschlands eine ganz besondere Rolle einnehmen. Ich freue mich aber, dass wir immer stärker auch über Bistumsgrenzen hinweg als Ort guter Debatten wahrgenommen werden. Ich denke, dazu hat auch unser Podcastangebot „Mit Herz und Haltung“ beigetragen.

Viele Ihrer Angebote (hier schließe ich auch den Podcast ein) sind eng am Puls der Zeit. Warum ist es Ihnen wichtig, in den aktuellen Debatten das Wort zu ergreifen? Gibt es Beispiele, dass Sie damit etwas bewirken?

Die Diözese bat mich 2016, mit der Akademie noch stärker aktuelle Debatten aus christlicher und sächsischer Perspektive zu gestalten. Damals waren vor allem die Pegida-Proteste im Hinterkopf. Die Polarisierung der Gesellschaft ist geblieben und hat sich mit Corona zum Flächenbrand ausgebreitet. Wenn die Pöbelei zunimmt, ist es Aufgabe der Kirche, Foren für das kluge Argument zu schaffen. Mit der Akademie hat sie diesen Ort seit 20 Jahren. Ihr Wirken aufgrund des Strategieprozesses radikal einzuschränken, wäre ein Zeichen, sich aus der Welt zurückzuziehen. Aber diese Gefahr sehe ich momentan nicht. Das Bistum weiß, was es an dem Debattenort hat.

Viele Themen der Akademie haben mit Politik zu tun. Ist es Aufgabe von Kirche allgemein und von Akademie im Speziellen in tagespolitischen Debatten mitzumischen?

Die Themen im Akademieangebot haben zuerst mit dem Menschen zu tun. Weil aber Politik das öffentliche Zusammenleben gestaltet und reguliert, sind manche unserer Themen auch politisch. Sie werden die Akademie nicht mit Gesetzesentwürfen erleben, wohl aber mit hintergründigen Analysen. Nehmen Sie nur die Frage vom Anfang und Ende des Lebens. Sowohl assistierter Suizid als auch die Frage des Werbeverbots bei Abtreibungen werden in den kommenden Monaten neu in Frage gestellt. Dazu braucht es unbedingt eine öffentliche Meinungsbildung, weil es um die existenziellen Wurzeln des Menschen geht. Dafür stellen wir als Team spannende Gesprächspartner zur Verfügung und gestalten den Austausch.

Teile Ostdeutschlands – und das reicht bis tief in unsere Gemeinden hinein – stehen Rechtspopulisten recht nahe. Wie greifen Sie als Akademie damit zusammenhängende Themen auf? Und was können Sie erreichen?

Mir scheint, dass wir uns zunächst einmal über den Begriff der Rechtspopulisten verständigen müssen. Wenn Sie darunter Menschen verstehen, die pöbeln, Meinungen verdrehen und aus einer Emotion von Menschen mit verkürzten Argumenten Hass schüren, dann wäre die Akademie der falsche Ort, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Die Akademie möchte einen Raum bieten, um mit Menschen zu diskutieren, vielleicht auch lebhaft zu streiten, die das Wort des anderen ernst nehmen und bereit sind, sich auf die Position des Gegenübers einzulassen und dadurch auch die eigene zu verändern. Das ist keine Konsensorientierung, die man im politischen Raum bräuchte, sondern ein zutiefst dialogisches Verständnis, das auch der Kern von Mission ist. Es hat aber einen Preis: Alle Beteiligten werden verändert aus dem gemeinsamen Nachdenken herausgehen. Deswegen ist doch auch unser Slogan: Gemeinsam öffnen wir Horizonte.
Trotzdem wird man nach Veranstaltungen kaum messen können, ob ein Mensch jetzt anders agiert. Ich bin aber sicher, dass das kontinuierliche gemeinsame Ringen und die Ermöglichung von Freiheit des Denkens in den Foren und mit dem Podcast Menschen positiv prägen wird. Zumindest ich habe in den vergangenen sechs Jahren unwahrscheinlich viel gelernt – und manche Position auch revidiert.

Akademiedirektor Thomas Arnold

Innerkirchlich ist ja zurzeit manches in der Diskussion. Welche Erfahrungen machen Sie, wenn Sie kontrovers diskutierte kirchliche Reform-Themen aufgreifen?

Tabuisierung ist keine Lösung. Auch nicht für die Kirche. Deswegen erlebe ich eine Bistumsleitung, die zulässt, dass die Akademie hart am Wind segelt und das fördert. Gerade angesichts der zunehmenden Krise der Kirche wird es eine stärkere Herausforderung, den Riss mit den Debatten zwischen Reformern und Bewahrern nicht noch größer zu machen, sondern die versöhnende Suche nach vorn zu gestalten. Ich habe den Eindruck, dass die gesellschaftliche Polarisierung und unser Umgang damit eine Art Übungsfeld war, um mit den gemachten Erfahrungen jetzt die Zukunft der Kirche mit zu gestalten. Mag sein, dass der Synodale Weg in Deutschland hierfür einige Fragen aufwirft. In der Art und Weise des Miteinanders sollten wir uns stärker auf den von Papst Franziskus angeregten Synodalen Prozess orientieren, weil er eine Schule der Debattenkultur ist.

Sie sind eine Einrichtung des Bistums. Setzt das Ihrer Diskussionsbereitschaft gelegentlich eine Grenze?

Nein. Die Akademie ist der Ort, an dem die Welt in die Kirche strömt. Und in der die Perspektive des Glaubens die Welt in einem anderen Licht erscheinen lässt.

In welche Richtung wollen Sie die Akademie in den nächsten Jahren weiter profilieren?

Nach der Pandemie brauchen wir wieder Orte der Begegnung. Deswegen wird die Akademie nicht digitaler, sondern noch stärker Ort des echten Miteinanders. Zugleich wird sie zeitunabhängiger, weil wir mit dem Podcast zu einer Veranstaltung ergänzende Informationen zur Verfügung stellen. Für die Reformprozesse beispielsweise haben wir schon eine ganze Playlist. Damit kann zu jeder Zeit an jedem Ort das Nachdenken beginnen.
Eines ist mir dabei aber wichtig: Nichts gestalte ich dabei allein, sondern das ganze Team. In Interviews rückt das manchmal nach hinten. Aber Debatten gestaltet man nur gemeinsam.

Fragen: Tag des Herrn